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Dienstag, 12. August 2014

Kaiserdämmerung (15) - Frank Wedekind, Diplomaten

Diplomaten (geschrieben August 1916)

Frank Wedekind

            Heut verschonen
            Die Kanonen
Die Leichen in der Gruft nicht mehr.
Jawohl, die Zeit ist schwer!
Sag an, wie nennen sich
Die Herrn, die uns das taten?
             Diplomaten!
Schwaches Herz und kühne Stirn,
Großes Maul und kleines Hirn
Wie ein Nadelöhr so eng
Der Gesichtskreis – Schnederedeng!

            Tut sich friedlich
             Wer wo gütlich,
Schrein sie die Kriegserklärung schon
Ihm zu durchs Telephon.
Die Völker stürzen sich
Dann in die Bajonette
            Um die Wette.
Hinten wird mit Tod bedroht
Was nicht stracks von vorne tot,
Daß, was irgend übrig bleibt,
Kurzer Hand sich selbst entleibt.

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            Alle Serben
            Müssen sterben!
So hats zu ihrem Sündensold
Der liebe Gott gewollt.
Wir haun sie, ohne daß
Uns England übermanne.
            In die Pfanne!
Ganz besonders zu verhaun
Sind die bösen Serbenfraun.
König Peter im Gedräng
Kriecht zu Kreuze – Schnederedeng!

            Dieser Feldzug
            Ist kein Schnellzug.
So singt man heut zum Unterschied
Ein längst bekanntes Lied.
Wie lang umdröhnt uns noch
Der Lärm der Kriegsfanfare?
            Dreißig Jahre!
Menschen giebts dann nirgends mehr
Überall nur Militär!
Ach wie schön ists in der Welt
Wo man hinspuckt sitzt ein Held.

            Was wir konnten
            An vier Fronten
Das hat, seit sich die Erde sonnt
Kein Heldenvolk gekonnt.
Der Feind verblutet sich
Wir haben unterdessen
            Nichts zu fressen.
Seit wir auf den Knopf gedrückt
Ist der Erdball ganz verrückt
Und am Ende stopft ihn Krupp
In die dicke Bertha – Schwupp!

            Welch ein Frieden
            Uns beschieden
Steht leider nicht in Gottes Hand
Es steht bei Engelland.
Die Linke schließt ihn ab
Wir fingen mit der Rechten
            An zu fechten.
Auf zur Friedenskonferenz
Auf zum Sieg des Parlaments
Ganz Europa wird neutral
Alles andre ist egal.

            Aus den Sternen
            Kannst du lernen,
Weswegen hoch am Firmament
Nicht auch noch Krieg entbrennt
Am Himmel wahren sie
In wechselvollem Reigen
            Heilges Schweigen.
Noch kein Ohr hat je gehört,
Daß ein Stern den Frieden stört
Und sobald nur einer schwatzt
Saust er abwärts und zerplatzt.

Kritische Studienausgabe der Werke Frank Wedekinds, hrsg. v. Elke Austermühl, Rolf Kieser und Hartmut Vinçon. Band 1/I, Darmstadt 2007, S.706ff.

Das Gedicht konnte wegen seines kritischen Inhalts während des Krieges nicht veröffentlicht werden. Der Erstdruck erfolgte in der Kritischen Ausgabe von 2007).

Von Hartmut Vinçon, einem der Herausgeber der kritischen Wedekind-Ausgabe, gibt es in der Augustausgabe von literaturkritik.de einen sehr lesenswerten Artikel zum Thema “Frank Wedekind und der Erste Weltkrieg”.

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