Auf der Suche nach einer bestimmten Geschichte
von Joachim Ringelnatz im Gutenberg-Projekt tippte ich auf meinem iPad versehentlich
auf den Namen, der darunter steht: Jean Qui Rit.
Jean Qui Rit? Nie gehört. Als einzige weitere
Mitteilung steht dort, dass sein eigentlicher Name Armin Schwarz war, geboren
1845, gestorben 1922. Und das einzige Werk, das im Projekt vorhanden ist, trägt
den Titel “Scharfe Geschichten” (1908).
Da hab’ ich dann mal reingeguckt und siehe da:
Es handelt sich um ein verborgenes Kleinod der deutschsprachigen Literatur, das
es fast nur in Privatdrucken gegeben hat und schamhaft zu den Erotika gepackt
wurde. Es geht um zwölf wirklich nur leicht pornografische Märchen von
bemerkenswerter Qualität. Hinzu kommen viele Illustrationen von Arthur
Scheiner, die im Gutenberg-Projekt leider nur in Schwarz-Weiß wiedergegeben
sind. Ihm widme ich noch einen eigenen Beitrag!
Die für mich originellste Geschichte ist
gleichzeitig ein Dokument der deutsch-französischen Begegnungsgeschichte. Mein
Thema! Darin kommt es zu einer erotischen Begegnung zwischen lebendig gewordenen deutschen und französischen Spielkarten: Der (deutsche) Eichelkönig trifft auf
die (französische) Herzdame. Um die im Folgenden abgedruckte Geschichte richtig genießen zu können, sollte man bestimmte Unterschiede des deutschen und
französischen Kartenblatts vor Augen haben. Zunächst die Farben: Im deutschen Blatt sind das: Eichel, Grün, Herz und Schellen, im französischen: Kreuz, Pik, Herz und Karo.
In der Geschichte wird das österreichisch-ungarische Spiel “Mariage” gespielt, auch “Schnapsen” genannt. Das heutige “Sechsundsechzig” ist eine Variante davon.
In der Geschichte wird das österreichisch-ungarische Spiel “Mariage” gespielt, auch “Schnapsen” genannt. Das heutige “Sechsundsechzig” ist eine Variante davon.
Zitat aus einer fachkundigen Website:
“Schnapsen wird
mit einem Kartenspiel mit französischen oder deutschen Farben mit 20 Karten
gespielt. […]
Französische Karten
|
Deutsche Karten
|
Punktwerte der Karten
|
As
|
Daus / Sau
|
11
|
Zehn
|
Zehn
|
10
|
König
|
König
|
4
|
Dame
|
Ober
|
3
|
Bube
|
Unter
|
2
|
Bei den
deutschen Karten ist die höchste Karte genau genommen die Zwei (das Daus),
obwohl sie häufig als As bezeichnet wird oder als Sau, weil es eine fette Karte
ist, die viele Punkte einbringt. Man beachte auch, daß es wegen der Abwesenheit
von Damen bei den deutschen Karten gleichgeschlechtliche Hochzeiten zwischen
König und Ober gibt. Manchmal bezeichnet man sogar die Ober als Damen und die
Unter als Buben.”
Alles klar? Hier ist die Geschichte. (Ich habe viele Illustrationen weglassen müssen. Die komplett illustrierte Version steht im Gutenberg-Projekt.)
Zum Weiterlesen hier klicken:
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Spielkarten
I.
In einem
wohlig erwärmten, von diskreten Wohlgerüchen erfüllten Boudoir, am Kaminfeuer,
dessen lustig prasselnde Flammen die Makartfiguren des Paravents mit
lebensvoller Farbe durchglühten, saßen zwei Damen und vertrieben sich die Zeit
mit dem Mariage-Spiel. Dabei unterhielten sie sich über einen Ehescheidungsprozeß,
der den »neuesten Skandal« bildete, und ihre Unterhaltung ward allmählich so
lebhaft und so laut, daß sie nicht darauf achteten, wie auch die Kartenblätter
in ihren anmutig geformten Händen in einem eifrigen Gespräch begriffen waren.
»Eine, rechte
Qual für uns, dieses Spiel,« sagte der Herzunter. »Mein Herz bebt und glüht
unter dem sanften Druck dieser schönen Finger. Und trotz
meiner stolz aufgerichteten Lanze bin ich unfähig zu stechen ...«
»Es ist eine
Schmach für uns deutsche Karten,« pflichtete das Herzas bei. »Mariage« nennen
sie das Spiel und doch weiß jedes Kind, daß es in unserem Junggesellen-Staate
keine einzige Dame gibt. Unsere Könige müssen sich in höchst gesetz- und
naturwidriger Weise mit ihren Oberen verbinden! Der kleine Knabe mit dem
goldenen Pfeil vergießt bittere Zähren zu meinen Füßen. Das Schauspiel kann
aber auch wirklich niemandem gefallen, höchstens der Schellensau.«
»Da hast du
recht,« meinte der alte Falstaff, das Eichelas. »Man hält uns für unsittlich,
weil wir die Eichel im Wappen führen. Vielleicht nicht ganz mit Unrecht. Allein
aus Rücksichten der Gesundheit kann ich es nicht dulden, daß mein Sohn, der
Eichelkönig in unwürdiger Liaison mit seinen Untergebenen seine besten Kräfte
vergeude. Noch heute sende ich ihn mit großem Gefolge nach Paris, der
Hauptstadt der Franzosen, wo es die liebreizendsten Frauen der Welt geben soll.
Dort soll er freien nach seinem Geschmack. Vielleicht entschließe ich mich gar,
ihn zu begleiten, um ihm bei seiner Wahl hilfreich zur Seite zu stehen.«
Das Eichelas
hielt sein Wort und die jungen Damen mußten sich ohne Eicheln behelfen.
II.
In Paris
stieg man natürlich im vornehmsten Hotel ab, wie es sich für so hohe
Fürstlichkeiten geziemt. Die Hoteldienerschaft sorgte für angenehme
Zerstreuung. Es gab eine Menge Spielkarten und darunter – was im sittenstrengen
Deutschland ein Ding der Unmöglichkeit gewesen wäre – auch mehrere Damen von
bezauberndem Liebreiz. Mit Neugier blickten diese Damen etwas von oben herab
und züchtig errötend auf die Eicheln. So unverhüllt zeigt man dergleichen nicht
in Frankreich. Wenn man Eichel ausspielen wollte, so hieß es Treff! Doch
alsbald gewöhnte man sich an den Anblick und es entwickelte sich ein ganz
artiger Flirt. Besonders war es die Coeurdame, welche durch die stolze und
zuversichtliche Haltung des Eichelkönigs gewonnen wurde.
Mit großer
Freude sah Eichelas die Möglichkeit einer ehelichen Verbindung des Eichelkönigs
mit der Coeurdame näher rücken und auch Herzas, das mit dem deutschen Vetter
bereits Smollis getrunken, hatte keine Einwendung gegen solche Verwandtschaft.
Und so ward
eines schönen Morgens mit großem Pompe das Hochzeitsfest gefeiert, an dem sich
sämtliche Kartenspiele des Hotels beteiligten. Es war herrlich schön! Sechs
deutsche Laubober eröffneten den Hochzeitszug mit Trommelwirbel, die Laubunter
bliesen die Flöten; es waren sogar einige Eichelober da, die
anstatt das Schwert zu schwingen, Trompete bliesen. Dazu kam noch das
harmonische Grunzen der Schellensau und das Gekläff des Schweinehundes auf
ihrem Rücken. Alldas gestaltete sich zu einem Hochzeitsmarsche, wie kein
Mendelssohn und kein Richard Wagner jemals einen prächtigeren und
harmonischeren ersonnen hat.
III.
Die
Neuvermählten waren endlich allein. Ein schneeig weißes Hochzeitslager war
bereitet, das duftete nach Rosen und Myrten. Von heißer Liebessehnsucht
erfüllt, entkleidete der königliche Bräutigam mit hastigen Händen die bebende
Braut, wobei er seine glühenden Lippen in die schwellende Pracht des Busens
versenkte. Doch damit gab er sich nicht zufrieden. Um seine neuen ehelichen
Rechte und Pflichten auszuüben, suchte er auch die anderen Reize der ihm
angetrauten Gemahlin; und o weh! welche seltsame Entdeckung
mußte der junge Ehemann da machen! Anstatt kräftiger Hüften und Schenkel fand
er unter dem Rocke seiner jungen Frau eine Wiederholung des üppigen Busens und
der plastischen Schultern! Von der Taille abwärts setzte sich die Coeurdame
gleichsam im eigenen Spiegelbilde fort. Das anmutige Lockenhaupt, das oben aus
den prächtigen Konturen der Nackenlinie hervorblühte, wiegte sich nach unten,
allerdings tiefer errötend, auf einem Schwanenhalse. Anstatt rundlicher Waden,
bedeckt mit dem Seidenflaum reifer Pfirsiche, anstatt zierlicher Knöchel und
Füße abermals schneeige Arme, ein zartes Handgelenk und kokett ausgespreizte
Finger.
Die
Enttäuschung des Eichelkönigs war unbeschreiblich! Trostlos ließ er sein
Szepter sinken.
Er machte
seinem Herzen Luft und seiner Herzdame einen tüchtigen Randal. Und als sie sein
Französisch nicht verstand, redete er deutsch mit ihr und da verstand sie ihn
sogleich.
Die
Coeurdame brach in Tränen aus, schlug oben und unten die Hände über dem Kopfe
zusammen und sagte naiv, mit von Schluchzen erstickter Stimme:
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