Beim Stöbern in alten Text-files stieß ich auf diesen Vortrag, den ich vor mehr als 15 Jahren zum Thema der "Fremdsprachengrenzdidaktik" gehalten habe. Wenn ich das jetzt so lese, scheint es mir, als ob heute dieses Thema durch eine europäisch-globalisierte Grenzverwischung am Verdunsten ist. Allerdings nur das Thema, nicht die Problematik:
Die deutsch-niederländische Grenze
als Begegnungsraum
Vorstellung des
deutsch-niederländischen Grenzgebiets
Zu Beginn Ihrer Tagung zur Fremdsprachengrenzdidaktik im
deutsch-niederländisch-belgischen Grenzraum möchte ich Ihnen einen Eindruck von
der Charakteristik und Problematik dieses Raumes vermitteln. Das
Begegnungspotential in dieser Region ist hoch und lässt für das 21. Jahrhundert
eine sehr positive Entwicklung erwarten. Dies ist aber weniger eine Folge
urwüchsiger guter Nachbarschaft, alter historischer Bindungen oder
sogenannter Volks- und
Stammesverwandtschaft, als das Resultat politischer und
europapolitischer Bemühungen der letzten Jahrzehnte und der neuesten westlich-globalen
Modernisierungsprozesse. Dagegen bilden zahlreiche historische, kultur- und
mentalitätsgeschichtliche Faktoren eher einen Widerstand für deutsch-niederländische
Begegnungen. Eine ernstzunehmende Grenzraumdidaktik wird auch diese Faktoren
in ihre Konzepte einbeziehen müssen.
Wir haben die fünf Großräume - den Nordseeraum,
Westfalen, Ostniederlande, das Rheinland und den limburgischen Süden - die im
Laufe der Geschichte auf unterschiedliche Weise geographisch, politisch und
kulturell verbunden und getrennt gewesen sind. Auf niederländischer Seite
handelt es sich um die Grenzprovinzen Groningen, Drenthe, Overijssel,
Gelderland Noord-Brabant und Limburg, auf deutscher Seite um die beiden großen
Bundesländer Niedersachsen und Nordrhein-Westfalen, schließlich in Belgien
um das belgische Limburg, und, wenn man will, aber das ist für die Fremdsprachendidaktik weniger relevant,
um den gesamten niederländischsprachigen flandrischen Raum bis hin zur Küste.
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Die deutsch-niederländische Grenze |
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Von Norden nach Süden decken heute fünf Euregios und als
sechste die Neue-Hanse-Interregio die deutsch-niederländisch-belgische Grenze
nahezu nahtlos ab:
- die
Ems-Dollart-Regio (www.edr.org) wurde 1977 gegründet. Sie umfaßt Teile der
Provinzen Groningen (NL), Drenthe (NL) und des Bundeslandes Niedersachsen (D).
In ihrem Einzugsbereich wohnen 1,6 Millionen Einwohner. Die niederländische
Universitätsstadt Groningen ist mit 170 000 Einwohnern die bei weitem größte
Stadt in dieser Euregio.
Besonderheiten
im 80-Kilometerbereich: Zwischen der Rijksuniversiteit Groningen und der Carl-von-Ossietzky-Universität
Oldenburg (20 Kilometer außerhalb des Euregio-Raumes) gibt es vielfältige
Kontakte, u.a. Ansätze zur Zusammenarbeit zwischen dem
Niederländisch-Lehrstuhl in Oldenburg und den Lehrstühlen für
Deutsch/Deutschlandstudien in Groningen.
- Die
Neue-Hanse-Interregio wurde 1991 gegründet. Als Reaktion auf die
Strukturveränderung innerhalb der EU wollte man eine großräumigere Struktur
schaffen als die bisherigen Euregios, um die politischen und wirtschaftlichen
Rahmenbedingungen mitgestalten zu können. Die Interregion umfaßt dann auch die
niederländischen Provinzen Drenthe, Friesland, Groningen und Overijssel sowie
die deutschen Bundesländer Bremen und Niedersachsen. Zu den zwölf
Arbeitsgruppen der NHI gehören auch zwei für Kultur und Bildung.
- die
Euregio (www.euregio.nl) wurde 1958 gegründet und ist damit die älteste
grenzübergreifende Region in der EU. (Nachträglich erhielt auch sie eine
Flussraumbezeichnung: Rhein-Ems-Ijssel). Sie umfaßt Teile der Provinzen Gelderland,
Overijssel und Drenthe (NL) sowie der Bundesländer Niedersachsen und
Nordrhein-Westfalen (D). Größere Städte auf niederländischer Seite sind
Hengelo und Enschede, auf deutscher Seite Nordhorn und Rheine. Eine
Erweiterung um die Universitätsstädte Münster und Osnabrück wird vorbereitet
(Euregio-Forum).
Besonderheiten
im 80-Kilometerbereich: Auf niederländischer Seite ist nur eine größere Stadt
zu nennen: Zwolle. Die Universität Münster ist (neben der Universität Köln) ein
traditionelles Zentrum der deutschen Niederlandistik. Mit dem Haus der Niederlande
und dem Zentrum für Niederlandestudien bildet Münster seit 1993 den Schwerpunkt
der deutschen Niederlande-Forschung (www.uni-muenster.de/HausDerNiederlande
und wwwhein.uni-muenster.de). Die Universität Münster und die Universität
Nijmegen betreiben seit 1998 einen binationalen Diplomstudiengang
Deutschlandstudien-Niederlandestudien mit Austausch von Dozenten und Studenten.
- die
Euregio Rhein-Waal (www.euregio.org) wurde 1986 gegründet und ist seit 1993 ein
öffentlich-rechtlicher Zweckverband. Sie umfaßt Teile der Provinz Gelderland
(NL) und des Bundeslandes Nordrhein-Westfalen. Größere Städte auf
niederländischer Seite sind Arnhem und die Universitätsstadt Nijmegen, auf
deutscher Seite die Universitätsstadt Duisburg. In Nijmegen wird dieses Jahr
ein neueingerichtetes Ordinariat für Deutschlandstudien besetzt.
Besonderheiten
im 80-Kilometer-Bereich: Als größere Städte sind Amersfoort und die
Universitätsstadt Utrecht zu nennen. Utrecht hat einen Lehrstuhl für Deutsch
und für Sprachlehrforschung mit dem
angeschlossenen Expertisezentrum (www.let.ruu.nl/ research-institutes/ecd).
Außerhalb
des 80-Kilometer-Bereichs: Der Schwerpunkt der historisch-politischen Deutschlandforschung
der Niederlande liegt im Deutschland-Institut Amsterdam (DIA;
www.xxLink.nl/dia). In Amsterdam und in Rotterdam befinden sich auch die
Goethe-Institute.
- die
Euregio Rhein-Maas-Nord (www.euregio.krefeld.schulen.net) wurde 1978 gegründet
und umfaßt Teile der Provinz Limburg und des Bundeslandes Nordrhein-Westfalen.
Keine größeren Städte auf niederländischer Seite (Venlo), auf deutscher Seite
Krefeld, Mönchengladbach und Neuss.
Besonderheiten
im 80-Kilometer-Bereich: Größere Städte sind Eindhoven und die
Universitätsstadt Tilburg.
- die
Euregio Maas-Rhein (www.euregio-mr.org) wurde 1976 gegründet und ist mit 3,6
Millionen Einwohner die bevölkerungsreichste Euregio im Benelux-Gebiet. Sie
umfaßt Teile der Provinzen Limburg (NL), Limburg (B), Luik (B), die
deutschsprachige Gemeinschaft in Belgien und die Region Aachen im Bundesland
Nordrhein-Westfalen. Größere Städte auf niederländischer Seite sind die Universitätsstadt
Maastricht (mit einer neueingerichteten Teilzeitprofessur "Deutsche
Kultur"), auf belgischer Seite die Universitätsstadt Luik/Liege
(Lüttich) und auf deutscher Seite in unmittelbarer Grenznähe die Universitätsstadt
Aachen. Insgesamt befinden sich im Einzugsbereich dieser Euregio 6
Universitäten bzw. Hochschulen mit insgesamt über 100.000 Studenten.
Ein
einmaliges Phänomen ist die Stadt Eurode, die direkt auf der deutsch-
niederländischen
Grenze liegt. Die Ländergrenze verläuft seit 1815 (Wiener Kongress) mitten
auf der Hauptverkehrsstraße. Eurode entstand 1991 durch den binationalen
kommunalpolitischen Zusammenschluß der Städte Kerkrade (NL) und Herzogenrath
(D).
Besonderheiten
im 80-Kilometer-Bereich: Größere Städte sind auf belgischer Seite Antwerpen und
die europäische Hauptstadt Brüssel, auf deutscher Seite alle großen Städte des
Ruhrgebiets, die Universitätsstadt Köln (ein altes Zentrum der deutschen
Niederlandistik), die nordrhein-westfälische Landeshauptstadt Düsseldorf
und die ehemalige Bundes-hauptstadt Bonn: die dichteste Hochschullandschaft
Europas.
- Als
sechste Euregio entlang der Grenze wird augenblicklich ein Verbund der 24
niederländischen, deutschen und dänischen Nordsee-inseln geplant.
Die Euregios sind Zweckverbände, die die regionale
Zusammenarbeit zwischen den Kommunen und einer Reihe von meist wirtschaftlich
orientierten Körperschaften fördern. Im ideellen Sinne wären die Euregios
ideale Partner für Projekte der Grenzlanddidaktik. Schließlich wurden sie für
grenzüberschreitende Aktivitäten im Sinne der europäischen Vereinigung installiert.
Andererseits muß man sich klarmachen, daß die Euregios mühsam erarbeitete
Zusammenschlüsse von hauptsächlich wirtschaftlich orientierten Partnern mit
teilweise unterschiedlichen Interessen darstellen.(1)
Auch ist es so, daß die Euregios untereinander in einem
Konkurrenzverhältnis stehen bzw. eine eher indifferente Haltung einnehmen. An
der Namensgebung der Euregios erkennen Sie bereits ein Problem: um zu einer
möglichst neutralen Bezeichnung für die Regionen zu kommen, hat man sich an
Flüssen und Gewässern der jeweiligen Region orientiert: Ems-Dollart, Maas-Rhein
usw. Politisch-historische Raumnamen können diese Neutralität nicht bieten,
und damit sind wir bei der Geschichte, bei der Kultur, bei den Mentalitäten und
Identitäten, kurz bei allem, was aufgrund von Macht, Interessen und schlichter
Andersheit Grenzen definiert und damit ein Potential für Fremdheit, Unverständnis,
Trennendes und sogar Feindschaft entstehen läßt. Wie ist es hiermit im
deutsch-niederländischen Grenzraum beschaffen?
Historische Anmerkungen
Die deutsch-niederländische Grenze ist relativ alt und
stabil und das, obwohl die geographischen Gegebenheiten nicht unbedingt darauf
zu weisen scheinen: kein Fluß und schon gar kein Gebirge markiert hier eine
Grenzlinie zwischen Ost und West. Die vielen quer zur Grenze verlaufenden
Flüsse sind im Gegenteil als wichtige interregionale Verbindungswege zu
sehen.
Die politische Trennung der Niederlande vom Deutschen
Reich wurde mit dem Westfälischen Frieden von 1648 endgültig. De facto bestand
die Republik der Vereinigten Niederlande bereits seit der Union von Utrecht
1579. Der heutige Verlauf der Grenze wurde 1815 auf dem Wiener Kongreß festgestellt
und hat seitdem nur unwesentliche Veränderungen erfahren. Nennens-
werten Streit über den Verlauf der Grenze hat es
eigentlich nur im Bereich der Emsmündung über die Frage gegeben, ob die Grenze
am westlichen Dollartufer verläuft wie es die Deutschen gerne hätten oder in
der Mitte des Gewässers, was den Niederländern recht wäre.
Die gesellschaftliche und mentalitätsmäßige Trennung, die
sich in dieser Grenze ausdrückt, ist jedoch groß. Ein niederländischer
Historiker hat einmal behauptet: "Die Ostgrenze [der Niederlande, P. G.]
ist [...] bereits seit 1100 Jahren eine Scheidelinie zwischen Ost und West.
Sie ist deshalb eine der ältesten Grenzen Europas." (2) Und auch wenn
dies im Lichte neuerer Forschungen etwas übertrieben erscheint, galt bis ins
20. Jahrhundert hinein das gesellschaftsgeschichtliche Urteil des großen niederländischen
Historikers Johan Huizinga: "Über Delfzijl und Vaals läuft die Grenze
zwischen West- und Mitteleuropa. In unserer Westlichkeit liegt unsere Kraft
und der Grund unserer Existenz. Wir gehören an die atlantische Kante [...].
Unsere Gesellschaft ist die der westlichen Völker und vor allem jenes großen
Volkes, das die moderne Staatsordnung schuf und noch in Freiheit
handhabt." (3) Diese 1934 geschriebenen Sätze hat Huizinga auf Vorträgen
in Deutschland eindringlich wiederholt. Sie waren präventiv zur Erklärung und
zum Schutze niederländischer Identität gegenüber germanisch-völkischen
Umarmungsversuchen gemeint.
Die deutsch-niederländische Grenze ist jahrhundertelang
die friedlichste aller Grenzen gewesen. Während Belgien im Ersten Weltkrieg
zum Durchmarschgebiet der deutschen Truppen wurde, blieb die niederländische
Neutralität gewahrt. Um so brutaler wurde der deutsche Überfall und die
anschließende Besetzung der Niederlande 1940-45 empfunden. Die von den
Nationalsozialisten blutig oktroyierte Ideologie der Blutsverwandtschaft war
eine perfide Vergewaltigung der niederländischen Identität. Das Trauma dieser
Vergewaltigung übertrug sich auf die nachfolgenden Generationen, wurde vor
allem in den siebziger und achtziger Jahren wachgehalten und ist bis heute
wirksam.
Huizingas Betonung des Trennenden ist vor dem Hintergrund
der 1934 drohenden historischen Entwicklung zu sehen. Im wesentlichen sah er
die Niederlande in einer Mittlerstellung zwischen englischer, französischer und
deutscher Kultur und somit im Zentrum einer kulturgeschichtlichen europäischen
Dynamik. Wir können dies in einem ganz ähnlichen Sinne verstehen wie Thomas
Manns Äußerungen in seinen Betrachtungen
eines Unpolitischen von 1919, wo er sagt, daß "in Deutschlands Seele
die geistigen Gegensätze Europas ausgetragen werden". Schön doch
eigentlich, wenn die zwei Großmandarine der niederländischen und deutschen
Nationalkultur sich hierin so nahe sind. Aber die Verständigung hat Grenzen,
und kehren wir zu diesen zurück. Zwei nationalistische Jahrhunderte, das 19.
und das 20., haben durch die Konstruktion zentraler nationaler Identitäten
viele regionale Gemeinsamkeiten, so weit sie denn bestanden, behindert, abgebaut
und vergessen lassen. Nicht zufällig betonen die Titel der maßgeblichen
Darstellungen zur deutsch-niederländischen Beziehungsgeschichte bei aller
Nachbarschaft die Unterschiedlichkeit und das Trennende beider Länder: Zwei ungleiche Nachbarn (Horst
Lademacher), Das unbekannte Holland
(Ernest Zahn), West-Duitsland: Partner
uit noodzaak (Friso Wielenga) und Nachbarn
zwischen Nähe und Distanz (Jürgen Heß/Hanna Schissler), Duitsland als Nederlands probleem (Frits
Boterman).(4)
Gehen wir einmal unter dieser Perspektive die fünf Großräume
von Norden nach Süden ab:
Das Küstengebiet weist auf deutscher und niederländischer
Seite eine Reihe von Gemeinsamkeiten auf: das fruchtbare Marschland ist
Bauernland. Die See bietet Nahrung und Handelswege, das Binnenland muß durch
Deiche geschützt werden. Hieraus entsteht die vielbeschworene friesische
Freiheit. Beiderseits der Grenzen finden sich bis ins Westfälische hinunter
große unzugängliche Moorgebiete, die die Verbindungen über Land lange stark
behinderten. Die Grafschaft Ostfriesland gehörte vom 15. Jahrhundert bis 1744
zu den Niederlanden und fiel dann an Preußen. Auf alten Friedhöfen finden sich
noch niederländische Grabsteine, und an den Gebäuden in den ostfriesischen
Altstädten erkennt man unschwer den niederländischen Einfluß. Dennoch gab es
unterschiedliche Orientierungen konfessioneller Art, die zu deutlichen
mentalen Binnengrenzen in der Region geführt haben, die noch heute zu spüren
sind: der an den Niederlanden orientierte calvinistisch-reformierte Osten
und der an Hamburg orientierte lutherische Norden. Die Gemeinsamkeit der
Friesen zeigt sich heute zwar in einem kulturpolitischen Verbund der drei Frieslande
(das niederländische Westfriesland, das deutsche Ost- und Nordfriesland), ist
aber unter dem Aspekt der Grenzraumdidaktik nicht viel wert. Die Provinz
Groningen liegt zwischen den Frieslanden und will mit ihnen nicht besonders zu
tun haben. Das echte Friesisch wird zudem heute in Deutschland nur noch in
winzigen Sprachinseln gesprochen. Das Ostfriesische dagegen ist ein niederdeutscher
Dialekt, der mit dem ostgroninger Platt verwandt ist. Resümierend müssen wir
mit der Feststellung eines jüngeren niederländischen Historikers einstimmen:
"Es hat niemals - ich betone: niemals - so etwas gegeben wie einen
gemeinsamen historischen Raum der EDR (=Ems-Dollart-Regio, P.G.)." (5)
Der emsländische Süden der Region war ohnehin
emsaufwärts auf das katholische Fürstbistum Münster hin ausgerichtet. Rückständige
Agrarwirtschaft und bescheidenes Heimgewerbe kennzeichneten diesen Raum. Jahrhundertelang
zogen von hier aus Wanderarbeiter in die reichen Agrarprovinzen der
Niederlande, um bei der Ernte zu helfen, oder ins städtische Zentrum der
niederländischen Wirtschaftsmacht, nach Amsterdam, um auf den Schiffen der
ostindischen Kompagnie anzuheuern. "Moffen" und "Popen"
wurden diese armen katholischen Wanderarbeiter dort genannt. Sie prägten lange
Zeit das niederländische Deutschenbild. Seine häßlich-aggressive Ladung
erhielt das heute noch verwendete Wort "Mof" erst in der Besatzungszeit
1940-45. Im 19. und 20. Jahrhundert blieb der gesamte Norden beiderseits der
Grenze ein strukturschwaches Gebiet mit hoher Arbeitslosigkeit.
Die niederländischen Provinzen Overijssel und Gelderland
dagegen waren stärker mit dem
niederrheinisch-westfälischen Gebiet verwachsen. Das
Münsterland bildete zusammen mit den niederländischen Ostprovinzen eine
"ökonomische Landschaft" (Häpke) die bis in den Kölner Raum reichte.
Der deutsche Kulturraumforscher Franz Petri ging so weit, hier für den Zeitraum
vom 15. - 17. Jahrhundert von einer die politischen Grenzen überschreitenden,
einheitlichen "Geschichtslandschaft" zu sprechen (6). Bis in den
reichen flandrischen Raum reichte diese Verbundenheit. Auch der
niederländische Historiker Jappe Alberts nannte den ganzen Bereich östlich der
Ijssel "ein niederländisches Westfalen".
In jüngster Zeit stehen die Historiker beider Nationen
eher skeptisch gegenüber einer solchen harmonisierenden und vereinheitlichenden
Betrachtung des Geschichtsraums. Allerdings hat es in den Nachkriegsjahrzehnten
auf beiden Seiten wenig Interesse für grenzübergreifende historische
Untersuchungen gegeben. Diese Perspektive wird erst in jüngster Zeit im Rahmen
der europäischen Entwicklungen wiedereröffnet.
Im 19. Jahrhundert erfolgte aufgrund der auf die jeweilige
Nation ausgerichteten Identitätsdiskurse eine Umorientierung, die die
konfessionellen, sprachlichen und sogar die wirtschaftlichen Verbundenheiten
zu überlagern begann. Hatten die Einwohner des niederländischen Westens, der
alten holländischen Städtekultur und heutigen "Randstad Holland",
schon immer mit dem Blick aufs Meer und mit dem Rücken nach Deutschland gesessen,
so galt das nun auch immer mehr für die Bevölkerung der Grenzprovinzen.
Gleichermaßen richteten die neupreußischen Gebiete am Niederrhein ihren Blick
immer mehr nach Osten, und schließlich ins Zentrum des neuen Kaiserreichs,
nach Berlin.
Mit dieser kurzen Charakteristik möchte ich den
historischen Überblick beenden und auf die gegenwärtige Situation zu sprechen
kommen.
Heutige Perspektiven
Nordrhein-Westfalen ist mit fast 18 Millionen Einwohnern
das größte Ballungsgebiet Europas. Es ist bevölkerungsreicher als die
Niederlande (16 Millionen). Die Hälfte der Menschen wohnen in Großstädten mit
mehr als 500 000 Einwohnern. Die Niederlande sind der größte Handelspartner
Nordrhein-Westfalens. 40% der aus den Niederlanden nach Deutschland exportierten
Waren gehen nach NRW, 30% Prozent des deutschen Exports in die Niederlande
kommen aus NRW. NRW, insbesondere das Ruhrgebiet, ist in den letzten
Jahrzehnten einer gewaltigen Strukturveränderung unterworfen gewesen, um das
ehemals auf Bergbau und Schwerindustrie ausgerichtete Land den Anforderungen
der postindustriellen Gesellschaft anzupassen. Neue Industrien, Chemie,
Maschinenbau, Elektrotechnik sind an die Spitze gerückt, und große
Anstrengungen sind unternommen worden, um die Umweltbelastungen auf ein
erträgliches Maß zu reduzieren. Die neue Strukturpolitik ist auf ein breites
Spektrum regionaler Vernetzungen zwischen Gemeinden und Kreisen ausgerichtet.
NRW war das erste Land, das einen Vertrag zur grenzüberschreitenden
Zusammenarbeit mit den Niederlanden vereinbart hat. Die INTERREG-Vereinbarung
gilt als Muster für Europa.
In den neunziger Jahren gibt es im Rahmen interregionaler
Neuorientierungen Versuche, die "ökonomische Landschaft" im
Nordwestraum neu zu definieren. Der nordrhein-westfälische Ministerpräsident
Clement sprach im Zusammenhang der Verlegung der deutschen Hauptstadt von Bonn
nach Berlin davon, daß er dieser Veröstlichung der Bundesrepublik eine
Verwestlichung Nordrhein-Westfalens entgegensetzen möchte. "In wenigen
Jahren werden Nordrhein-Westfalen und die BENELUX-Länder über die Grenzen
hinweg einen kompakten Wirtschaftsraum bilden. In dieser Herausforderung liegt
eine gewaltige Chance, die wir offensiv annehmen müssen. Dabei können wir von
den niederländischen und belgischen Partnern mit ihrer traditionellen
internationalen Orientierung viel lernen. [...] NRW ist heute der dichteste
Markt in Europa. Zusammen mit den BENELUX-Ländern ist dies ein
Wirtschaftsraum, der außerordentliche Marktchancen eröffnet" (7)
Natürlich geht es hier um Märkte und um harte wirtschaftliche
Konkurrenz. Aber die daraus entstehende Vervielfältigung und Intensivierung der
Kontakte schlägt sich auch wissenschafts- und bildungspolitisch nieder. Ein
paar Beispiele: In den neunziger Jahren sind mehr als ein Dutzend gemeinsame
deutsch-niederländische Studiengänge an partnerschaftlichen Universitäten und
Fachhochschulen eingerichtet worden. Im Münsteraner "Zentrum für
Niederlandestudien" wird über die Gründung eines Nordwest-Instituts
unter Beteiligung Deutschlands, Belgiens und der Niederlande nachgedacht.
Mit dem deutsch-niederländischen Korps ist ein Beispiel militärischer
Zusammenarbeit entstanden, das man sich vor einer Generation noch nicht hätte
vorstellen können. Unter anderem dadurch gibt es die ersten bilingualen Schulen
in Nordrhein-Westfalen. Die Zahl der niederländischlernenden Schüler an
nordrhein-westfälischen allgemeinbildenden Schulen hat sich in den letzten drei
Jahren verdreifacht (von 2000 auf 6000).
Neue Verflechtungen und neue Märkte schaffen neue
Mobilitäten, die aber auch ihre Schattenseiten haben. Viele Grenzgänger nutzen
die unterschiedlichen Löhne und Preise zu ihrem Vorteil, was dies- und
jenseits der Grenzen nicht immer gerne gesehen wird. Noch unlängst berichtete
ein Artikel in der "Zeit" (8) vom "Ärger im Dreiländereck".
Wohnen im niederländischen Grenzbereich ist für viele Deutsche wegen der
niedrigeren Mieten und Hauspreise attraktiv, führt aber zu Mißmut bei den
niederländischen Eingesessenen.
Mentalitätsunterschiede spielen auch eine Rolle zwischen
Niederländern und Belgiern. Aber seit einiger Zeit ist nichts mehr wie es war.
So schicken neuerdings niederländische Eltern trotz ihrer freundlich-herablassenden
Geringschätzung der gleichsprachigen belgischen Flamen ihre Kinder immer
häufiger auf flämische Schulen. Diese haben nämlich den Ruf, strenger zu sein
und sich stärker an traditionellen Werten und Normen zu orientieren. Das
erscheint mir wie Kultur verkehrt. Es muß ein um einen ganz neuen Trend in den
libertären Niederlanden handeln. (9) Natürlich ist dies auch ein Symptom
kultureller Verwerfungen in einem der modernsten Länder Europas.
Seit den neunziger Jahren wächst auch das Interesse der
Euregios an der sozial-kulturellen Integration und an den Aufgaben im Kultur-
und Bildungsbereich. Wir dürfen allerdings ihre Möglichkeiten hierzu nicht
überschätzen. Die Euregios sind personell und finanziell keine starken
Organisationen. Bei der Konzeption und Durchführung von Bildungs- und Kulturprojekten
sind sie auf Hilfe von außen und auf Projektmittel angewiesen. Aber gerade
hier könnte von Fall zu Fall eine Vernetzung mit Projekten der Grenzraumdidaktik
sinnvoll sein.
Immerhin haben im Rahmen von INTERREG I (1991-1993) 60
Millionen DM für grenzüber-schreitende Industrieprojekte, grenzüberschreitende
Radwege und Kunstrouten zur Verfügung gestanden. Und für jetzt die laufenden
Projekte von INTERREG II (1995-2001) sind 42 Millionen DM veranschlagt.
Der kulturelle Faktor in den Euregios hat in den ersten
Jahrzehnten ihres Bestehens erstaunlich wenig Interesse gefunden. Hierzu gibt
es nur wenig Untersuchungen. Erst 1996 widmet sich eine - leider etwas
schmale - Dissertation dieser Thematik.
Sie trägt den bezeichnenden Titel Samenwerking?
Er zijn grenzen! (Zusammenarbeit hat ihre Grenzen). (10) Jacoba van Beek
kommt aufgrund ihrer Untersuchung zu Feststellungen, die an Deutlichkeit
nichts zu wünschen übrig lassen: "Die Euregio ist nicht das geeignete
Gremium, um der europäischen Vereinigung Form zu geben" und "Der
Einfluß von Kultur auf grenzüberschreitende Zusammenarbeitsprojekte wird von
den Betroffenen und von Wissenschaftlern stark unterschätzt". Die
Euregio, die Jacoba van Beek sich als Grundlage für ihre Arbeit ausgesucht hat,
ist gerade die Euregio Maas-Rhein, in der wir uns jetzt befinden und die in
meiner Kurzbeschreibung besonders attraktiv erschien.
Jacoba van Beeks These, daß der Einfluß von Kultur stark
unterschätzt wird, will ich aus meiner Sicht etwas näher erläutern. Zur
Deutlichkeit: der Kulturbegriff, der hier hantiert wird, ist der breite
anthropologische Kulturbegriff. Politiker und Wissenschaftler, die sich
professionell mit grenzüberschreitender Verständigung beschäftigen, neigen in
öffentlichen Situationen zu diplomatischen und harmonisierenden Feststellungen.
Man will ja die eventuellen antideutschen Ressentiments nicht noch durch
öffentliche Äußerungen verstärken. Möglicherweise wird Ihnen hier auf dieser
Tagung Ähnliches begegnen: eine starke Betonung des Positiven und der Gemeinsamkeiten,
eine Vernachlässigung des Negativen und des Trennenden.
Nun werden Sie alle von der berühmt-berüchtigten Studie
des Clingendael-Instituts zur Einstellung niederländischer Jugendlicher
gegenüber Deutschland und den Deutschen gehört haben. Diese methodisch fragwürdige
Untersuchung aus dem Jahre 1993 (11) erweckt den Anschein einer
unüberwindlichen und haßerfüllten Barriere zwischen Niederländern und
Deutschen. Lassen Sie mich deutlich sein: diesen Haß und diese Barriere gibt es
so nicht. Die Ebene der Vorurteile ist leicht durchbrechbar. Kein Deutscher
braucht sich deswegen zu fürchten oder zu schämen.
Was es dagegen sehr wohl gibt, das sind langgewachsene
kulturbedingte Unterschiede und Deutungsmuster (12) in der politischen
Kultur, die zu allerlei gegenseitigen Befremdungen Anlaß geben können. Zur
Verdeutlichung der Fremdheit, die zwischen Deutschen und Niederländern
herrschen kann, zitiere ich einen deutschen Niederlandisten: "Ich habe
zwölf Jahre, ein Drittel meines bisherigen Lebens, in Amsterdam gelebt. Das hat
mir klargemacht, daß man alles, auch die kleinsten Details, auf eine andere Art
betrachten kann. [...] Bis in die tiefsten Tiefen der menschlichen Existenz
sind Deutsche und Niederländer verschieden." (13)
Und auch wenn hier schon wieder ein Deutscher am
Übertreiben und Verabsolutieren ist: etwas ist dran. Ein paar illustrierende
Stichworte: Hierarchische Strukturen und Klassengegensätze sind in den
Niederlanden flacher, weniger sicht- und fühlbar als in Deutschland. Verhandlungen
werden kollegialer, weniger konfrontativ geführt. Entscheidungsfindung
vollzieht sich in
geschickt gelenkten Gruppenprozessen. Dadurch bleibt
Machtausübung und Klassenbewußtsein beinahe unsichtbar, obgleich beides - wie
überall in der Welt - sehr manifest vorhanden ist. Mancher Niederländer ist
davon überzeugt, in der idealen klassenlosen Gesellschaft, der besten der
möglichen politischen Welten zu leben. Diese Überzeugung aktualisiert sich vor
allem in Begegnungen mit Deutschen und mit den deutschen Äquivalenten der
hier angesprochenen Strukturen und Prozesse. Hier kommt es schnell zu
Mißverständnissen und Befremdungen. Obwohl sich beide Gesellschaften unterm
Strich im Maß von Liberalität, Demokratisierung und Sozialstaatlichkeit
sehr gleichen, erscheint es im gegenseitigen Fremdbild so, als ob die Deutschen
besonders autoritär und die Niederländer besonders tolerant seien.
Glauben Sie nicht, daß die vielbeschworene
niederländische Toleranz ein Modell für die Begegnungsdidaktik liefern kann. Es
ist eine Toleranz des Nebeneinander, nicht des Miteinander. Sie ist statisch
und strukturell, nicht dynamisch und individuell.
Empfehlungen für eine
Grenzraumdidaktik
Thijs Wöltgens, der Bürgermeister von Kerkrade, hat
einmal einen Artikel geschrieben mit dem ebenso richtigen wie falschen Titel
"Langs de grens ligt de Europese identiteit voor het oprapen"
("Entlang der Grenze liegt die europäische Identität. Man braucht sie nur
aufzuheben"). (14) Wöltgens stellt sich die Frage, ob es einen Weg zwischen
engherzigem Nationalismus und einem heimatlosen Kosmopolitismus gebe. Seine
Antwort lautet: "Vielleicht müssen wir unsere Zukunft in der gemeinsamen
Vergangenheit suchen. Wenn wir ein bißchen in unserer Geschichte graben,
erweist sich, daß jedes andere europäische Land einmal unser Freund gewesen
ist. Niemand hat Erbfreunde und Erbfeinde, wenn wir das Römische Reich als
Ausgangspunkt nehmen." Vor diesen gutgemeinten Empfehlungen möchte ich
jedoch warnen, desgleichen vor historischen Kulturraumsentimentalitäten und
vor allen Reminiszenzen an Alte Reiche sowieso. Beim Graben in der Geschichte
kommen immer als erstes die Leichen zum Vorschein. Jeder Niederländer denkt
hierbei sofort an Krieg und Besatzungszeit.
Der Ausgangspunkt der Fremdsprachengrenzdidaktik sollte
nicht die Vergangenheit sein, sondern unsere sich globalisierende Gegenwart.
Die Durchdringung von globalen und lokalen Faktoren hat zu einer historisch
gesehen völlig neuen Situtation in Europa geführt. Und der Grenzraum hier im
deutsch-niederländisch-belgischen Maas-Rhein-Gebiet liegt in dieser Beziehung
an der Spitze der europäischen Modernität (manche würden hier sagen:
Postmodernität). Der Vorrat an translokalen Gemeinsamkeiten war noch nie so
groß. Die nationalen Kulturen verflüssigen sich. Die Grenzen beginnen zu
verschwimmen.
Es ist ja auch kein Zufall, daß Sie jetzt, in der zweiten
Hälfte der neunziger Jahre, mit einem großen europäischen Projekt zur
grenzübergreifenden Fremdsprachendidaktik beschäftigt sind. Sie sind damit
ein Teil des Phänomens. Eine bunte Kulturmelange ist am Entstehen.
Interregional kommt es zu völlig neuen Abgrenzungen und Gemeinsamkeiten. Die
Bevölkerungen differenzieren sich in vielfältige ethnisch-kulturelle Teilidentitäten.
In Belgien haben wir bereits seit längerem eine deutsche Sprach- und
Kulturgemeinschaft mit unbestritten belgischer Identität. In den Niederlanden
sind in zweiter, dritter, vierter Generation Diaspora-Identitäten javanischer,
chinesischer, surinamesischer, türkischer und marokkanischer Niederländer
entstanden, die mit modernster Informations- und Kommunikations-Technik mit
den sprachlichen und kulturellen Wurzeln der Herkunftsländer ihrer Eltern,
Großeltern, Urgroßeltern verbunden sind. Und, es mag Sie vielleicht überraschen,
mehr als 400.000 Deutsche wohnen und arbeiten in den Niederlanden und bewegen
sich relativ unauffällig gleichfalls in zwei Kulturen.
Die Begegnungsdidaktik muß, will sie diesem Prozeß
gewachsen sein, eine Doppelstrategie verfolgen: Sie muß Trennendes reflektieren
und Gemeinsamkeiten erleben lassen. Wenn Grenzen die Narben der Geschichte
sind, so kann es weder darum gehen, die Verletzungen zu verdrängen, noch darum,
die alten Wunden wieder aufzubrechen. Was wir dagegen brauchen, sind vergleichende
Untersuchungen zu den Identitätsgeschichten der europäischen
Nachbarvölker in den letzten zweihundert - den
nationalistischen - Jahren. (15) Entsprechend wären interregionale Untersuchungen
zu den Diaspora-Gemeinschaften in den verschiedenen Ländern von großem Wert
für die Begegnungsdidaktik. Auf dieser Grundlage wird eine sensible und
reflektierte Beschäftigung mit der wechselseitigen Begegnungsgeschichte
ermöglicht, die in vielfältige didaktische Programme und Projekte münden
kann.
Deutsch-niederländische Begegnungen mit wechselnden Begegnungssprachen
(Deutsch, Niederländisch, Englisch, Französisch) zu jugendorientierten
Globalisierungsphänomenen, unter Verwendung der neuen (und traditionellen)
Informations- und Kommunikationstechniken ("The medium is the message"):
Internetprojekte, E-mail-Projekte, gemeinsame websites, Online-Chats,
Multi-User-Dialoge, Umwelt, Kunst, Theater, Film ("Star Wars"), Popmusik,
Ausstellungs-projekte, Schulpartnerschaftszeitungen und -videos. Auch
gemischte Generationsbegegnungen von zwei, drei Generationen von Deutschen und
Niederländern sind zur Demonstration erlebter Begegnungsgeschichte sehr zu
empfehlen.
Weiterhin schlage ich die Einrichtung von
Grenzraumportalen im WWW vor. Auf solch einer Internet-site könnten alle relevanten links für die Fremdsprachengrenzdidaktik in einer Region gesammelt
werden.
Für die hier vorgeschlagenen Unterrichtsformen und
-inhalte brauchen wir Lehrer, die in beiden gegebenen Kulturen zuhause sind
und den Perspektivenwechsel als grundlegendes Prinzip des
Fremdsprachenunterrichts internalisiert haben. "Damit ist für Lehrer ein
schwieriger Weg vorgezeichnet: wir alle sind lieber in einer Kultur zuhause,
statt als Grenzgänger zwischen Kulturen zu vermitteln. Politisch waren
Grenzgänger noch nie beliebt - und gerade die jetzigen Zeiten nationaler
Abschottung erinnern daran, wie schwer es ist, zum Zusammenleben mit anderen
und Minderheiten, zum Abbau von Ethnozentrismus zu erziehen" (16) Krumm
1993: 285).
Wie ein Ethnologe steht ein Fremdsprachenlehrer vor dem
Problem: Beteiligung oder Distanz? Ein Grenzgänger muß den Grenzverlauf
kennen wie kein anderer. Er weiß genau, wann er sie überschreitet: er hebt sie
auf und er rekonstruiert sie. "Interkultureller Unterricht kann nur
Wirklichkeit werden, wenn die Lehrerinnen und Lehrer über entsprechende Einstellungen
zur Mehrsprachigkeit und Interkulturalität verfügen" (17). Die Lösung
also liegt im lehrhaften Wechselspiel und in Unterrichtsformen, die den
fliegenden Wechsel spielerisch ermöglichen, ohne den Ernst der Situation
aufzuheben. (18)
Das Leitlernziel der Fremdsprachengrenzdidaktik sollte
die sprachliche und kulturelle Teilhabe an den wichtigsten Gruppenidentitäten
im jeweiligen Grenzraum sein. Das Lernziel darf nicht flüchtiges Wissen sein,
sondern muß nachhaltige und reflektierte Partizipation der Lernenden
ermöglichen.
Anmerkungen
1) Ein Beispiel hierfür ist die Entstehungsgeschichte der
Ems-Dollart-Region. Vgl. Gerd Steinwascher, Euregio und Ems-Dollart - Zusammenarbeit
über die Grenzen hinweg, in: Joachim Bläsing u.a. (Hrsg.), Die Niederlande und Deutschland. Nachbarn in Europa, Hannover
1992, S.194-207
2) Slicher van Bath, zitiert in: O.S. Knottnerus u.a.
(Hrsg.), Rondom Eems en Dollart. Rund um
Ems und Dollart. Historische Erkundungen im Grenzgebiet der Nordniederlande
und Nordwestdeutschlands, Groningen/Leer 1992, S. 22
3) Johan Huizinga, Nederlands
Geestesmerk, 1934. (Übersetzung von mir, P.G.)
4) Horst Lademacher, Zwei
ungleiche Nachbarn. Wege und Wandlungen der deutsch-niederländischen
Beziehungen im 19. und 20. Jahrhundert, Darmstadt 1990; Ernest Zahn, Das unbekannte Holland. Regenten, Rebellen
und Reformatoren, Berlin 1984, 2. überarbeitete Auflage München 1993; Friso
Wielenga, West-Duitsland: Partner uit
noodzaak. Nederland en de Bondsrepubliek 1949-1955, Utrecht 1989; Jürgen
Heß und Hanna Schissler (Hrsg.), Nachbarn
zwischen Nähe und Distanz. Deutschland und die Niederlande, Frankfurt 1988;
Frits Boterman, Duitsland als Nederlands
probleem. De Nederlands-Duitse betrekkingen tussen openheid en eigenheid,
Amsterdam 1999.
5) O.S. Knottnerus, Räume und Raumbeziehungen im Ems
Dollart Gebiet, in: ders. u.a. (Hrsg.), a.a.O., S. 11-42, hier S. 16
6) Franz Petri, Deutschland und die Niederlande. Wege und
Wandlungen im Verhältnis zweier Nachbarvölker, in: F. Petri und W. Jappe
Alberts, Gemeinsame Probleme
deutsch-niederländischer Landes- und Volksforschung, Groningen 1962, S.
1-24, hier S. 11
7) Zitat Wolfgang Clement, Pressemitteilung NRW 624/9/98,
www.nrw.de/pm98/pl98-624.htm
8) Roland Kirbach, Ärger im Dreiländereck. Der
europäische Alltag von Deutschen, Belgiern und Holländern, in: Die Zeit, Nr.
11, 11. März 1999)
9) Vgl. Dirk Woltheker, Spijbelen kan niet meer,
NRC-Handelsblad, 22. Mai 1999
10) Jacoba van Beek, Samenwerking?
Er zijn grenzen! Onderzoek naar de invloed v culturele factor op het proces van
economische en politiek-bestuurlijke integratie in de euregio Maas-Rijn,
Diss. Rotterdam 1996
11) L. Jansen, Bekend
en onbemind. Het beeld van Duitsland en Duitsers onder jongeren van vijftien
tot negentien jaar, 's Gravenhage 1993 (deutsch: Bekannt und ungeliebt. Das Bild von Deutschland und Deutschen unter
Jugendlichen von fünfzehn bis neunzehn Jahren, Düsseldorf/Münster 1994);
Die Untersuchung wurde 1997 wiederholt: Henk Dekker, Rob Aspeslagh und Bastiaan
Winkel, Burenverdriet. Attituden ten
aanzien van de Europese Unie, 's Gravenhage 1997
12) Vgl. meine Untersuchung hierzu: Peter Groenewold, "Land in Sicht". Landeskunde als
Dialog der Identitäten am Beispiel des deutsch-niederländischen Begegnungsdiskurses,
Diss. Groningen 1997, 149-186
13) Bernd Müller, zitiert in: Peter Groenewold, Zerbrochene Spiegel. Gebroken Spiegels.
Rekonstruktion des deutsch-niederländischen Begegnungsdiskurses, Groningen
1997, S. 305. (Übersetzung von mir, P.G.)
14) Theo Wöltgens, Langs de grens ligt de Europese
identiteit voor het oprapen, in: NRC-Handelsblad
15) Ansätze hierzu finden sich in meiner Untersuchung:
Peter Groenewold, Land in Sicht, S.
75-148
16) Hans-Jürgen Krumm,
17) a.a.O., S. 281
18) Vgl. zum Beispiel mein Lernspiel “Erfinde einen
Deutschen”: Peter Groenewold, Landeskundliches Lernen mit Hilfe erfundener
Figuren, in: Jahrbuch Deutsch als
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