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Mittwoch, 31. August 2016

Ein „Wunderwesen von Roman“ – Ijoma Mangold zu Christian Krachts „Die Toten“

Ijoma Mangold, DIE ZEIT
Nun ja: Denis Scheck sprach in der Nacht zum Montag von einer „Revolution“ für die Literatur, ohne den Vorhang vor dem bereits gedruckten, aber noch nicht käuflichen Spektakel auch nur einen Spalt zu öffnen. Nun redet Ijoma Mangold, der Literaturchef der ZEIT, in der dieswöchigen Ausgabe von einem „außerordentlichen Kunstwerk” und annonciert uns ein “Wunderwesen von Roman”.

Im Gegensatz zu Scheck öffnet Mangold den Vorhang weit und gibt uns spannende Einblicke in das kommende Buch von Christian Kracht mit dem Titel "Die Toten". Dazu kann ich erst etwas sagen, wenn ich ab dem 8. September über den Roman verfüge.
Kracht hat zuletzt vor vier Jahren mit dem Roman "Imperium" Furore gemacht, mit dem ich mich ausführlich beschäftigt habe. Die Vorschusslorbeeren für das neue Buch übersteigen alles, was ich bisher mitgemacht habe.


Wenn das alles so ist, wofür ist dann der “Deutsche Buchpreis” da?Die Jury hat diesen Roman nicht einmal in ihre blöd-bunte Longlist aufgenommen, in der weitere große Romane des Jahres fehlen.

Montag, 29. August 2016

Denis Scheck „bespricht“ den Roman „Die Toten“ von Christian Kracht.


Das Verb „besprechen“ hat zwei Bedeutungen: eine davon betrifft das magisch-beschwörende Heilen von Krankheiten. In diesem Sinne hat Denis Scheck heute  - passenderweise um Mitternacht - in der Sendung „druckfrisch“ (ARD) den neuen Roman von Christian Kracht „besprochen“. Er gebraucht dabei feuilletonistische Beschwörungsformeln wie „fulminant“ und „brillant“ und spricht am Ende gar von einer „Revolution“ für die Literatur.


Scheck inszeniert das Ritual im Gespräch mit dem vollbärtigen Barden Christian Kracht auf einer Straße irgendwo in Los Angeles. Wir erfahren dabei den Titel des neuen Buches: “Die Toten” und - oijoijoii! - daß Charlie Chaplin darin in Japan einen Mord begeht. Sonst eigentlich nichts! Der Roman erscheint nun einmal erst in einer Woche, und wir dürfen ja nichts verraten. Ganz im Sinne des modernen Fernsehens: viel Trara und kein Inhalt. Bravo, Denis Scheck!

Wer will, kann sich das Ganze auf "Sendung verpasst" ansehen.


Samstag, 27. August 2016

Helmut Newton - ein feministischer Fotograf (2): Die Reiterin

Eine Impression von meinem Besuch in der Newton-Ausstellung im Amsterdamer Foam-Museum:

Newton hat seine Bilder bis ins Detail künstlich und kunstvoll inszeniert. Manche Szenen sind surreal. Er scheut sich nicht, von – auf den ersten Blick - plumpen sexistischen Klischees Gebrauch zu machen, wie auf dem Schwarz-Weiß-Foto von der Frau mit dem Sattel. Der Sattel könnte das „punctum“ in diesem Bild sein (siehe meinen Beitrag zu den Fotos von August Sander). Er ist das Ungewöhnliche, denn noch niemand hat eine gesattelte Frau gesehen. Er suggeriert: die Frau soll oder will „geritten“ werden, ein ordinäres Synonym für männlich-dominanten Geschlechtsverkehr.


Helmut Newton (Titel und Jahr habe ich im Netz nicht gefunden)

Aber das optische Highlight in dem Foto ist nicht der Sattel, sondern das Gesicht der Frau, das durch die Beleuchtung hell hervorgehoben wird: glatte dunkle Haare, dunkle Lippen, schräg geschminkte Augen, schaut sie raubtierartig rechts aus dem Bild heraus, als ob sie ein dort befindliches Beutetier fixiert. Sie ist kein Opfer, jedenfalls!

Die Frau kniet, mit den Händen aufgestützt, auf einem sorgfältig gemachten bieder-bürgerlichen Ehebett mit Blümchenverzierungen und Nachttischchen links und rechts. Je länger ich hinsehe, desto größer und dominanter wirkt die Frau. Das Bett scheint zu klein für sie. (Eine Montage ist das ja nicht. Hat Newton sich ein extra kleines Bett liefern lassen? Übrigens ist auch der Sattel sehr klein!). 

Der irritierte Betrachter schaut länger und genauer. Wer wird hier reiten? Die Frau trägt einen offenherzigen schwarzen BH. Links und rechts sehen wir die Steigbügel des Sattelzeugs. Der rechte im Hintergrund hängt deutlich niedriger als der linke (damit wir ihn zwischen ihren Brüsten sehen können?). Bei näherem Hinsehen erkennen wir auch ihre Reithosen und die Reitstiefel mit Sporen. Der bügerliche Mann erstarrt: Sie ist gar nicht nicht das Reittier, sie ist die Reiterin!


Aber Alice Schwarzer hat das natürlich nicht gefallen.

Freitag, 26. August 2016

Helmut Newton – ein feministischer Fotograf?

Die provokativsten Fotos von Helmut Newton waren die BIG NUDES, die seit 1980 in Ausstellungen gezeigt wurden: lebensgroße frontale Schwarz-Weiß-Abbildungen stehender nackter Frauen, die sich in gestraffter Haltung auf hochhackigen Schuhen dem Betrachter präsentieren.

Sie sind zur Zeit (nur noch bis zum 4. September) in der großen Newton-Retrospektive im Amsterdamer “Foam”-Museum zu sehen und später dann wieder im Berliner Museum für Fotografie.

Newton hat mit diesen Bildern viel Kritik von feministischer Seite auf sich gezogen. Der Höhepunkt wurde 1993 mit Alice Schwarzers Beitrag in ihrer Zeitschrift „Emma“ erreicht. Sie bezeichnete darin die Fotos des deutschen Juden Newton als sexistisch, rassistisch und faschistisch.

Nach Newtons eigenen Angaben wurde er zu dieser Serie durch lebensgroße Fahndungsfotos von den Mitgliedern der Baader-Meinhoff-Gruppe inspiriert, die Ende der siebziger Jahre in deutschen Polizeiwachen hingen. Dies stellt einen Zusammenhang zum Thema “Gewalt” her.

Mir ist allerdings vorgestern bei meinem Besuch im “Foam” zum ersten Mal aufgefallen, dass es noch einen anderen zeitgenössischen Bezug gibt: 1977 lief der erste Star-Wars-Film in den Kinos, der Anfang einer Serie, die mit ihren modernen Märchen und den dazugehörigen Bilderwelten die Popkultur der achtziger und neunziger Jahre mitgeprägt hat. Zu den beherrschenden Bildern aus "Star Wars" gehören die “Stormtroopers”, eine Science-fiction-Kampftruppe im uniformen weißen Harnisch.



Star Wars ARTFX+ Statue Episode VII Stormtrooper
Helmut Newton, BIG NUDE III (1980)


Newtons nackte Frauen sind nicht schamhaft, weich, allein, verletzlich oder gar unterdrückt. Sie tragen ihre Nacktheit wie eine Uniform und treten dem Betrachter stark, hart und in kollektiver Macht gegenüber, nicht als Objekt männlicher Gelüste, sondern als Subjekt selbstbestimmter Erotik. Beim Vergleich der Bilderwelten von Helmut Newton und George Lukas wird der ironische Bezug, den Newton herstellt, überdeutlich. Alice Schwarzer jedenfalls hat da etwas gründlich missverstanden. Newton ist, nicht nur bei den BIG NUDES, sondern in all seinen Foto ein ironisch-genialer männlicher Befürworter der starken emanzipierten Frau.

Natürlich bin ich nicht der erste, dem diese Bezüge auffallen. Der  Fotograf Daniel Josefsohn ist damit spielerisch umgegangen und der Autor Andreas Cremonini hat einen schönen kleinen Essay dazu geschrieben.

Über Faschismus gesprochen: Die Frauenbilder der nationalsozialistischen Künstler sahen ganz anders aus. Arno Breker und Josef Thorak schufen in ihren Statuen scharfe Kontraste zwischen Männlichkeit und Weiblichkeit. Thorak ließ seine weiblichen Modelle in klassisch-antiker Nacktheit auch gerne auf den Zehenspitzen stehen (ohne hochhackige Schuhe), denn das strafft und erotisiert den Körper, aber im Gegenzug mussten sie die Knie etwas beugen sowie Arme und Kopf in hingebungsvoller Unterwerfungsgeste präsentieren. Das ist faschistische Kunst:

Josef Thorak, 194?




Dienstag, 23. August 2016

Das Jahr der dunklen Bücher – Alternative Darklist für den Deutschen Buchpreis

Die Longlist für den Deutschen Buchpreis stellt sich mir als ein buntes Sammelsurium von Romanen dar, die vielleicht - vielleicht aber auch nicht - preiswürdig sind. Ein Urteil darüber kann ich mir nicht erlauben, da viele Titel noch nicht erschienen und auch keine Rezensionen darüber verfügbar sind.

Die beiden erfolgreichsten deutschen Romane der Saison sind nicht dabei: Juli Zeh, „Unterleuten“ und Benedict Wells, „Vom Ende der Einsamkeit“. Erfolg beim Publikum gilt bei der Jury wohl als anrüchig. Nun ist zumindest „Unterleuten“ zwar unterhaltsam, aber kein großer Roman. Ist also nicht so schlimm, in diesem Fall.

Angesichts der noch Wochen anhaltenden Unübersichtlichkeit in dieser bunten Vielfalt habe ich beschlossen, eine eigene Darklist zusammenzustellen. Es handelt sich um Romane hoher Qualität, die als gemeinsames Merkmal einen besonders dunklen Umschlag haben (nach dem Motto: “Denn die einen sind im Dunkeln/Und die andern sind im 
Licht./Und man siehet die im Lichte./Die im Dunkeln sieht man nicht.”

Jedenfalls könnte jeder der folgenden Romane den Buchpreis verdient haben:


Thomas Glavinic, Der Jonas-Komplex, S. Fischer, 752 Seiten, € 24,99

Bodo Kirchhoff, Widerfahrnis, Frankfurter Verlagsanstalt, 224 Seiten, € 21.-  (1. September)

Christian Kracht, Die Toten, Kiepenheuer & Witsch, 224 Seiten, € 20.-
 (8. September)

Martin Mosebach, Mogador, Rowohlt, 368 Seiten, € 22,95

Peter Stamm, Weit über das Land, S. Fischer, 224 Seiten, € 19,99