Wilhelm Busch (1832-1908) war - und ist immer noch - ein in Deutschland sehr beliebter humoristisch-satirischer Zeichner und Texter von Bildergeschichten für Kinder und Erwachsene (zum Beispiel „Max und Moritz“, 1862).
Anfang 1875, er war 42 Jahre alt, erhielt er einen Brief von einer ihm unbekannten niederländischen Frau: Marie Anderson. Busch war sehr erfreut über diesen auf niederländisch geschriebenen Brief, denn Marie Anderson gab darin ein sehr positives Urteil ab über sein jüngst erschienenes Gedichtbändchen „Kritik des Herzens“ (1874) und stellte dazu einige Fragen. Er konnte ihn ganz gut lesen, da er während seiner künstlerischen Ausbildung einige Zeit in Antwerpen verbracht hatte.
In Deutschland war zu seinem großen Verdruss die Reaktion der Leser und der Kritik auf seine neuen Gedichte sehr verhalten gewesen. Das hätte er sich eigentlich denken können: sein Ruhm gründete sich nun einmal auf die neuartige und erheiternde Zusammenwirkung von Bild und Text und auf die Zugänglichkeit seines Werkes auch für ein breites kleinbürgerliches Publikum. So war das bei „Max und Moritz“ und vielen weiteren Bildergeschichten gewesen.
In „Kritik des Herzens“ hatte er dagegen seinen dichterischen Anspruch höher geschraubt und ganz auf Zeichnungen verzichtet. (Der Titel spielte sogar auf Kants „Kritik der reinen Vernunft“ an.) Nun saß er mürrisch in seinem Geburtsort Wiedensahl, als ihn der Brief der niederländischen Dame erreichte. Er schrieb kurz und freundlich zurück, und binnen weniger Wochen entspann sich ein reger Briefwechsel. Die Briefe wurden immer länger, persönlicher und auch intimer.
Die zehn Jahre jüngere Marie, die übrigens zu der Zeit in Wiesbaden wohnte, schickte ihm Artikel, die sie in niederländischen Zeitschriften veröffentlicht hatte (über Vivisektion und Tierschutz). Er lobte ihre Ansichten, und sie tauschten Porträtfotos aus. Schließlich verabredeten sie sich zu einem persönlichen Treffen in Mainz, wo er auf der Durchreise nach Frankfurt Station machen würde.
Diese Begegnung hat am 6./7.Oktober 1875 stattgefunden. Marie brachte dazu, etwas überraschend, ihren fünfjährigen Sohn mit. Wilhelm und Marie hatten im „Holländischen Hof“ intensive Gespräche bis 2 Uhr nachts. Er trank dabei ziemlich viel Wein, war aber am Morgen fit, und sie machten zusammen einen Ausflug zum nahen Weinort Hochheim, wo er wieder viel Wein trank. Nach diesem Treffen kommen der Briefwechsel und die Herzlichkeit allerdings ins Stocken, um dann im Laufe von 1878 ganz zu verebben.
Die deutschen Busch-Biografen haben diesen Vorgang zwar interessiert beschrieben, sich aber in ihrer Fixierung auf den verehrten Busch nie um den Hintergrund der mysteriösen niederländischen Dame gekümmert. Marie war keine Witwe wie sie schreiben. Ihre Briefe sind auch leider nicht erhalten. Seine hat Marie Anderson selber noch im Jahr seines Todes 1908 in Deutschland herausgegeben („Wilhelm Busch an Maria Anderson, 70 Briefe“, Rostock 1908). Das Buch hatte mehrere Auflagen.
Ich beginne hier eine kleine Reihe von Blogposts in der Hoffnung, etwas mehr Licht in diese Beziehung bringen zu können und zwar von beiden Seiten.