Ist das nun eine Trendwende in der Slam Poetry? Sind die
exzentrischen und effekthascherischen Jahre vorbei?
Die Gewinner im wichtigsten Slam-Event des Jahres 2012
zeichnen sich durch besinnliche und introvertierte Auto-Bio-Prosageschichten
aus, in denen nur noch in der Conclusio einige gereimte Rapzeilen auftauchen.
Da kann es auch kein Zufall sein, dass es sowohl im Beitrag
von Jule Weber (Siegerin in der Kategorie U 20) als auch in dem von Jarawan um “kleine
Brüste” ging. Ängste um die Weiblichkeit. Ängste um die Männlichkeit?
Nun, bei Jarawan geht es um die Brustwarzen, die Batman
(schon seit 1995) trotz seines dicken Körperpanzers sehen lässt. Sollte es sich
dabei um die Angst vor der Verweiblichung beziehungsweise Verweichlichung des
Mannes handeln? Das Thema ist in: Auch der letzte SPIEGEL im alten Jahr widmet
seine Titelgeschichte der “Männerdämmerung”.
“Es ist nicht notwendig, dass Du aus dem Haus gehst. Bleib
bei Deinem Tisch und horche. Horche nicht einmal, warte bis es Dich bedrängt.
Warte nicht einmal, sei völlig still und allein. Anbieten wird sich Dir die
Welt zur Entlarvung, sie kann nicht anders, verzückt wird sie sich vor Dir
winden.”
»Ach«,
sagte die Maus, »die Welt wird enger mit jedem Tag. Zuerst war sie so breit,
daß ich Angst hatte, ich lief weiter und war glücklich, daß ich endlich rechts
und links in der Ferne Mauern sah, aber diese langen Mauern eilen so schnell
aufeinander zu, daß ich schon im letzten Zimmer bin, und dort im Winkel steht
die Falle, in die ich laufe.« – »Du mußt nur die Laufrichtung ändern«, sagte
die Katze und fraß sie.
Bei all dem Fernsehelend zu Weihnachten habe ich mich
gefragt, was wohl der beste deutsche Weihnachtsfilm sein könnte. Dabei bin ich
bei Wikipedia auf eine Liste der Weihnachtsfilme aller Zeiten (also der letzten
hundert Jahre) gestoßen.
Was an dieser Liste sofort auffällt, ist die absolute
Vorherrschaft der US-Produktionen. Mehr als 90% aller Weihnachtsfilme stammen
aus Amerika, und sie verteilen sich über alle Genres: Es gibt
Weihnachts-Western, Weihnachts-Horrorfilme etc. etc. Aber beim Großteil handelt
es sich um Weihnachtskomödien für die ganze Familie. Ich will darüber nicht
mäkeln; es gibt vergnügliche und respektable Filme darunter.
Von der Handvoll deutscher Filme sind die meisten als
Kinderfilme gemacht und oft von erbärmlicher Albernheit. Ich wollte schon
aufgeben, aber da klickte ich diesen deutsch-österreichischen Film an: Das ewige Lied (1997) des bayerischen Regisseurs Franz Xaver Bogner. Nie gehört, nie
gesehen.
Es scheint sich um eine Art Weihnachtskrimi zu handeln, in
dem aber auch die Geschichte der Entstehung des bekanntesten deutschen
Weihnachtsliedes erzählt wird: Stille Nacht, heilige Nacht. Das Ganze spielt im
Jahre 1818 in Oberndorf bei Salzburg, einer Stadt, die kurz vorher nach der napoleonischen Zeit in
eine bayerische und eine österreichische Hälfte geteilt worden war.
Das folgende YouTube-Fragment zeigt nur das stimmungsvolle
(nicht: kitschige) Happy Ending des Films mit der Entstehung des Liedes; vorab
muss es allerlei Turbulenzen gegeben haben. Nach ein wenig Gegoogle bin ich zu
der Überzeugung gekommen, dass dies der beste deutsche Weihnachtsfilm sein
muss.
Leider ist er im diesjährigen TV-Programm nur bei entlegenen
Sendern und zu unmöglichen Spielzeiten zu sehen. Aber manche Leute verfügen ja
über eine Satellitenantenne und einen Rekorder.
Was die Wikipedia-Liste betrifft, bin ich etwas skeptisch.
Sollte es denn keine wunderbaren russischen, schwedischen, italienischen
oder südamerikanischen Weihnachtsfilme geben?
Dieser Film ist in den deutschen Fernsehprogrammen zwischen
dem 22. und 27. Dezember sage und schreibe sechzehn Mal zu sehen, öfter als
Sissi. Ich selber habe ihn auch schon mindestens ein halbes Dutzend Mal gesehen.
Er ist wirklich ganz süß. Das liegt an der liebenswerten tschechischen Märchenfilmästhetik.
In der ZEIT
dieser Woche steht in der Rubrik "Reisen" ein enthusiastischer Artikel des Schriftstellers Stefan Beuse, der sich als Junge in die Hauptdarstellerin Libuše Šafránková verliebt
hat, verständlich:
Durch den Artikel wurde mir zum ersten Mal klar, wo der Film gedreht
worden ist: u.a. bei Schloss Moritzburg in der Nähe von Dresden, seit Jahrzehnten
ein Kultort für die Liebhaber dieses Films. Das war mir als ignorantem Wessi
noch nicht aufgefallen, und ich muss da auch wohl mal hin.
Der Film beruht
auf einer Variante des Grimmschen Märchens der tschechischen Schriftstellerin Božena Němcová (Barbara Pankel, 1820-1862),
die den Stoff mit dem Motiv der drei Haselnüsse verbindet. So, jetzt muss ich aufhören. Der Film fängt in einer Viertelstunde an
(14:55 Uhr im ersten Programm).
Es war ein
junger Hirt, der wollte gern heiraten und kannte drei Schwestern, davon war eine
so schön wie die andere, dass ihm die Wahl schwer wurde und er sich nicht
entschließen konnte, einer davon den Vorzug zu geben. Da fragte er seine Mutter
um Rat, die sprach: »Lad alle drei ein und setz ihnen Käs vor, und hab acht,
wie sie ihn anschneiden.« Das tat der Jüngling, die erste aber verschlang den
Käs mit der Rinde: die zweite schnitt in der Hast die Rinde vom Käs ab, weil
sie aber so hastig war, ließ sie noch viel Gutes daran und warf das mit weg: die
dritte schälte ordentlich die Rinde ab, nicht zu viel und nicht zu wenig. Der
Hirt erzählte das alles seiner Mutter, da sprach sie: »Nimm die dritte zu
deiner Frau.« Das tat er und lebte zufrieden und glücklich mit ihr.
Ich liebe ja
kleine Geschichten. Sie sind vielleicht weniger simpel als es scheint.
Jedenfalls stellt sich mir die Frage, wie das Leben des jungen Hirten verlaufen
wäre, hätte er sich – nicht dem Rat
seiner Mutter folgend – für die erste oder zweite Schwester entschieden. Beide
scheinen auch ihre Qualitäten zu haben, und die dritte wirkt doch ein wenig
langweilig, oder?
Drei völlig verschiedene Zauberflöten, die gleichzeitig
laufen. Was für Bilderwelten! Hier nur ein paar kurze Fragmente, die die
unterschiedlichen Inszenierungen und Interpretationen andeuten:
-Amsterdam, Muziektheater. Hierzu gab es bereits
einen Beitrag in Café Deutschland, da ich die Oper selbst gesehen habe. Ich
habe aber einen neuen Youtube-Film gefunden. Diese Inszenierung scheint mir die
interessanteste und avancierteste der drei zu sein.
Die schönste Graphic Novel, die ein Thema der deutschen
Geschichte und Literaturgeschichte mit Bildern erzählt, ist “Die letzten Tage von Stefan Zweig” (2012) von Guillaume Sorel und Laurent Seksik. Sie beruht auf
dem in Frankreich sehr erfolgreichen Roman “Vorgefühl der nahen Nacht” und ist
von dem französischen Autor Seksik selbst in ein Graphic-Novel-Szenario
umgesetzt worden.
Stefan Zweigs Exil verlief über die Stationen London (1934) ,
New York, Paraguay, Argentinien, Brasilien (1940), wo er sich 1942 zusammen mit
seiner zweiten Frau, der 30 Jahre jüngeren Charlotte Altmann, das Leben nahm.
Diese letzte Phase seines Lebens ist das Thema der Graphic Novel.
Der Zeichner Guillaume Sorel war bisher mehr für
fantasy-artige Comics bekannt und hat jetzt für diesen außerordentlich schönen
großformatigen Band einen neuen realistischen Aquarellstil entwickelt. Mit
einer Mischung aus düsteren und hellen Farbenfängt er die triste Atmosphäre von Zweigs Exilaufenthalt im lebensfrohen
und naturschönen Brasilien bis zum gemeinsamen Selbstmord mit Lotte ein.
Die deutsche Ausgabe kostet 24 Euro, die niederländische
(Casterman Verlag) 17,50. Dieses Buch ist ein Kunstwerk, aber es ist zu
befürchten, dass deutsche Leser und Intellektuelle , die sich für Zweig
interessieren, es nicht kaufen werden, weil sie die Gattung Graphic Novel für minderwertig
halten. Dies ist die Gelegenheit, das Vorurteil zu überwinden. Wer noch ein schönes
Weihnachtsgeschenk sucht: Dies ist mein Tipp.
Auf der Website StoryCorps werden kleine Geschichten
erzählt, die sich wirklich zugetragen haben:
“StoryCorps is an
independent nonprofit whose mission is to provide Americans of all backgrounds
and beliefs with the opportunity to record, share, and preserve the stories of
our lives. Since 2003, StoryCorps has collected and archived more than 40,000 interviews
from nearly 80,000 participants. Each conversation is recorded on a free CD to
share, and is preserved at the American Folklife Center at the Library of
Congress. StoryCorps is one of the largest oral history projects of its kind,
and millions listen to our weekly broadcasts on NPR’s Morning Edition and on our Listen
pages.”
In der Rubrik Animated Shorts werden die Geschichten mit
einem Trickfilm verbunden. Hier habe ich die folgende traurige kleine
Geschichte gefunden:
Beim Betreten des Saales eine Enttäuschung: die Bühne war öd
und leer. Kein Vorhang, keine Kulissen. Nur eine graue, tiefe Fläche, ganz wie
die eintönige Polderlandschaft, die wir gerade im Zug am Tage der Eröffnung der
neuen Hanse-Linie (9. Dezember) durchquert hatten.
Was uns erwartete, war aber ein Wunderwerk aus einfachster
und modernster Bühnentechnik (Regie: Simon McBurney), eine Zauberflöte des 21. Jahrhunderts.
Die hymnische Rezension in der gestrigen NRC beschreibt viele dieser schönen
kleinen und großen Wunder, vergisst aber das wichtigste: Im Zentrum der Bühne
hängt an vier Stahlseilen ein quadratisches Podium von ca. acht mal acht
Metern, eine Bühne auf der Bühne, die sich in beliebige Stellungen und Höhen
bringen lässt. Sie dient der Darstellung der verschiedenen Handlungsorte. Mal
ist sie Berghang, Abgrund, Kellergewölbe, Himmel, mal Bondage-Wand (Anklänge an
Fifty Shades of Grey), mal riesiger Verhandlungstisch von Sarastros
Eingeweihten. Und durchgehend zeigt sie, leicht schwankend, den unsicheren
Boden, auf dem die Figuren sich bewegen.
Das schwebende Podium
Dieses überaus einfache Bühnenelement bringt mit seinem Auf
und Ab und in Kombination mit digital avancierter Kulissentechnik eine Dynamik und
handlungsadäquate Bedrohlichkeit in die Aufführung, wie ich es bei der
Zauberflöte noch nie erlebt habe.
Die Wasser-Probe
Der Verzicht auf sichtbare Freimaurersymbolik
und Eingeweihtenmystik, auch bei der Kleidung, die einheitlich und jetztzeitlich
ist, befreit die Oper bei fast völliger Texttreue von Kitsch und
Unzeitgemäßheit. Das ist absolut verblüffend!
Sarastro hält seine Rede an die Eingeweihten mit dem Mikrophon in der Hand vom Pult des
Dirigenten aus, und er richtet sie an das gesamte Opernpublikum. Die Priester,
der Chor und die Statisten sitzen auf einmal gleichfalls in bühnenfüllenden
Stuhlreihen auf der Bühne, und der ganze Saal wird zu der Versammlung, die
“eine der wichtigsten unserer Zeit” ist. Ein kleiner Eingriff in den Text lässt
das Publikum verstehen und erheitert es: “Wir alle leben in Zeiten der Krise”.
Anlässe zur Heiterkeit gibt es in dieser Inszenierung mehr als sonst, nicht nur bei den
Auftritten von Papageno.
Alle Beteiligten, die sonst bei einer Oper versteckt werden:
die Musiker, die Bild- und Tontechniker, die Bühnenarbeiter sind jederzeit
sichtbar und es wird gezeigt, was sie tun. Taminos Flöte wird aus dem Orchester
heraufgereicht und nicht Tamino spielt sie, sondern der Flötist kommt herauf.
Ein Hauch von epischem Theater dient sich an, aber all das ist irgendwie
wärmer als bei Brecht.
Die Mitarbeiter, ob Solo- oder Chorsänger, ob Tänzer, ob
Statist, bringen ein gemeinsames Produkt zur Aufführung und sind darin
gleichberechtigt: eine geniale Umsetzung des niederländischen Poldermodells in die künstlerische Welt der Oper.
Was die Sänger betrifft: Christina Landshamer war eine
großartige Pamina, Brindley Sherrat ein guter Sarastro und Marc Albrecht ein
flotter Dirigent. Mehr kann ich hier und heute nicht schreiben.
Zu den vielen Wundern dieser Aufführung lese man die
Rezension in der NRC oder diese Rezension bei Dradio, deren Kritik ich im
übrigen nicht teile. Der innovative Regisseur Simon McBurney gibt auf Youtube
Auskunft zum Making Of:
Der große Fußgänger Peter Handke ist heute 70 Jahre alt
geworden. Er geht durch die Welt und schreibt. Ich lese ihn gerne.
Im Literarischen Quartett vom 12.10.1989 wurde heftig über
seinen “Versuch über die Müdigkeit” gestritten. Auf welche Seite würden Sie
sich schlagen? (Das Gespräch über Handke beginnt in Minute 23:22 und dauert
eine Viertelstunde.)
Wer Interesse und mehr Zeit hat, kann sich das einstündige Gespräch
Volker Panzers mit Handke aus dem Jahr 2008 anhören, bei dem Handke nach jahrelangem
Schweigen bzw. Poltern sehr gelöst ins Reden kommt.
Für Handke-Anfänger empfiehlt der Autor in dem Gespräch seinen Roman “Die morawische Nacht” (2008).
Mein Lieblingsbuch von ihm ist “Mein Jahr in der Niemandsbucht”
(1994). Mein Lieblingsstück nach wie vor: “Publikumsbeschimpfung” (1966).
Mit Wolfgang Schäubles Bekenntnis zu Sisyphos hat
Deutschland doch noch einen Anhänger des griechischen Geistes: Siehe den FAZ-Bericht zu Schäuble bei Beckmann. Wir müssen uns
Schäuble als einen glücklichen Menschen vorstellen.
“The Tyranny of Greece over Germany”: Der kuriose Titel
dieses 1934 in England erschienenen Buches von Eliza Butler ist in den
letzten zwei Jahren wiederholt in einem uneigentlichen Zusammenhang mit der Griechenland-Krise
zitiert worden, zum Beispiel von einem empörten Griechen, der keine Ahnung vom
Inhalt des Buches hatte, aber den heutigen Deutschen noch einmal unter die Nase
reiben will, was ihre Vorfahren seinem Land im Zweiten Weltkrieg angetan haben.
Ich hatte noch nie von diesem Buch gehört, bis ich dem Titel
im letzten “Spiegel” begegnete, wiederum im Zusammenhang mit der
Griechenland-Krise. Da habe ich mich auf die Suche gemacht. Erst der Untertitel
zeigt, worum es geht: “A study of the influence exercised by Greek art and
poetry over the great German writers of the eighteenth, nineteenth and
twentieth centuries”.
Die englische Germanistin Eliza Butler (1885-1959) war ihr
Leben lang von einer Hassliebe zu Deutschland und den Deutschen bestimmt. Ihr
germanophiler irischer Vater hatte seine drei Töchter gegen den Willen der
Mutter auf ein Internat nach Hannover geschickt. Das führte bei Eliza schon als
Kind zu einer Grundhaltung von Hass und Ekel in Bezug auf ihre deutschen
Mitschülerinnen. Da sie nun aber schon einmal gut Deutsch konnte, wurde sie
Deutschlehrerin und Germanistin mit längeren Aufenthalten in verschiedenen
deutschen Städten und schließlich Professorin in Manchester und Cambridge.
Nach der Machtergreifung Hitlers schrieb sie das oben
genannte Werk, in dem sie die Theorie einer Selbstversklavung der Deutschen
unter den griechischen Geist entwickelte. So hätten die Deutschen schon im 18.
Jahrhundert die radikale Unterordnung unter eine Idee entwickelt, die im 20.
Jahrhundert so schreckliche Folgen zeitigte. Auch beider Autorin ist der Titel des Buches also
uneigentlich gemeint. Das Buch scheint absolut nicht dumm und obskur zu sein,
wenn auch methodologisch fragwürdig. Die Nazis haben 1935 verhindert, dass es
auf Deutsch erscheinen konnte. Bei einem Besuch Deutschlands 1948 fand Butler
in den zerstörten Städten “a kind of beauty, as if Berlin had found her soul in
the surrounding chaos”(Paper Boats, 189). Butler beschreibt ihre Geschichte in
ihrer Autobiographie “Paper Boats” (1959). Einen kurzen Überblick über Butlers
Leben und Denken gibt Sandra Peacock in ihrem Artikel “Struggling with the daimon: Eliza M. Butler on Germany and Germans” (2005).
Erst nach dem Krieg erschien 1948 eine gekürzte deutsche Ausgabe
unter dem verfälschenden Titel “Deutsche im Banne Griechenlands”, die kaum
Aufmerksamkeit gefunden hat. Weitere deutsche Ausgaben und eine Rezeptionsgeschichte
durch die deutsche Germanistik scheint es nicht gegeben zu haben. Das finde ich
verwunderlich, da Butler sich völlig auf die großen deutschen Dichter und
Denker Winckelmann, Lessing, Herder, Goethe, Schiller, Hölderlin und Heine
konzentriert und ihre Botschaft über die sklavische Eigenart aller Deutschen nur indirekt vermittelt,
was auch für das englische Publikum nicht so einfach herauszulesen gewesen sein
mag. In der angelsächsischen Welt dagegen hat es immer wieder
Neuausgaben des Buches gegeben, zuletzt 2006 und 2012, und mit der
amerikanischen Historikerin Suzanne Marchand (“Down from Olympus”, 1996) auch
eine methodologische Fortentwicklung des Ansatzes von Eliza Butler. So ist das
Werk eine bedeutende Quelle des angelsächsischens Denkens über Germany und
Germanness geworden, die man kritisieren, aber nicht ignorieren sollte.
Das Buch wird auch in der aktuellen Situation der
griechisch-europäischen Schuldenkrise in England (wieder) ernst genommen. So
attestiert eine Rezension im London Review of Books zum einen den heutigen Deutschen, nichts mehr mit der alten
Unterwerfung unter ein Ideal zu tun haben zu wollen und stellt zum anderen eine
Verbindung zum positiven Umgang mit Griechenland und Greekness in der jetzigen
Krise her.
Ich persönlich bin immer noch perplex, dass mir dieses Buch
in all den Jahren meiner Beschäftigung mit Germanness
in den Augen anderer noch nie begegnet ist, und eben auch nie in einem
germanistischen Zusammenhang. Aber deutsche Germanisten lesen wohl auch heute
noch nur deutsche Untersuchungen über
deutsche Dichter und Denker. Wir - ein deutsches und europäisches Wir - sollten aber wissen, auf welcher Grundlage englische und
amerikanische Intellektuelle ihr heutiges Bild über Deutschland und die Deutschen
entwickeln. Und uns dazu äußern.
Vermischen sich die Welten? Als ich die Wochenendausgabe der
niederländischen NRC las, traf ich auf dieses Foto und dachte: Ah, Beatrix! Liegt’s an mir, liegt’s an ihr, liegt’s an meinem Blog? Oder einfach am Wetter?
“Die Verwienerung
Berlin schreitet so und so fort – und das ist gut so.”
Die kultivierte Österreicherin Marianne Sajdik, von der
dieser Satz stammt, hat in Berlin einen Wiener Salon eröffnet, in dem sie, ganz in der Tradition der Berliner Romantik,
Künstlern und Kulturschaffenden einen gepflegten Treffpunkt bietet.
Sie hat Stil, allerdings einen völlig unberlinischen. Berlin
wird auch das überleben:
Wer dagegen nur einfach mal in Berlin ein echtes Wiener Schnitzel essen will, dem sei das Wiener Beisl in der Kantstraße empfohlen:
Wiener Küche und echt österreichische Bedienung.
Wo liegen die Quellen der deutschen Kreativität? Richtig: im
deutschen Gymnasium und in der deutschen Provinz. Beide sind so öde, dass lebendige
Geister sich nur unter konvulsivischen Zuckungen davon befreien können und – bei
hinreichendem Talent - auf diese Weise den Ort finden, an dem sie sich zum Ausdruck bringen.
Damit es nicht heißt, dass Café Deutschland sich nur mit der
(allerdings unausschöpfbaren) Berliner Szene beschäftigt, propagiere ich heute
eine völlig unbekannte Gruppe aus der Provinz (genauer: aus Wunstorf), die sich
sicher auch bald nach Berlin aufmachen wird: Marwin, Stefan und Timo mit ihrer
Band Monster Munch. Ich habe sie auf der Website Neue-bands.de gefunden. Es
gibt ein frei zugängliches Digital-Album von ihnen mit sieben Songs, davon vier
auf Deutsch.
Bei meiner Suche nach sehenswerten deutschen Kurzfilmen bin
ich auf “Staplerfahrer Klaus” (2000) von Stefan Prehn und Jörg Wagner gestoßen.
Am Anfang scheint es sich um einen Lehrfilm für Gabelstaplerfahrer (schönes
deutsches Wort!) zu handeln, aber die FSK-Freigabe für “ab 16” scheint auf
etwas anderes hinzudeuten. Ihr seid gewarnt!
Es lebe Matthias
Koeppel und seine ingeniöse Sprachschöpfung „Starckdeutsch".
„Das
Starckdeutsche ist durch seinen vokalkräftigen und konsonantenverstärkten
Charakter weniger zum stillen Lesen als zum lauten Vortrag von Gedichten
geeignet.“ (Wikipedia)
Ja, das stimmt,
setzt aber ein gehöriges Maß an Übung voraus. Diese Übung lässt sich auch durch
stilles Lesen erreichen, wenn man akzeptiert, dass sich die Urkraft der
starckdeutschen Laute über die Augen sofort in die Lippen fortsetzt, die –
zumindest leise - einfach ausdrücken wollen, was dort (ent-)steht.
Es mag ein wenig
gewöhnungsbedürftig sein, und nicht jedes Wort erschließt sich dem tastenden
Leser im ersten Versuch, der Effekt rechtfertigt jedoch die Mittel: eine ganz
ungekannte, und so bisher unempfundene Verstärckung von Sprache und Inhalt
stellt sich ein.
Hier ein
Beispiel, dass ich bei meiner Sammlung von deutschen Texten über die
Niederlande völlig übersehen hatte: Hullondüsche
Tumautn
Harrlüch! – dönckst tu, gauffßt die rauten
Glantzind pfröschn Totumauten.
Duch peim Ößßn marckstde dunn,
dißß monn gurnüxx tschmarckn kunn;
Sünd’z nonn Gorcken, sünd'z Tumautn, –
Üst öss garr oin Heunarbrautn,
pfrösch oss Hullondt ümmporturt?
Hart monn düch woll arnngeschmuurt? Überregional bekannt wurde er durch sein Gedicht zur Misere der deutschen
Architektur:
Arr, di
Arr; di Arrckitucktn -
jarr, di sünd tautul pfarrucktn.
Pauhn onz euburoll Quaduren,
vo se gurrnücht henngehuren.
Vn demm Hurz büsz ze denn Ullpn
snd di Häusur steitz di sullpn.
Duch di Arrckitucktn tschumpfn:
Onzre Pauhörrn snd di Tumpfn!
Olle zullte mon kastruren,
düßße auff ze pauhin huren;
odur stott ünn rachtn Winkuln
se dönn pauhin, wi se pinkuln.
Zu finden in:
Matthias Koeppel, Starckdeutsch. Sämtliche Gedichte. Volksausgabe, Berlin 1981
Im November vor zwei
Jahren wäre ich beinahe nach Berlin gefahren, um eine Retrospektive der „Schule der Neuen Prächtigkeit“ zu sehen. Johannes Grützke und Matthias Koeppel, die
beiden übrig gebliebenen Maler dieser Berliner Gruppe aus den siebziger Jahren
machten selbst die Führungen. Ich hatte mich sogar schon dafür angemeldet, dann
bin ich aus nichtigen Gründen zu Hause geblieben. Danach habe ich zwei, drei Mal
die Kataloge angesehen; jetzt ist mir wieder eingefallen, dass Matthias Koeppel
zeitweilig auch eine ganz besondere Variante deutscher Lyrik produziert hat: er
war der Erfinder des „Starckdeutsch“, einer vokal- und konsonantenverstärkten
Kunstsprache, die mir viel Freude gemacht hat.
Jetzt ist es
wieder November, und wieder findet in Berlin eine Grützke-Ausstellung statt. Nein, gleich mehrere: Er ist dieses Jahr 75 geworden.
Von Johannes Grützke hatte ich als Student mein erstes Original-Kunstwerk gekauft, eine
kleine Radierung, auf der ein angewinkelter Ellenbogen und das unvermeidliche
verzerrte Gesicht Grützkes zu sehen waren. Grützkes Bilder hatten es mir
angetan; wieso wusste ich damals nicht genau. Meine damalige und heutige Frau,
mit der ich in Geschmacksfragen meist übereinstimme, fand und findet Grützke
ganz schrecklich. Ich mag ihn immer noch. Mein besagtes erstes Original hat sie
damals auf dem Flughafen in Düsseldorf stehen lassen, unabsichtlich natürlich.
Wenn ich in die Gegend komme, schaue ich mich immer noch um, ob es nicht
irgendwo auftaucht. Grützke hält sich
internetmäßig sehr zurück. Seine Website oder „Heimseite“ wie es dort heißt,
wird von einem Mittelsmann unterhalten, da der Meister ja malen muss. Dort
finden sich mal mehr mal weniger aktuelle Werke, im Moment eher weniger: www.johannesgruetzke.de/ .
Meine Lieblingsbilder
waren damals diese beiden:
Außer “The Fuhrer’s Face” hat Walt Disney 1943 noch einen weiteren Anti-Nazifilm gemacht:
„Education for Death“. In diesem Zeichentrickfilm lässt er nicht Donald &
Co. figurieren, sondern versucht sich an einem politisch-didaktischen
realistischen Film über Erziehung im Nationalsozialismus. Als Grundlage benutzte
er das gerade erschienene Buch „Education for Death. The Making of the Nazi“
von Gregor Ziemer. Der Film sollte offenbar auch eine Werbung für das Buch
sein:
Ziemers Buch ist
übrigens im selben Jahr auch von Edward Dmytryk unter dem Titel „Hitler’s Children“
verfilmt worden.
Als Jugendlicher war ich der Mau-Mau-König von Leer. Nicht
dass ich irgendwelche Wettkämpfe gewonnen hätte; es fiel nur im Kreise meiner
Freunde auf, dass ich sehr häufig gewann.
Bei Skat hatte ich dagegen keine Chance. Ich kann und mag es
noch heute nicht. Wahrscheinlich, weil man bei diesem Spiel gut bei der Sache
bleiben und sich die ausgespielten Karten merken muss. Bei Mau Mau brauchst du
im Prinzip nur die Karten mechanisch abzuwerfen und ab und zu ein klein wenig
aufzupassen. Das liegt mir mehr. Dann kann man auch mal an was anderes denken
oder sich in der Kneipe umgucken. Trotzdem ist es ein schönes Kartenspiel, dass
wahrscheinlich alle nach dem Krieg geborenen Deutschen kennen. Und in den Niederlanden
wahrscheinlich kaum jemand.
Deshalb installiere ich heute das Label “Spieltisch” im Café
Deutschland und fülle es mit einem Online-Mau-Mau-Spiel. Die Regeln findet ihr
im Wikipedia-Artikel. Dazu genügen die Abschnitte “Die Grundregeln” und “Weitere
Regeln”. Die ellenlangen Varianten könnt ihr vergessen.
Das Wort Halloween ist für mich und meine deutsche Generation
vor allem mit dem gleichnamigen großartigen Horrorfilm (1978) von John
Carpenter verbunden. Die jüngeren deutschen und niederländischen Generationen üben sich dagegen in
der globalisierenden Adaption einer schönen amerikanischen Tradition.
Als ich letztens mal zu ganz anderen Zwecken einen Kürbis zu zerteilen versuchte,
wurde mir klar, welchen Gefahren die amerikanischen Hausfrauen & Co sich damit
aussetzen. Aber die tun das schon seit Generationen. Die jungen deutschen
Frauen dagegen müssen noch üben, und das Resultat lässt auch zu wünschen übrig:
Die australische Regisseurin Cate Shortland hat mit “Lore”(2012)
einen ungewöhnlichen Film zur unmittelbaren Nachkriegszeit gedreht. Das Drehbuch von “Lore” beruht auf dem Roman “The Dark Room” (2001) von Rachel Seiffert (deutsch:
Die dunkle Kammer, 2001): eine subtile Verfilmung eines subtilen Romans über die ideologisch verhetzten
Kinder der Täter in den Trümmern des Dritten Reiches.
Deutscher Kinostart: 1. November. Der Film kommt nicht in
die niederländischen Kinos.
Wir hörten Klagen
aus Deutschland, dass der legendäre „Dodenrit“ (Trojka!) von Drs. P dort nicht mehr
(auf YouTube?) verfügbar ist. Zum Trost bietet Café Deutschland sein
Groningen-Video (das hoffentlich nicht gesperrt ist).
Wir wollten
unseren auswärtigen Besuchern schon immer mal einen Eindruck vom Heimatort des
virtuellen „Café Deutschland“ verschaffen. Und wer könnte dazu
geeigneter sein als der niederländische Allround-Künstler Drs. P, ein in der
Schweiz geborener Mann mit österreichischem Vater und niederländischer Mutter,
der während der Besatzungszeit beinahe von den Deutschen füsiliert worden wäre
(hätte er keinen Schweizer Pass gehabt!). Drs. P, "Groningen" (1983):
Eine schöne Koinzidenz: Fast am selben Tag kommen ein
außergewöhnlicher Film und ein außergewöhnlicher Roman heraus, die das Wort “Atlas”
im Titel tragen und auch sonst einiges gemeinsam zu haben scheinen: “Cloud
Atlas” von Tom Tykwer und Andy Wachowski und “Atlas eines ängstlichen Mannes”des österreichischen Schriftstellers
Christoph Ransmayr.
Ich kenne den zugrundeliegenden Roman “The Cloud Atlas” (2006) von
David Mitchell und vermute von den ersten Rezensionen von Ransmayrs Buch her,
dass es sich hier um zwei verwandte und ambitiöse Versuche handelt, unsere
Gegenwart in künstlerischer Form zu erfassen. Dazu werde ich weitere Beiträge
schreiben.
Der Film aus den Händen von Tywker (“Lola rennt”) und den
beiden Wachowskis (“The Matrix”) hat schon begeisterte Reaktionen ausgelöst. Hier ist der Trailer:
“Cloud Atlas” läuft in Deutschland am 15. November an, in
den Niederlanden am 29. November.
Am 17. September 1966 startete im deutschen Fernsehen die
Science-Fiction-Serie “Raumpatrouille – Die phantastischen Abenteuer des Raumschiffs Orion” : am Samstagabend im Hauptprogramm! Für mich als junger Science-Fiction-Fan
war das ein denkwürdiger Tag. Science Fiction fand in Westdeutschland in der
Zeit vor allem in den Roman-Reihen des Heyne- und Goldmann-Verlages statt und
in den Perry-Rhodan-Heften. Das waren Nischen der Trivialliteratur, zu denen
man sich als Gymnasiast nicht zu bekennen wagte.
Raumschiff Orion
Nun wurde das Genre vom Fernsehen geadelt! Natürlich habe
ich dann alle sieben Folgen gesehen. Die Serie war auch ein großer Erfolg bei
vielen Zuschauern, die mit Science Fiction eigentlich nichts am Hut hatten. Bei
aller Begeisterung fand ich doch viele Schwächen in den Filmen, die mich damals
geärgert haben, aber heute beim Wiedersehen amüsieren.
Der Start der deutschen Serie kam übrigens nur knapp zehn
Tage nach der ersten Folge von “Star Trek” in den USA, die in Westdeutschland erst
1972 unter dem Titel “Raumschiff Enterprise” gesendet wurde. “Star Trek” hatte
zunächst keinen besonderen Erfolg; das sollte sich aber bald ändern.
“Raumschiff Orion” dagegen hatte keine Folgestaffeln. Schade
eigentlich, denn so viel schlechter als “Star Trek” waren sie nicht.
Wahrscheinlich lag es daran, dass die eingebackene amerikanische Go-West-Ideologie
des “The final frontier … To boldly go where no man has gone before” in Deutschland
keine Entsprechung hatte (das deutsche Go-East konnte man ja schlecht romantisch
überhöhen). Und auch die Propagierung des Meltingpots und des friedlichen
Miteinanders der Rassen war in Deutschland noch kein Thema.
Wem das zuviel ist, der kann sich hier mit zwei kurzen
Sequenzen einen Eindruck verschaffen. Der Raumflughafen auf der Erde lag aus
für mich im Moment unerfindlichen Gründen am Boden des Ozeans. Der Start der
Raumschiffe erfolgte also aus dem Wasser heraus. Das fand ich damals durchaus
eindrucksvoll:
Die Serie widmte sich auch den zukünftigen gesellschaftlichen Entwicklungen
von Mode und Freizeit. Die Kadetten der Raumflotte
konnten sich im “Starlight Casino” unter der gläsernen Kuppel in der Tiefsee dem Alkohol und dem Tanzvergnügen widmen.
Ein Fan hat sich die Mühe gemacht, die Zukunftstänze der sieben Folgen in
YouTube auf die Reihe zu bringen. Auch das hat damals durchaus Aufsehen erregt und begeistert die Fans noch heute:
Von weitem wirkt der Kopf wie eine der unerklärlichen Statuen
von den Oster-Inseln: Der Herkules auf dem Nordsternturm in hundert Meter Höhe
ist kilometerweit sichtbar und gibt der ganzen Region ein Geheimnis. Der
Schacht II der ehemaligen Kohlenzeche Nordstern in Gelsenkirchen-Horst ist mit vier neuen, gläsernen
Etagen gekrönt worden, und darauf erhebt sich die achtzehn Meter hohe Figur.
Ein herkulisches Werk in einer herkulischen Landschaft. Ich habe es am letzten
Wochenende zum ersten Mal aus der Nähe gesehen.
Oben auf der Aussichtsplattform wendet uns Herkules sein Hinterteil zu:
Aus dem grauen Industrierevier der fünfziger Jahre ist ein
halbes Jahrhundert später im Rahmen der Kulturhauptstadtplanung für 2010 eine riesige Parkanlage entstanden, über die Markus Lüpertz'
neuer Herkules wacht. Er trotzt dem kleingeistigen Gezeter vieler Besucher, die
ihm seinen Ort und seine Aufgabe nicht gönnen. Der folgende Film zeigt uns seine Entstehung: