Ich lese gerade die Tagebücher Wilhelm Hausensteins aus den
Jahren 1948-1957: “Impressionen und Analysen. Letzte Aufzeichnungen” (München
1969).
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Wilhelm Hausenstein, 1949 |
Darin finden sich so viele kluge Gedanken und Ansichten,
dass ich eine kleine Reihe mit Zitaten und Reflexionen eröffnen möchte.
Hausenstein (1882-1957) ist mir seit langem bekannt. Meine
erste Begegnung war das kleine Büchlein “Kannitverstan. Herbstliche Reise eines
Melancholikers” (1924), das für mich immer noch das intensivste
Hollandbegegnungsbuch eines Deutschen ist.
Die wichtigste Phase in Hausensteins Leben war sein Amt als erster
deutscher Generalkonsul und dann Botschafter in Frankreich nach dem Zweiten
Weltkrieg (1950-1955). Diese Phase ist in der Edition dieses Tagebuchs ausgespart.
Es gibt dazu eine eigene Veröffentlichung unter dem Titel “Pariser Erinnerungen”.
Das Tagebuch beginnt mit Einträgen aus dem Jahr 1948 und
geht dann auf das Jahr 1955 über. Am 1. September 1955 schreibt er anlässlich
seiner Lektüre von Fontanes “Stechlin”:
“Was für ein guter, liebenswerter Roman! Im Einzelnen fühlte
ich meine alte These bestätigt, dass Preußen als Land und Berlin als Landeshauptstadt
etwas Gutes gewesen sind, dass erst die “Reichs”-Prätension so Preußen wie
Berlin zugrunde gerichtet hat (schon deshalb zugrunde richten musste, weil eine
protestantische Reichs-Konstruktion – zumal mit so excentrisch gelegener
Hauptstadt – in sich absurd ist, was Bismarck sich
natürlich überhaupt nicht
vorzustellen vermochte, und da liegt eben die crux). Wilhelm der Erste ist bei
Fontane durchaus König von Preußen: der “deutsche Kaiser” ist da eine
existentielle Unwahrscheinlichkeit.
Der preußische Junker (Stechlin) ist ein
Bild der Humanität und Urbanität. Dies alles ist vom großpreußischen Reich
offenkundig zerstört worden. Zufällig sah ich an einem Bahnhof drei
reproduzierte photographische Bildnisse Wilhelms des Zweiten: die Arroganz, die
Impertinenz (die sich von einem fehlkonstruierten Reichsbegriff objektiv ableitet) ist in dieser Visage
schon perfekt. Dass etwas so rasch geht, ist aber offenbar möglich: dergleichen
kann sich von gestern auf heute, sprunghaft, ereignen.”
Wilhelm Hausenstein, Impressionen und Analysen, München
1969, 66f.
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Wilhelm II. |
Die Preußen haben das Reich nicht verstanden:
Das ist ein kluger
geschichtsanalytischer Ansatz!
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