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Mittwoch, 29. Februar 2012

Poetologie des Blogs (2): Hilfe von Botho Strauß


Botho Strauß‘ Buch Vom Aufenthalt (2009) besteht aus kurzen reflektierenden Prosastücken von zwei Zeilen bis zwei Seiten Länge, manchmal kryptisch, manchmal klar, manchmal erzählend wie eine Szene aus einem Roman, manchmal autobiografische Splitter. Immer wieder wird deutlich, dass es ein Buch über das Altern ist, über das Vergehen von Zeit und den Umgang mit dem Faktum, dass der individuelle Vorrat von Zeit mit jedem Tag zu Neige geht oder anders herum gesagt, dass der individuelle Schatz an gelebter Zeit von Tag zu Tag wächst.

Die Form dieses Buches ähnelt der Form des Blogs: die kurzen Einträge, in denen der Schreibende eine persönliche Reflexion zu einer vergangenen oder gegenwärtigen Wahrnehmung, Überlegung, Erkenntnis in Bezug auf die Gesellschaft in der wir leben und das eigene Leben in ihr formuliert. Im Unterschied zum Blog geschieht dies oft programmatisch in gewählter, kryptischer, dunkler Sprache: ein gewollter Tribut an die Literarizität dieser Texte, ein romantischer Versuch, das Banale zu erhöhen.

Als ich vor einigen Jahren mit dem Bloggen anfing, habe ich es als einen Akt des Jungbleibens verstanden, als täglich vollzogene kleine Akte der wachen Wahrnehmung der Gesellschaft um uns herum, immer präsentiert aus einer persönlichen Perspektive heraus. Und so ganz falsch ist das ja auch nicht. Nur dass ich zunächst darauf bestanden habe, dass ich das sozusagen als Jugendlicher, als Junggebliebener tun wollte. Ich musste erst darauf hingewiesen werden, dass ich de facto aus einer Altmännerperspektive schreibe und das weder verbergen kann noch muss.

Es ist ein Fischen nach Zeit, ein Aussieben der Echtzeit, um an die kostbaren Zeitkörner heranzukommen, sie hin- und her zu wenden und in ihrem Glanz die Zeit doppelt und dreifach zu erleben, das Vergehen der Zeit auszubremsen, einen Aufenthalt im Prozess der Alterns zu erwirken: das ist auch der Sinn hinter dem Titel des Buches von Strauß.

Wahrscheinlich war Proust unter den Menschen einer der dankbarsten. Er hat das Gewesene nicht einfach unter Schluchzern begraben sein lassen. Er hat sich gesagt, ein solch wunderbares Geschenk, gelebt zu haben, lässt sich nicht stumm kassieren. Man muss es in allen Einzelheiten festhalten, Revue passieren lassen, es wiederum sichten, rekapitulieren, um sich erst richtig zu wundern. Er hat etwas getan, was jeder von uns tun müsste, um nicht am Einmaligen (des Lebens) zu krepieren.
Botho Strauß, Vom Aufenthalt, München 2009, 73

Auf der Suche nach der verlorenen Zeit: das Blog ist mein Fundbüro.

Dienstag, 28. Februar 2012

Hazy Osterwald 1922-2012


Heute einmal eine Hommage an Hazy Osterwald, einen Schweizer, den ich kaum kenne, der aber immerhin 2009 den Swiss Jazz Lifetime Achievement Award erhalten hat. Sein Lebenswerk kann ich nicht einschätzen, aber ein Lied von ihm hat mich mein Leben lang begleitet:

Der “Kriminal-Tango” (1959) des Hazy-Osterwald-Sextetts hatte von Anfang an einen Riesenerfolg bei einem breiten Publikum. Ich freue mich jedes Mal, wenn ich ihn wieder höre.  Wo immer auf deutschsprachigen Fernsehsendern in den letzten fünfzig Jahren irgendetwas über die deutsche Krimisucht lief, waren garantiert ein paar Takte aus dem Kriminaltango dabei. So auch heute in den deutschen Nachrichtensendungen anlässlich des Todes von Hazy Osterwald.

Hazy hat verdient, dass wir uns den ganzen Song anhören. Nun sind die meisten Kriminaltango-Filmchen auf YouTube durch irgendwelche gestalterischen Ambitionen der Hazy-Fans aller Zeiten kontaminiert. Da habe ich lieber eine zeitnahe Version aus dem Film “Kriminaltango” (1960) von Géza von Cziffra ausgewählt, in dem der unsägliche, aber kulturell sehr authentische Peter Alexander das Lied singt:


Ein zeitgemäßes Outfit zu Schillers „Handschuh“

YouTube wimmelt von biederen und grottenschlecht-albernen Filmchen, in denen Szenen und Gedichte deutscher Klassiker dargestellt werden. Nur selten befinden sich darunter wirklich gelungene szenische Adaptionen.

Und natürlich gibt es auch klassische Interpreten wie zum Beispiel Klaus Kinski, dessen Sprechkünste in den fünfziger und sechziger Jahren des letzten Jahrhunderts viele fasziniert haben. Aber wenn man ihm heute zuhört, also ein halbes Jahrhundert später, wird auch schnell deutlich, dass das kein gegenwärtiger Sprechsound mehr sein kann.

Was also tun, wenn man auf der Suche nach adäquat-eigenzeitlichen Interpretationen klassischer Gedichte ist? Ich war eigentlich schon von dem vielen Schrott angeödet, als ich den folgenden Film zu Schillers Gedicht „Der Handschuh“ fand.

Dieser Film ist von der The Do Group produziert worden. Der – ganz ausgezeichnete - Sprecher ist der Schauspieler Johannes Brandrup, der übrigens auch das digitale Logentheater gegründet hat. Auf der Website der Do-Group finden sich weitere Beispiele für „german poetry for mobilcontent generation“, aber der Film zum Handschuh scheint mir mit Abstand der beste.


Montag, 27. Februar 2012

Poetologie des Blogs (1): In der Kürze liegt die Würze

In einem anderen Merkur-Artikel (April 2010) beschäftigt sich Michael Esders mit dem Aphorismus im politischen Marketing. Die modernen Medien zwingen zur Kürze. Das kann man negativ beurteilen: Kürze ist Vereinfachung, die Darstellung komplexer Zusammenhänge ist nicht mehr möglich, oft wird über aus dem Zusammenhang gerissene Zitate geklagt.

Das lässt sich aber auch positiv darstellen: in der klassischen Rhetorik wird die „brevitas“ gepriesen: wem es gelingt, konzis, knapp, verdichtet zu schreiben, erreicht sein Publikum besser und erzeugt größere Aufmerksamkeit. Die Gattung des Aphorismus als kurze, präzise und effektorientierte Form zeugt davon.
Speziell zum Blog schreibt Esders nur einen Satz: „Das Zitat ist eine der wichtigsten Funktionalitäten von Webforen, und in Blogs machen oft nur knapp kommentierte ‚Quotes‘ nicht selten die Substanz der Texte aus“ (Merkur Nr. 731, 361). Ergänzend dazu verweist er darauf, dass die Hyperlinkstruktur des Internet es ermöglicht, auch bei minimalem Wortgebrauch auf vorhandene Kontexte zu verweisen oder neue Kontexte zu erzeugen. Als komplementäres Phänomen zur „sentenziösen Kommunikation“  sieht Esders die von ihm bereits in anderem Zusammenhang (siehe den vorigen Beitrag) konstatierten Formen des Storytelling.

Das regt mich an, mit einer kleinen Reihe von Beiträgen zur Poetologie des Blogs zu beginnen. Ich benutze mein eigenes Blog als Analysematerial und schreibe auch meine eigenen Beobachtungen auf. Eine erste Feststellung zur Länge der Beiträge: sie reicht von einem – zitierten – Satz mit einem halben Dutzend Wörtern bis zu Texten von etwa 500 Wörtern. Als eine Art Standardlänge haben sich meine Beiträge auf einen Umfang zwischen 150 und 300 Wörtern eingependelt.

Das erscheint etwas banal für den Anfang, aber da ich die Standardlänge in diesem Beitrag bereits zu überschreiten drohe, stoppe ich jetzt.

Wozu heute Germanisten gebraucht werden

Im Merkur 728 (Januar 2010) findet sich unter dem Titel „Storytelling“ ein interessanter Artikel von Michael Esders über den Stellenwert von „Geschichten“ in der gegenwärtigen Medienwelt. Esders Thema ist die Weiterentwicklung des Erzählens in den elektronischen Medien und auf welche Weise die TV-Welt (Daily Soaps, Telenovelas, Werbung) und die Unternehmenswelt davon Gebrauch macht.

Zur Weiterentwicklung konstatiert er folgende Merkmale, die sich nur scheinbar widersprechen: Endlosigkeit des Erzählens (Scherezade-Prinzip) und sehr kurzes, „asthmatisches“ Erzählen. Es geht um Einschaltquoten und Verkaufserfolge: die Aufmerksamkeit des (potentiellen) Kunden muss immer wieder neu erregt und neu gehalten werden. Aufhören ist tödlich.
Auch Unternehmen bieten ihre Produkte in Geschichten verpackt an und probieren gleichzeitig auch, ihre Arbeitnehmer in die Gesamtgeschichte des Betriebs einzuwickeln. In einem Corporate Blog können sie sich sozusagen selbst darin einpacken und als Teil des Ganzen empfinden. Und in Zeiten des Umbruchs und der Reorganisationen helfen sogenannte Springboard Stories, die die bevorstehenden Veränderungen für die Betroffenen als spannendes Abenteuer erscheinen lassen.

Der neue kategorische Imperativ ist: „Verhalte dich so, dass Kollegen und Kunden positive Geschichten über dein Unternehmen erzählen können!“ (aus: Karin Thier, Storytelling. Eine narrative Managementmethode, Heidelberg 2005).

Interessant ist dann noch, dass – was man aus dem Merkurheft gar nicht entnehmen kann - der kluge und kritische Germanist Michael Esders sich nach seiner Promotion in die Dienste des VW-Konzerns begeben hat: als Redakteur der Internet-Werkszeitschrift Autogramm. Die Zeitung für die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Marke Volkswagen. Der Untertitel hieß in Esters Anfangsphase dort übrigens mehr blogartig: „Ideen, die bewegen“.

Freitag, 24. Februar 2012

Jazz aus Deutschland: Michael Wollny

Über Jazz, ob klassisch oder modern, weiß ich nur wenig; es ist auch nicht - mit wenigen Ausnahmen - meine Musik. Und deutscher Jazz gar: das kann ich gar nicht einschätzen. Und so hätte ich in Vor-iPad-Zeiten den Artikel in der letzten ZEIT über Michael Wollny vielleicht wohl gelesen, aber weiter nichts damit gemacht, genau wie im Fall von Terranova. Aber das Stichwort „minimalistisch“ – auch bei Terranova - weckt immer meine Neugier, da ich zum Beispiel die minimalistische Musik eines Steve Reich sehr mag.


Mit dem iPad kann ich noch während des traditionellen Zeitunglesens mir vor Augen und Ohren holen, was es mit Michael Wollny auf sich hat. Ein Foto hat mir die ZEIT schon geliefert: ein weiches, fein-scheues, halb verborgenes Gesicht. Der Rezensent der ZEIT beschreibt das sehr schön mit "die Stirn immer im Landeanflug auf die Klaviatur". Hier guckt er uns an, er weiß, dass er posiert, aber beim Klavierspiel auf den YouTube-Filmchen bekommt man fast nur seinen Hinterkopf zu sehen, so sehr kriecht er in sein Instrument hinein und gibt sich seiner Musik hin.

Wer ein Viertelstündchen Zeit hat, sollte sich seinen grandiosen Hexentanz anhören, aber lieber nicht mit kleinen PC-Lautsprechern, sondern auf einer guten Musikanlage:


Donnerstag, 23. Februar 2012

Unserdeutsch: das Pidgin-Deutsch von Neuguinea

Für heutige deutsche Ohren sind Namen wie Neumecklenburg, Neupommern und Neuhannover in der Südsee sehr exotisch, weil die kurze deutsche Kolonialgeschichte uns absolut nicht gegenwärtig ist. Um 1900 waren sie auch exotisch, aber eben als neue reale Gegebenheit in der damaligen Gegenwart; die Neugier nach diesen Gebieten war sehr groß.

Außer dem Namen Bismarck-Archipel haben die deutschen geographischen Bezeichnungen aus dieser Region den Ersten Weltkrieg nicht überlebt. Sie sind durch analoge englische Namen ersetzt worden: Neumecklenburg heißt heute New Ireland und Neupommern New Britain, Namen die trotz der Unabhängigkeit von Papua-Neuguinea 1975 noch immer Bestand haben, ein Umstand, der vielleicht auch auf den besonderen und nachhaltigen Charakter des englischen Kolonialreichs hinweist.

Hier ist eine Karte von Deutsch-Neuguinea mit den geographischen Bezeichnungen, die von 1899 bis 1919 gebräuchlich waren:




Der Ort Herbertshöhe auf der Insel Neupommern war von 1899 bis 1910 der Sitz des deutschen Gouverneurs von Deutsch-Neuguinea und zugleich der Ausgangspunkt einer von den Deutschen dort eingeführten vereinfachten Verständigungssprache für die Einheimischen, die „Unserdeutsch“ genannt wurde. Herbertshöhe ist auch der Ort, an dem der Held des Romans „Imperium“ von Christian Kracht in Neuguinea ankommt.
Als ich mich anlässlich eines Vortrags über die Maler der Brücke am Rande ein wenig mit den Reisen deutscher Künstler nach Deutsch-Neuguinea beschäftigt habe, stieß ich zu meiner Überraschung auf diese reale Existenz eines Pidgin-Deutsch, von dem ich noch nie gehört hatte. Sogar noch im heutigen Papua Neuguinea hat sich das sogenannte Unserdeutsch in einer Gruppe von inzwischen weniger als 100 Sprechern erhalten.

Die Gesellschaft für bedrohte Sprachen und einige Uni-Projekte kümmern sich um die Dokumentation und Erhaltung dieser aussterbenden schlichten Variante der deutschen Sprache. Vielleicht wäre das auch eine Option für manche niederländische Universitäten.

Wladimir Kaminer in Prenzlauer Berg

In de zomer van 1990, negen maanden na de val van de muur, verhuisde de joodse sovjetburger Wladimir Kaminer met zijn vrouw Olga van Moskau naar Oostberlijn. Hij ontving ter plaatse meteen een onbeperkte verblijfsvergunning. De eerste vrij gekozen ministerpresident van de DDR, Lothar de Maizière, had dit voor sovjetische joden mogelijk gemaakt, als een soort Wiedergutmachungsgeste, omdat de DDR veertig jaar lang niets dergelijks gedaan had.

Tien jaar later is Kaminer opmerkelijke boeken over zijn ervaringen in Duitsland en met de Duitsers gaan schrijven. De eerste twee boeken gaan over Kaminers dagelijks leven in Berlijn: Russendisko (2000) en Schönhauser Allee (2001).



Schönhauser Allee omvat 48 korte teksten van drie tot vijf pagina’s lang. Het gaat over de straat waar hij woont, in de Oostberlijnse wijk Prenzlauer Berg, dicht bij het nieuwe centrum van de herenigde stad. Wij zien hem met zijn buren, kennissen en vrienden. Wij gaan met hem boodschappen doen in de vele kleine winkeltjes die door migranten uit Vietnam, Rusland, Bulgarije etc. gerund worden. Of wij lopen met hem door de grote koophuizen en Malls, waar hij ons met allerlei absurditeiten van het kapitalistische konsumisme verheugt en waar hij mensen ‘aus aller Herren Länder’ tegenkomt.

Deze “Millenniumsmenschen” hebben iets gemeen met Kaminer: ze zijn allemaal ontworteld en geconfronteerd met een absurde kapitalistisch-konsumistische omgeving. Ze zijn de nomaden van de 21ste eeuw. Alle identiteiten vervagen en worden uitwisselbaar om in het dagelijks bestaan weer een productieve functie te kunnen vervullen.

Een voorbeeld hiervoor is het verhaaltje ’Geschäftstarnungen’. In een eethuis in Wilmersdorf is het personeel van Bulgaarse afkomst, maar ze willen naar buiten toe als Turken overkomen om voor de Duits-Turkse klandizie het imago van een Turks eethuis niet kwijt te raken. En de Italianen van een Italiaans restaurant zijn in werkelijkheid Grieken:

“Nachdem sie den Laden übernommen hatten, waren sie zur Volkshochschule gegangen, um dort Italienisch zu lernen. Der Gast erwartet in einem italienischen Restaurant, dass mit ihm wenigstens ein bisschen Italienisch gesprochen wird. […] Berlin ist eine geheimnisvolle Stadt. Nichts ist hier wie es zunächst scheint. In der Sushi-Bar auf der Oranienburger Straße stand ein Mädchen aus Burjatien hinter dem Tresen. Von ihr erfuhr ich, dass die meisten Sushi-Bars in Berlin in jüdischen Händen sind und nicht aus Japan, sondern aus Amerika kommen…Nichts ist hier echt, jeder ist er selbst und gleichzeitig ein anderer“ (Russendisko, 97-99).

Lees het complete artikel “Russische Jood produceert Duitse humor. De dubbele bodem van Wladimir Kaminer” in Tzum literaire weblog.

P.S.: Unser Recht, jederzeit wir selbst und gleichzeitig ein anderer zu sein, sollte in die Grundrechte des Menschen aufgenommen werden.

Mittwoch, 22. Februar 2012

Begegnung mit dem Haiku

Herman van Rompuy, der Präsident des Europäischen Rates, ist neben seiner ruhigen Art, die politischen Probleme Europas zu lösen, auch dafür bekannt, dass er Haikus schreibt: dreizeilige Gedichte nach japanischem Vorbild mit 5-7-5 Silben pro Zeile. Er hat sogar eine eigene Website für seine Haikus.

Natürlich gibt es auch deutsche Autoren, die Haikus schreiben. Durs Grünbein, der bedeutendste lebende deutsche Dichter, hat in der wunderschönen Insel-Bücherei ein Tagebuch seiner Begegnung mit Japan in Form von Haikus veröffentlicht: „Lob des Taifuns. Reisetagebücher in Haikus“ (2008).

Die Deutsche Haiku-Gesellschaft kümmert sich um die Verbreitung dieser Gedichtform in der deutschen Öffentlichkeit und schreibt jedes Jahr einen Wettbewerb aus. Am diesjährigen Wettbewerb haben 640 Kinder und 934 Erwachsene teilgenommen.

Es ist ein spielerisches Hobby, Haikus zu schreiben, und vielleicht braucht man dazu ein kindliches Gemüt. Hier ist ein Beispiel von mir selbst über meine Begegnung mit Holland:


In den Herbstnebeln
Wächst eine Gestalt schwarz-weiß
Aus dem Nichts: Hi Kuh!

Dienstag, 21. Februar 2012

Max Dauthendey im Dschungel von Deutsch-Neuguinea

Im Vorfeld meiner kommenden Besprechung von Christian Krachts Roman „Imperium“ bringe ich ein paar Beiträge zu Deutsch-Neuguinea, die ich in einem anderen Zusammenhang geschrieben habe:

Am 1. August 1914 begann für das Deutsche Reich der Erste Weltkrieg. Der Schriftsteller und Maler Max Dauthendey befand sich zu dem Zeitpunkt auf einer Weltreise, die ihn im Juli nach Niederländisch-Indien geführt hatte. Er beschloss dort spontan, auch noch die damalige Kolonie Deutsch-Neuguinea zu besuchen, die an Niederländisch-Indien angrenzte. Das war in den Jahren „in“ unter deutschen Künstlern, und Dauthendey versprach sich ein verstärktes Interesse des deutschen Publikums, wenn er nach seiner Rückkehr Vorträge über die Kolonie halten könnte.


Leider ist von seinem Bericht über diesen Aufenthalt nur ein Bruchstück erhalten geblieben: auf 11 Seiten schildert er seine Ankunft in Eitape. Den Hafen hatten die Deutschen zunächst Berlinhafen genannt, aber wegen der Unaussprechlichkeit dieses Wortes für die Einheimischen war man zum regionalen Ortsnamen zurückgekehrt. Die einheimischen Soldaten des deutschen Kaiserreiches, große schwarze Gestalten mit einem roten Lendentuch, machten Eindruck auf Dauthendey, und er versetzte sich in ihre Situation:

„ Weißer Geist, meine Augen suchen deine Gerechtigkeit. Meine Augen suchen das Recht, das dir Fremdem die Macht gibt, uns Männer wie Knaben zu strafen. Wer hat dich gerufen? Wer hat dich geschickt? Wie muß dein Land aussehen, wo die Unmännlichen belohnt, die Männlichen bestraft werden?“ (Letzte Reise, 19).

Neuguinea war 1914 schon 15 Jahre unter deutscher Herrschaft und es gab durchaus Fortschritte:

„Im Scherz rief ich einem Schwarzen, der mir begegnete, als er ‚Guten Tag‘ grüßte, zu: ‚Wie geht es?‘ Da sagte der wildschwarze Mensch auf Deutsch ‚Danke!‘ Ich war so verblüfft, daß ich es nie vergessen werde, wie erstaunt mich dieses deutsche Wort ‚Danke!‘ machte, das ich gar nicht erwarten konnte“ (Letzte Reise, 21).

Im Großen und Ganzen war der Eindruck für Dauthendey aber niederschmetternd:

„Als ich diese trostlosen Pflanzungsanlagen zum erstenmal hier an der Küste der Urwelt sah, sehnte ich mich heim nach Europa. Es war, als könnte mich irgendein Übel packen. Denn die Welt schien nur aus Urwaldgeduld und Urwaldverdammnis zu bestehen, und ich wurde von einer Sucht befallen, die Neu-Guinea-Reise aufzugeben, die mir nichts als Trostlosigkeit anzubieten schien. Aber das Schiff kehrte nicht um“ (Letzte Reise, 22).
Vom Ausbruch des Weltkriegs hörte er auf eben diesem Reichspostschiff Manila. Mit seiner Bewegungsfreiheit war es damit vorbei: deutsche Schiffe mussten sich vor der allgegenwärtigen englischen Marine hüten und auch die Auswahl niederländisch-indischer Häfen, die noch gefahrlos angelaufen werden konnten, war gering.

Max Dauthendey sollte die ganze Dauer des Krieges mit großen Existenzproblemen auf Sumatra und Java festsitzen. Kurz vor Ende des Krieges starb er an der Malaria. Vier Jahre lang hat er voller Heimweh  in Briefen nach Deutschland von seinem unfreiwilligen Aufenthalt berichtet. Sie sind später unter dem Titel Letzte Reise (1924) in einer schönen Ausgabe des Albert-Langen-Verlages, der auch seine Reise mitfinanziert hatte, herausgegeben worden. Das Umschlagbild – ein Aquarell von Max Dauthendey - zeigt die Bucht von Friedrich-Wilhelmshafen auf Neu-Guinea:



Der sehr ausführliche Wikipedia-Artikel enthält - bei aller Liebe zu Max Dauthendey – doch einige Fehler und Ungenauigkeiten. So ist es unsinnig, dass Holland als „Gegner des Deutschen Reiches“ bezeichnet wird und die Deutschen interniert haben soll. Die Holländer konnten aber nicht verhindern, dass die Engländer alle Deutschen, die ihnen in die Finger kamen, einkassierten.
Die gleichen Probleme wie Max hatten auch Emil Nolde und Max Pechstein, die aber – anders als Dauthendey - nach ihrem Besuch in Deutsch-Neuguinea unabhängig voneinander unter größten Mühen und Gefahren den Rückweg nach Deutschland geschafft haben.

Montag, 20. Februar 2012

GAUCK oder Die Vermeidung eines staatspolitischen Desasters

Den neuen ehrenwerten Bundespräsidenten hat die Bundesrepublik einer ziemlich schnöden Erpressung durch eine heruntergekommene Partei zu verdanken: Wäre über der Präsidentenfrage die Koalition geplatzt, dann hätte das Land völlig kopflos dagestanden; eine veritable Staatskrise wäre die Folge gewesen. Gauck oder GAU: die mögliche Katastrophe erschien schon in seinem Namen. Das konnte Angela Merkel nicht zulassen, aber sie wird es der FDP nicht vergessen.


Egal: die politischen Kommentare können unsere Leser auch woanders finden. Mit Joachim Gauck findet das Bundespräsidialamt jedenfalls auch in einem kulturpolitischen Sinne zu einem angemessenen Niveau zurück. Und der Zufall will es, dass genau heute ein kleines Büchlein von Joachim Gauck erscheint, das beschreibt, wofür er steht: „Freiheit. Ein Plädoyer“.
Und wer mehr wissen möchte, dem seien seine Erinnerungen empfohlen: „Winter im Sommer,Frühling im Herbst“ (2009).

Für SPD und Grüne ein Montag wie auf Rosen. War da noch was?

Samstag, 18. Februar 2012

"Ich sage immer, dass der Mensch dem Menschen so gerne zuschaut, das macht das Theater unsterblich!"

Aus: Theresia Walser, Ein bisschen Ruhe vor dem Sturm

Was bleibt: Das Tattoo in der politischen Kultur der Bundesrepublik

Ein Satz in der Rücktrittsrede des Bundespräsidenten Christian Wulff fiel mir auf: „Vor allem danke ich meiner Frau, die ich als eine überzeugende Repräsentantin eines menschlichen und eines modernen Deutschland wahrgenommen habe.“

Den Auftritt Bettina Wulffs beim Rücktritt ihres Mannes fand ich in der Tat überzeugend. Dazu habe ich einen schönen Artikel im FAZ-NET gefunden, in dem ich auch noch etwas erfuhr, das mir bisher völlig entgangen war: unsere – nun ehemalige – First Lady hat ein Tattoo, ein sogenanntes Tribal-Tattoo. Was ein Tribal-Tattoo ist, musste ich nachschlagen. Ein Leser sah darin eher ein Baphomet. Musste ich auch nachschlagen. Ich bin doch ein bisschen hinterm Mond.


Dies mag ein kleiner Schritt für Bettina Wulff gewesen sein, aber ein großer Schritt für die politische Kultur der Bundesrepublik Deutschland.

Donnerstag, 16. Februar 2012

Ein bisschen Ruhe vor dem Sturm: Theresia Walser

Ich habe mich in den letzten Jahren wenig mit dem deutschen Theater beschäftigt und kaum ein Stück gesehen. Anlässlich des Besuchs von Theresia Walser in Groningen habe ich jetzt ihr kleines Stück „Ein bisschen Ruhe vor dem Sturm“ gelesen und bin begeistert davon. In einem scheinbar dahinplätscherndem Gespräch dreier Filmschauspieler, von denen zwei den Hitler und einer den Goebbels gespielt haben und die auf den Beginn einer Talkshow mit ihnen warten, zeigt sie auf höchst vergnügliche Weise die Befindlichkeiten des heutigen deutschen Theaters und gleichzeitig die Probleme des deutschen Gemüts mit der ewigen Wiederkehr der Nazis.


Der Schauspieler H2 (Hitler 2) hat versucht, sich in Hitler einzufühlen, ihn so zu spielen „wie er war“. Hier einer der komischen Höhepunkte:

H2: Manchmal habe ich Angst, dass meine Frau, wenn ich auf ihr liege, denken könnte, Hitler liegt auf ihr.
G: Was?
H2: Ich meine, dass meine Frau für den Augenblick eines Augenblicks so was… Denken Sie sich in mich hinein…
G: Liegt ihre Frau immer unten?
H2: Was…? Nein! Das war doch nur ein Beispiel.

Das war nur ein Beispiel, und das muss hier genügen. Es ist ein Stück, das manches von Peter Handkes radikaler „Publikumsbeschimpfung“ (1966) hat. Es ist nur weniger radikal und beschimpft das Publikum nicht. Das deutsche Publikum war begeistert.

Die ewige Wiederkehr der Nazis: Iron Sky auf der Berlinale

Einer der meistbesprochenen und kontroversen Filme auf der diesjährigen Berlinale ist die Science-Fiction-Komödie „Iron Sky“ des finnischen Regisseurs Timo Vuorensola: Nazi-Wissenschaftler und –offiziere haben sich 1945 auf den Mond gerettet und kehren im Jahr 2018 mit einer Raumschiffflotte auf die Erde zurück, um Rache zu üben:


Ähnlich wie im Fall Christian Kracht mit dessen neuem Roman „Imperium“ reagieren manche deutsche Intellektuelle mit einem antifaschistischen Rundumschlag auf ironische Kulturprodukte, in deren Eingeweiden sie Nazi-Widerlichkeiten vermuten. In diesem Fall Daniel Erk in der ZEIT, der von „kryptofaschistischem Weltraumschrott“ spricht.

Viele andere Rezensenten bekennen, sich außerordentlich gut amüsiert zu haben. Die ewige Wiederkehr der Nazis ist im übrigen nicht nur ein Phänomen der tragisch-ernsten deutschen Kultur, sondern zu einem oft grotesken und geschmacklosen Bestandteil der globalisierten Kultur geworden. Auf der Website www.kliosurft.wordpress.com finden sich viele Beispiele dazu.

Auch hier müssen wir ein wenig warten, bis wir uns ein eigenes Bild machen können, denn der Kinostart ist erst im April. Ich vermute, dass einfach immer wieder mal eine mit deutscher Vergangenheit vielgeplagte Intellektuellenseele ob all der Provokationen schlichtweg durchknallt. Ich kann das ja verstehen. Und so will ich Georg Diez und Daniel Erk wegen ihrer heftigen Reaktionen nicht verurteilen, sondern mich nur demnächst darum kümmern, worin sie vielleicht recht haben und worin nicht.

Mittwoch, 15. Februar 2012

Theresia Walser bei Godert Walther

Die in der deutschen Theaterszene sehr bekannte Dramatikerin Theresia Walser liest am Montag, dem 20. Februar, 20-22 Uhr, in der Buchhandlung Godert Walther (Groningen, Oude Ebbingestraat 53), aus ihrem neuen Stück „Wandernutten“.

Dienstag, 14. Februar 2012

Zoff ums Reichsdschungelbuch: Christian Krachts Roman “Imperium”

In der Woche vor dem Erscheinen von Christian Krachts neuem Roman „Imperium“ hat sich ein ungewöhnlich lebendiges und extremes Rezensionsgewitter im deutschen Feuilleton entladen, das von einem Schönwetterhoch in FAZ und ZEIT bis zu vernichtenden Zeusblitzen im SPIEGEL reicht.



Das hübsch anzuschauende Buch handelt von einem sektiererischen Deutschen, der vor hundert Jahren auf einer Insel der damaligen Kolonie Deutsch-Neuguinea ein Sonnenreich gegründet hat, dessen Ernährung ausschließlich auf dem Verzehr von Kokosnüssen beruhen sollte.

Zunächst erschienen in der FAZ und der ZEIT zwei positive Besprechungen: Felicitas von Lovenberg wirkt, offenbar zermürbt von der anhaltenden Kälte in deutschen Landen, geradezu glücklich in ihrem Lob über das sonnige Südseebuch und preist es als „Neuerfindung des Abenteuerromans“. Adam Soboczynski ist begeistert über den „bisher besten Roman“ Christian Krachts, der 1995 mit dem damals Aufsehen erregenden „Faserland“ debütierte.

Dann erschien im SPIEGEL eine ungewöhnlich lange und über den aktuellen Roman hinausgehende Rezension von Georg Diez unter dem Titel „Die Methode Kracht“, die mit folgendem Satz endet: Kracht „ist, ganz einfach, der Türsteher der rechten Gedanken. An seinem Beispiel kann man sehen, wie antimodernes, demokratiefeindliches, totalitäres Denken seinen Weg findet hinein in den Mainstream.“

Das ist doch heftig. Wie kann das zugehen? Und Felicitas soll das nicht gesehen haben? Inzwischen wimmelt es im Zeitungswald von weiteren, darauf reagierenden Besprechungen.

Ich habe mich mehrfach mit Deutsch-Neuguinea beschäftigt. Deutschland und die Niederlande waren damals ulkiger Weise auch dort, auf der anderen Seite der Welt, Nachbarn. Ich möchte dieses deutsche Dschungelbuch gerne selber lesen. Es erscheint aber erst übermorgen. (Fortsetzung folgt)

Montag, 13. Februar 2012

Literarisch-historiographischer Minimalismus: Hans-Joachim Schädlichs Novelle “Sire, ich eile”

Zeit meines Studiums war ich ein Preußenskeptiker; nach meiner ersten Begegnung mit dem Schloßpark Sanssouci in der Mitte der achtziger Jahre jedoch bin ich der Schönheit von Preußens Arkadien erlegen. Und so habe ich auch den Mythos der hochgeistigen Begegnung Friedrichs des Großen mit Voltaire gerne weitergetragen, ohne mich groß um die Details zu kümmern.

Das hat jetzt, auf ganz verblüffende Weise, Hans-Joachim Schädlich getan. Auf 140 Seiten erzählt er historisch korrekt mit vielen Zitaten aus den Briefwechseln der beteiligten Personen, wie sich die Dinge zugetragen haben. Nach der Lektüre bin ich von meiner -  im Laufe der Jahre auch schon ein bisschen angeknabberten - Illusion, in der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts hätten ein König und ein Bürger auf gleicher Ebene miteinander umgehen können, gründlich geheilt.

Die Novelle wird auf knappstem Raum erzählt; die Sätze sind oft nicht länger als 3-10 Worte. Dennoch ist Platz genug für zahlreiche Details, viele Nebenpersonen und reichhaltige Informationen über die damaligen Zustände in Deutschland und Frankreich.

Hier ein kleines Beispiel der erzählerischen Reduktion anhand der Schilderung von Voltaires komplexem Intimleben. Er, der inzwischen neben seiner Liaison mit der verheirateten Émilie du Châtelet zusätzlich ein Verhältnis mit seiner Nichte Louise hatte,  lebte schon eine Weile zurückgezogen mit der hochbegabten Émilie auf einem Schloss in Cirey-sur-Blaise:

Voltaire und Émilie wieder in Cirey.
Im Januar 1749 sagte Émilie zu Voltaire:
„Ich bin schwanger. Von Lambert.“
„Hast du es ihm gesagt?“
„Er ist nicht interessiert.“
„Du musst es deinem Mann schreiben.“
„Das habe ich getan.“
„Und?“
„Keine Antwort.“
Sie sagte noch:
„Und du?“
Voltaire sagte:
„Lass uns arbeiten.“
Er schrieb an seiner Histoire de la guerre de 1741, sie arbeitete an der Übersetzung von Newtons Principia Mathematica.
Voltaire fühlte seine Beziehung zu seiner Nichte Louise Denis legitimiert.

Hans-Joachim Schädlich, Sire, ich eile. Voltaire bei Friedrich II, Reinbek bei Hamburg 2012, 75

Welch ein Büchlein! Näheres findet sich in der Rezension von Lena Bopp und auf der Website der Bestenliste des SWR.

Sonntag, 12. Februar 2012

Angst und Schrecken der deutschen Wissenschaftssprache


Vor einigen Jahren hat der Siegener Literaturwissenschaftler Lars Koch an der Groninger Universität mit Auszeichnung promoviert. Wir kennen ihn als einen begabten analytischen und reflektierenden Intellektuellen. Bei www.literaturkritik.de ist jetzt sein Artikel „Re-Figurationen der Angst. Typologien des terroristischen Monsters im Gegenwartskino“ erschienen, eine mit Einschränkungen sehr lesenswerte und kluge Analyse des Phänomens Angst und Terror in Filmen der letzten Jahre. Zu seinen Beispielen gehören neben den üblichen Verdächtigen aus den USA auch „71 Fragmente einer Chronologie des Zufalls“ (1994) von Michael Haneke und „Schläfer“ (2005) von Benjamin Heisenberg.

Inhaltlich komme ich darauf noch in einem anderen Beitrag zurück, zumindest auf die Furchtfilmwelt von Michael Haneke. Hier und jetzt möchte ich Kochs Aufsatz nur als Beispiel der heutigen Wissenschaftssprache und –akrobatik in der Germanistik präsentieren, die für ausländische Germanisten bereits kaum noch genießbar bzw. verständlich ist. Vielleicht leiden die vielen vielen deutschen Germanisten dieser  Generation an einer tiefsitzenden existentiellen Profilierungsangst, die sich in ihren Werken spiegelt. Der Fremdwortgehalt der einzelnen Sätze wird in einen akrobatischen Überbietungswettbewerb getrieben.

Zusätzlich werden in jedem Absatz neben den sachdienlichen Zitaten aus der Sekundärliteratur auch noch die Namen der kulturwissenschaftlichen Supertheoretiker wie Leuchtfeuer in den Argumentationsraum geworfen: Baumann, Foucault, Jonas, Baudrillard, Harraway, Kierkegaard, Benjamin, Bloch, Derrida, Deleuze, Carl Schmitt, Sloterdijk, Agamben, Luhmann. Kaum einer ist für die Darstellung und ihre Begründung wirklich notwendig, vielleicht mit Ausnahme von Carl Schmitt, dem Feindschaftstheoretiker. Der Leser betrachtet atemlos einen intellektuellen Werbetanz, bei dem der Tänzer auch noch als Jongleur auftritt und so viele Fackeln wie möglich in der Luft zu halten sucht.

Wer in Deutschland heute im kulturwissenschaftlichen Bereich Aufmerksamkeit und eine Stelle sucht, muss das wohl so machen.

Freitag, 10. Februar 2012

Die erste Berlinale: Die Vier im Jeep


Bei der ersten Berlinale 1951 ging ein Goldener Bär an den Film „Die Vier im Jeep“ des Schweizer Regisseurs Leopold Lindtberg. Der in seiner Geburtsstadt Wien spielende Film zeigt den Alltag in der unter Viermächtekontrolle stehenden österreichischen Hauptstadt. Der Preis verdankte sich wahrscheinlich eher der Thematik von Besatzungszeit und Kaltem Krieg als den filmischen Qualitäten, aber mit heutigen Augen ist das so exotisch, dass man ihn wieder empfehlen kann.

Mittwoch, 8. Februar 2012

Der “Geschichtspark Moabit” in Berlin

Als wir vor ein paar Jahren zum ersten Mal den „Geschichtspark Ehemaliges Zellengefängnis Moabit“ betraten, haben wir uns spontan über dieses Beispiel einer total bescheuerten Gedenkkultur aufgeregt, wie sie sich in Deutschland nach der Vereinigung an vielen Orten entwickelt hat.

Berlin muss offenbar den Verlust der Mauer mit einem nicht nachlassenden Strom immer neuer Geschichtsdenkmäler, Mahnmale, Themen- und Geschichtsparks kompensieren, manche davon sinnvoll, akzeptabel und eindrucksvoll, manche zum Schreien und Weglaufen.

Direkt hinter dem Hauptbahnhof von Berlin liegt dieser „Geschichtspark“, dessen Konzept dann auch noch den Landschaftsarchitekturpreis 2007 eingeheimst hat:

Das Juryurteil:
Im deutschen Sprachgebrauch steht der Name „Moabit“ geradezu synonym für „Gefängnis“. Seit Mitte des 19. Jahrhundert wurden in diesem Berliner Ortsteil eine Reihe von preußischen Haftanstalten errichtet, nach dem damals vorbildlichen sogenannten „Pentonville’schen System“ (Panoptikum). Das Zellengefängnis in der Lehrter Straße gehört zudem zu den wichtigen Stätten deutscher Geschichte: Hier harrten einige der Attentäter des 20. Juli 1944 auf ihre Hinrichtung; hier entstand der berühmte Zyklus „Moabiter Sonette“, in dem der Widerstandskämpfer Albrecht Haushofer Freiheit und Menschenrecht zu eindrucksvollen Versen verdichtete.
An der Stelle des Gefängnisses, das in den fünfziger Jahren abgerissen wurde, entstand zwischen 2003 und 2006 der „Geschichtspark Moabit“. Das Projekt zeichnet sich durch die Kombination von alltagstauglichem Bürgerpark und Gedenkstätte in Form eines architektonischen Gartens aus. Von der Jury besonders hervorgehoben wurde beim Umgang mit der historischen Bedeutung des Ortes die Planung in langjähriger Zusammenarbeit mit den Anwohnern (Geschichtswerkstatt) sowie die qualitativ hochwertige Konzeption und die entsprechende bauliche Durchführung. Dass hierbei auf das weitgehend bekannte Repertoire von Land- bzw. Minimal Art zurückgegriffen wurde, um den klaustrophobischen Raum der früheren Gefängnisanstalt beispielhaft nachvollziehbar und erlebbar zu machen (Panoptikum, „Spazierhöfe“), hat dem Juryurteil keinen Abbruch getan. Die besondere und einmalige Aufgabe wurde von den Planverfassern mustergültig gelöst.


Bei diesem Konzept geht es um drei verschiedene Funktionen des öffentlichen Raumes: der Garten oder Park zur Erholung, das Mahnmal oder Denkmal zur Erinnerung, die historische Information über die vergangene Nutzung eines Ortes oder Gebäudes. Abgesehen davon, dass das vielleicht des Guten zu viel ist, verliert bei diesem Beispiel der Park seinen Charakter als Park, das Mahnmal seinen Charakter als Mahnmal und die Information ihren Charakter als Information. Zurück bleibt eine gestriegelte Einöde!

Poetry Slam (2011): Nektarios Vlachopoulos

Die Begeisterung für Slam Poetry hat sich in Deutschland in den letzten zehn Jahren enorm entwickelt. Beim Finale der nationalen deutschen Slam-Meisterschaft 2011 in der O2-Halle in Hamburg saßen 4000 Leute im Publikum. Der Sieger in der Einzelwertung war Nektarios Vlachopoulos mit einer überraschenden Liebeserklärung:




Mehr Informationen zur deutschsprachigen Slam-Szene findet ihr hier.

Montag, 6. Februar 2012

Slam Poetry (2008)


Am 1. Januar 2008 haben wir in Berlin unseren ersten Poetry Slam erlebt. In einem Poetry Slam erhält jeder der ca. 15 Teilnehmer die Gelegenheit, in einem Zeitraum von fünf bis sieben Minuten nur mit seiner Stimme und seiner körperlichen Präsenz auf der Bühne eine Performance aufzuführen, die das Publikum für ihn einnehmen könnte. Und das ohne weitere Hilfsmittel wie Musikinstrumente, Requisiten, Kostüme etc. Und ein Unterschied zu anderen Genres ist ganz wichtig: es darf nicht gesungen werden. Aber sonst kannst du mit deiner Stimme alles machen.

Ein Poetry Slam ist ein Wettbewerb um die Gunst des Publikums: dieses entscheidet per Akklamation, wer eine Runde weiterkommt und kürt schließlich auch den Sieger, der einen Preis erhält. Am Neujahrstag 2008 im Cato in Berlin-Kreuzberg war das eine angebrochene Schachtel Kopfschmerztabletten.

Das Cato befindet sich im U-Bahnhof Schlesisches Tor. Ich hatte noch nie davon gehört und erwartete eine kleine verrauchte Kneipe. Um so überraschter war ich, als sich hinter dem kleinen Eingangsraum ein großes hohes Café anschloss und daneben ein Saal, der Raum für 250 Leute bot. Und der wurde auch voll, fast alles fröhliche junge Leute um die 20, ein paar vereinzelte Dreißiger und Vierziger, und mittenmang wir, mit Abstand die Ältesten, was auch einige überraschte Blicke auf uns zog.

Ich habe mich lange nicht mehr so gut unterhalten gefühlt wie an diesem Abend. Als Moderator trat ein junger Philosophiestudent auf, Marc-Uwe Kling, der sich später beim Nach-Googeln als einer der Stars der deutschen Slam-Szene erwies. Ich hatte wohl eine Vorstellung von dem, was uns erwartete, da ich mich einige Wochen mit Slam Poetry beschäftigt und einen didaktischen Workshop dazu gegeben hatte. Thematisch und qualitativ ist so ein Slam so breit wie ein Blog. Überraschend war für mich, wie intensiv und authentisch die Beiträge rüberkamen und wie viel Spaß man an purer Textperformance haben kann. Gewonnen hat ein Frank Klötgen mit „Hinten im Korn“ (Googeln! Gibt’s im Internet!), aber beinahe noch mehr Eindruck hat auf mich ein vielleicht 11jähriges Mädchen gemacht, das genial darüber berichtete, was alles mit uns geschieht, wenn wir einmal faulend unter der Erde liegen. Sie kam damit bis in die Endrunde.

Zwischen einem Poetry Slam und einem Weblog gibt es Übereinkünfte und große Unterschiede: beides sind demokratische Podien für ästhetische Praktiken. Aber ein Weblog ist im Vergleich doch sehr still und mehr etwas für ein leises Lächeln ab und zu und nicht für lautes Lachen (ich habe lange nicht so gelacht wie an dem Neujahrstag im Cato). Mit Beifall belohnt wird im Slam jeder; und es scheint auch eine Blog-Etikette zu geben (na klar doch: probiert das Wort als Suchbegriff in Google!), in der es dazu gehört, dass man sich für die Beiträge der anderen bedankt. Nicht zuletzt deshalb empfinde ich ein Weblog auch als ein relativ angstfreies und zwangloses Medium. Und doch ist es so: wenn ich mich einlogge, habe ich das Gefühl, auf einer Bühne zu stehen, beobachtet zu werden und etwas bringen zu müssen.

Sonntag, 5. Februar 2012

Kulturklatsch


In einem kulturellen Café darf es auch etwas Kulturklatsch geben: Es gibt eine Verbindung zwischen meinen beiden hintereinander stehenden Beiträgen über Jörg Immendorff und DJ Fetisch, die mir erst nach dem Schreiben aufgefallen ist. Die bildschöne junge Witwe des 2007 gestorbenen Immendorff, Oda Jaune, lebt mit DJ Fetisch von Terranova in einer Dreizimmerwohnung in St. Germain, Paris. Die Liebe hat so zugeschlagen, dass er, ohne den das Berliner Nachtleben offenbar nur schwer vorstellbar war, ihr nach Paris gefolgt ist.

Das nennt man serendipity oder auch auf gut Deutsch Serendipität: man findet etwas, was man gar nicht gesucht hat, aber wohl brauchen kann. Ich finde es eine schöne Vorstellung, dass zwei Personen, deren Namen jeweils eine Verbindung mit einem Zentrum der gegenwärtigen deutschen Kulturszene haben, sich ineinander verlieben.
Und für Oda Jaune (jaune französisch aussprechen) hätte ich mich wegen meiner Fixierung auf Immendorff nicht weiter interessiert. Sie ist in Paris eine erfolgreiche Malerin geworden.

Mittwoch, 1. Februar 2012

Nein Mann von Laserkraft 3D


Ein paar junge Leute machten mich auf dieses Musikvideo  der Gruppe Laserkraft 3D aufmerksam. Nils Reinhard und Tim Hoffmann sind ein erfolgreiches Team, das gleichermaßen im Elektro-House und in der Filmtechnik zuhause ist. Dieses Video ist gigantisch erfolgreich auf YouTube und war auch schon in den niederländischen Top40. Viele jüngere Leser werden es schon kennen, aber die älteren, die können noch ein bisschen extra Laserkraft gebrauchen: