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Freitag, 27. September 2024

Das Tagebuch des Suhrkamp-Verlegers Siegfried Unseld ist online!

Die edition suhrkamp - extra groß!

In der ZEIT dieser Woche erinnert sich Jürgen Habermas an Siegfried Unseld, dessen Verleger-Tagebuch von 1970-2002 gerade online zugänglich geworden ist. Fast das gesamte Werk von Habermas ist bei Suhrkamp erschienen. Das meiste in der irrsinnigen Regenbogenreihe „edition suhrkamp“, die von 1963 bis heute das intellektuelle Spektrum der deutschen 68er-Generation repräsentiert. Heute umfasst die Reihe mehr als 2800 Bände.

Die ersten zwanzig Bändchen der „es“ erschienen 1963. Sie hat mein Leseleben begleitet (nicht von Anfang an, da stand Karl May und sowas, aber dann!). Mit 15 habe ich Peter Weiss‘ Mikroroman „Der Schatten des Körpers des Kutschers“ (es 53, 1964) gelesen, der für mich der Zugang zu einer völlig neuen Art von Literatur war.

Unselds Tagebuch ist eine Chronik des literarischen und geistigen Lebens der Bundesrepublik. 6000 Seiten! Der Text ist mit Suchfunktionen erschlossen. Bei meinen ersten Versuchen haperte es damit. Ich hoffe, dass es an mir liegt.

Montag, 23. September 2024

Wilhelm Busch und Marie Anderson (3): Marie bekommt ein Foto und verliebt sich

Die Briefe, die Marie Anderson an Wilhelm Busch geschrieben hat, sind leider nicht erhalten. Marie wohnt in dieser Zeit in Wiesbaden im Umkreis ihrer besten Freundin Mimi und des Schriftstellers Multatuli. Da diese beiden sich aber im März 1875  auf einer Reise in die Niederlande befinden, gibt es erfreulicherweise einige Briefe von Marie an Mimi, in denen sie freimütig über ihre Gefühle berichtet.

(Eine Zusammenfassung mit längeren Zitaten findet sich auf der Website von Gaia van Bruggen vrouwenrondmultatuli.nl. Ich bringe hier ein paar Briefauszüge in deutscher Übersetzung.)

Am 10. März, nach den ersten sechs Briefen, ist Marie verliebt. Sie hatte Busch um ein Foto gebeten und schreibt an Mimi:





„Das Porträt von B. Ist angekommen – wäre er doch lieber häßlich gewesen! Das meine ich ernst! Aber er ist schön. Ich sehe ein allerliebstes Gesicht: einen sehr freundlichen Mann, freundliche, tiefe und scharfe Augen, eine gerade Nase, ein schöner zweigeteilter Bart, eine schöne Stirn, goldenes Haar. Sehr chique im Ganzen, und ziemlich dick. Hier liegen Fußangeln und Fallen für mich. Oh, ah! – Vielleicht verdiene ich, zurecht gewiesen zu werden, jetzt schon. – Agnes [ihre Schwester] hat das schon getan, zurecht. Ich werde klug sein, hoffe ich. Aber Abschied von ihm nehmen kann ich nicht. Dafür liebe ich sein Inneres zu sehr.“

Marie träumt von einem innigen, auch sexuellen Verhältnis mit Busch. Am 15. März folgt der nächste Brief an Mimi:

„Eigentlich ist es schade, dass ihr Wiesbaden nicht sofort verlasst. Dann hättet ihr keine Schuld daran, dass ich irgendwann ins Kindsbett muss (…). Ja im Ernst. Wenn du den Ausdruck seines schönen Antlitzes gesehen hast, würde es dich nicht wundern, dass mein Begehren nach ihm, meine „Liebe“ sozusagen, noch gewachsen ist. (…) Er weiß jetzt Gott sei Dank, dass ich keinen Mann habe und kann nun freier und herzlicher schreiben; was ich als sehr angenehm erfahre.“

Tja, das ist sehr deutlich. Wie soll das weitergehen?


Sonntag, 15. September 2024

Jacob Israël de Haan und Arnold Zweig

Mir fiel gerade noch rechtzeitig auf, dass in der Groninger Synagoge seit dem 6. Juni eine kleine Ausstellung über Jacob Israël de Haan zu sehen ist. Sie läuft noch bis zum 13. Oktober. 

Jacob Israël de Haan (1881-1924) war ein jüdischer Rechtsanwalt und Schriftsteller, der 1922 nach Palästina ausgewandert ist. Er wurde am 30.Juni 1924 in Jerusalem von Mitgliedern der Hagana ermordet. Nach ihm sind in vielen niederländischen Orten Straßen benannt. Doch sein Werk und die Umstände seines Todes sind nur wenigen bekannt.

Bürgerschaftsdokument der palästinensischen Behörde für Jacob Israël de Haan
(Ausstellung in der Groninger Synagoge)

Noch weniger bekannt ist, sowohl in den Niederlanden als auch in Deutschland, dass der deutsch-jüdische Schriftsteller Arnold Zweig 1932 einen Roman veröffentlicht hat, der außerordentlich spannend auf dem Hintergrund der verworrenen politischen Situation im damaligen Palästina genau diese Geschichte des ermordeten niederländischen Aktivisten erzählt: „De Vriendt kehrt heim“ (Berlin, Kiepenheuer 1932). Dieser Roman wurde neuerdings wiederentdeckt. Jetzt ist in der wunderschön herausgegebenen „Die Andere Bibliothek“ eine Neuausgabe mit Vorwort erschienen. Die hat allerdings einen stolzen Preis: 48 € für 276 Seiten! Eine andere deutsche Ausgabe ist im Moment nicht erhältlich. 





Aber es gibt auch eine niederländische Übersetzung, sozusagen für die Hälfte: „De Vriendt keert terug“, übersetzt von Jansje Post, Uitgeverij Cossee, Amsterdam 2020, 25,99 €. 

Gerade in der heutigen Situation mit dem wachsenden Unverständnis über die israelische Reaktion auf den bestialischen Angriff vom 7. Oktober vermittelt dieser Roman wichtige Einblicke in die jüdisch-palästinensische Geschichte.

Aber ein niederländischer Lawrence of Arabia war de Haan wohl nicht. 



Samstag, 14. September 2024

Wilhelm Busch und Marie Anderson (2): Wer war Marie Anderson?

Marie Anderson (1842-1917) war zur Zeit ihrer Kontaktaufnahme mit Wilhelm Busch 32 Jahre alt. Sie kam aus einer höheren Beamtenfamilie aus Den Haag. Ihr Vater hatte dort den ersten Tierschutzverein der Niederlande gegründet, und Tierschutz gehörte von ihrer frühen Kindheit an zu ihren leidenschaftlichen Interessen.

Sie wuchs humanistisch-emanzipatorisch auf und verkündete schon als junge Frau ihre Ansichten in Leserbriefen an die Freidenker-Zeitschrift „De Dageraad“. Damit gewann sie die Aufmerksamkeit des Schriftstellers Eduard Douwes Dekker, der 1860 unter dem Pseudonym Multatuli mit seinem antikolonialistischen Roman „Max Havelaar“ Furore gemacht hatte. Der Roman ist einer der bekanntesten Klassiker der niederländischen Literatur und gehört, sofern man dort noch liest, noch heute zur Schullektüre. 

Dieser skandalumwobene Multatuli suchte Kontakt zu Marie und ging mit ihr heimlich in den Scheveninger Dünen spazieren. Er war ein sehr charismatischer Mann - sowohl in intellektueller als auch in erotischer Hinsicht – und versammelte eine ganze Gruppe junger Frauen in seiner „Legion der Kinder von Insulinde“. Sein politisches Ziel war, eine antikolonialistische, emanzipatorische und feministische Partei zu gründen.

Marie nahm mit ihrer besten Freundin Mimi (die später Multatulis zweite Frau werden sollte) an den Zusammenkünften teil. Indessen schrieb sie weiter Leserbriefe, aber auch persönliche Briefe an einflussreiche Männer. Aus einem dieser Kontakte resultierte eine Liebesbeziehung zu einem verheirateten Mann, von dem sie 1870 ein Kind bekam. Der Mann wollte seine Frau nicht verlassen, ermöglichte Marie aber ins Ausland zu gehen und in Köln einen kleinen Laden für Zigarren und Eau de Cologne zu eröffnen.

Auch Multatuli weicht 1870 wegen finanzieller und gerichtlicher Probleme nach Deutschland aus und erprobt in Wiesbaden sein „totsicheres“ Roulettesystem.  Mimi begleitet ihn, und schließlich verlegt auch Marie ihren Laden nach Wiesbaden, wo sie im nächsten Umkreis von Multatuli verkehrt.

Maries Laden in Wiesbaden.
 Bildkonzeption: P. Groenewold/ Ausführung: ChatGPT

Von dort aus also nimmt sie Anfang Januar 1875 Kontakt zu Wilhelm Busch auf…

Meine Informationen stammen aus drei Quellen:

-              Dik van der Meulen, Multatuli. Leven en werk van Eduard Douwes Dekker, Nijmegen 2002

-              Gaia van Bruggen, Verheven ongemanierd. Mimi en Multatuli, Amsterdam 2023

-              Gaia van Bruggen bereitet augenblicklich eine Biografie von Marie Anderson vor. Ihrer Website https://www.vrouwenrondmultatuli.nl habe ich für mein kleines Blogprojekt am meisten zu verdanken.


Das Literarische Quartett vom 13. September

Es gibt es noch, das gute alte Literarische Quartett, in dem heftig über Romane gestritten wird. Im linearen Fernsehen läuft die Sendung nachts um halb zwölf. Sie ist aber am nächsten Morgen bereits in der ZDF-Mediathek zugänglich.

Alle vier Romane führten diesmal zu wildem Durcheinanderreden, aber vielleicht lag’s auch an den kontroversen Charakteren der Diskutanten. Besprochen werden:

Francesca Melandri, Kalte Füße

Nora Bossong, Reichskanzlerplatz

Arno Geiger,  Reise nach Laredo

Alexander Schimmelbusch, Karma

Mit dem letzten Roman habe ich mich hier ja schon mehrfach beschäftigt, und ich habe den Eindruck, dass Thea Dorn und ihre Runde dem Konzept Alexander Schimmelbuschs nicht ganz gewachsen waren. Vielleicht hatten sie auch Angst vor dieser satirischen Dystopie.

Unterhaltsam war dieses Quartett allemal:

https://www.zdf.de/kultur/das-literarische-quartett


Freitag, 13. September 2024

Zwergenzyklus (9): Schneewittchen und der Zauberspiegel

Schneewittchen und der Zauberspiegel

 

Ihr wisst, wie es im Märchen ging

Mit dem Spiegel und der bösen Königin:


„Spieglein, Spieglein an der Wand

Wer ist die Schönste im ganzen Land?“

 

Da antwortete der Spiegel:

 

„Frau Königin, Ihr seid die Schönste hier,

Aber Schneewittchen ist tausendmal schöner als Ihr.“

 

Die Königin wurd‘ auf die Dauer

Auf ihren Zauberspiegel sauer.

Die Antwort auf ihre Lieblingsfrage

Geriet für sie zur Nervenplage.

 

Und weil sie das so sehr verdross,

Kam er zum Abfall hinters Schloß.

Ein Zwerg zog ihn dort aus dem Müll,

„Vielleicht, dass ihn Schneewittchen will!“

 

Schneewittchen war durchaus erfreut:

„Solch einen Spiegel hab’n nicht alle Leut‘!“

Sie hing ihn in ihr Kämmerlein

Und schloss sich vor den Zwergen ein.

 

Dann trat sie vor den Spiegel hin und sprach:

 

„Spieglein, Spieglein an der Wand,

Wer ist die Schönste im ganzen Land?“

 

Der Spiegel antwortete: „Oh Weh und Ach!“ - - -


 „Schneewittchen, Ihr seid die Schönste hier,

Doch Euer Spiegelbild ist genauso schön wie Ihr.“

 

Da wurd‘ Schneewittchen grün und gelb vor Tücke

Und schlug den Spiegel in tausend Stücke.

 

Bildkonzeption: P. Groenewold/Ausführung: ChatGPT


Donnerstag, 12. September 2024

Wilhelm Busch und Marie Anderson: eine deutsch-niederländische Begegnung (1)

Wilhelm Busch (1832-1908) war - und ist immer noch - ein in Deutschland sehr beliebter humoristisch-satirischer Zeichner und Texter von Bildergeschichten für Kinder und Erwachsene (zum Beispiel „Max und Moritz“, 1862).

Anfang 1875, er war 42 Jahre alt, erhielt er einen Brief von einer ihm unbekannten niederländischen Frau: Marie Anderson. Busch war sehr erfreut über diesen auf niederländisch geschriebenen Brief, denn Marie Anderson gab darin ein sehr positives Urteil ab über sein jüngst erschienenes Gedichtbändchen „Kritik des Herzens“ (1874) und stellte dazu einige Fragen. Er konnte ihn ganz gut lesen, da er während seiner künstlerischen Ausbildung einige Zeit in Antwerpen verbracht hatte.



In Deutschland war zu seinem großen Verdruss die Reaktion der Leser und der Kritik auf seine neuen Gedichte sehr verhalten gewesen. Das hätte er sich eigentlich denken können: sein Ruhm gründete sich nun einmal auf die neuartige und erheiternde Zusammenwirkung von Bild und Text und auf die Zugänglichkeit seines Werkes auch für ein breites kleinbürgerliches Publikum. So war das bei „Max und Moritz“ und vielen weiteren Bildergeschichten gewesen.

 In „Kritik des Herzens“ hatte er dagegen seinen dichterischen Anspruch  höher geschraubt und ganz auf Zeichnungen verzichtet. (Der Titel spielte sogar auf Kants „Kritik der reinen Vernunft“ an.) Nun saß er mürrisch in seinem Geburtsort Wiedensahl, als ihn der Brief der niederländischen Dame erreichte. Er schrieb kurz und freundlich zurück, und binnen weniger Wochen entspann sich ein reger Briefwechsel. Die Briefe wurden immer länger, persönlicher und auch intimer.

Die zehn Jahre jüngere Marie, die übrigens zu der Zeit in Wiesbaden wohnte, schickte ihm Artikel, die sie in niederländischen Zeitschriften veröffentlicht hatte (über Vivisektion und Tierschutz). Er lobte ihre Ansichten, und sie tauschten Porträtfotos aus. Schließlich verabredeten sie sich zu einem persönlichen Treffen in Mainz, wo er auf der Durchreise nach Frankfurt Station machen würde.

Diese Begegnung hat am 6./7.Oktober 1875 stattgefunden. Marie brachte dazu, etwas überraschend, ihren fünfjährigen Sohn mit. Wilhelm und Marie hatten im „Holländischen Hof“ intensive Gespräche bis 2 Uhr nachts. Er trank dabei ziemlich viel Wein, war aber am Morgen fit, und sie machten zusammen einen Ausflug zum nahen Weinort Hochheim, wo er wieder viel Wein trank. Nach diesem Treffen kommen der Briefwechsel und die Herzlichkeit allerdings ins Stocken, um dann im Laufe von 1878 ganz zu verebben.

Die deutschen Busch-Biografen haben diesen Vorgang zwar interessiert beschrieben, sich aber in ihrer Fixierung auf den verehrten Busch  nie um den Hintergrund der mysteriösen niederländischen Dame gekümmert. Marie war keine Witwe wie sie schreiben. Ihre Briefe sind auch leider nicht erhalten. Seine hat Marie Anderson selber noch im Jahr seines Todes 1908 in Deutschland herausgegeben („Wilhelm Busch an Maria Anderson, 70 Briefe“, Rostock 1908). Das Buch hatte mehrere Auflagen.

Ich beginne hier eine kleine Reihe von Blogposts in der Hoffnung, etwas mehr Licht in diese Beziehung bringen zu können und zwar von beiden Seiten.

Dienstag, 10. September 2024

Sahra Wagenknecht als nonverbale Erscheinung

 Florian Illies hat in der ZEIT vom 5. September einen außerordentlich originellen Artikel über die Ähnlichkeit von Sahra Wagenknecht und Nofretete geschrieben („Mit der Ruhe von Jahrhunderten“, Die ZEIT Nr. 38, S. 47).

„Man hatte ja bislang immer das Gefühl, seit Jahrhunderten sitze Wagenknecht mindestens einmal die Woche in einer deutschen Talkshow, um mit starrem Blick in eine Gegenwart und Zukunft zu schauen, die niemand außer ihr erkennen konnte. Wenn sie nicht sprach, verwandelte sie sich in eine unbewegliche Statue, ihre Gesichtszüge erinnerten in ihrer Feinheit und Strenge an die berühmte Büste der Nofretete (…).“

Nach weiteren Ausführungen über beide Frauen beendet Florian Illies seinen schönen Artikel mit diesem Satz: 

„Sahra Wagenknecht bleibt, durchaus ungewöhnlich für eine Populistin, nicht durch mitreißende rhetorische Auftritte in Erinnerung, sondern als nonverbale Erscheinung, als Büste einer Frau, der es egal ist, wer unter ihr auf dem Ministerpräsidentensessel sitzt.“

Nicht Björn Höcke, sondern Sahra Wagenknecht wird die Bundesrepublik verändern, die Frau, die aus dem Stand heraus mit einer Partei, die ihren Namen trägt, in die Landesparlamente einzieht und ohne die nicht mehr regiert werden kann.

Konzeption Abbildung: P. Groenewold/Ausführung ChatGPT


Montag, 9. September 2024

Zwergenzyklus (8): Die Grafikfunktion von ChatGPT

 Das Experimentieren mit der Grafikfunktion von ChatGPT macht mir großen Spaß. Beim Versuch, das Programm Abbildungen zu meinen Zwergengedichten machen zu lassen, bin ich aber sofort an eigentlich vorhersehbare Grenzen gestoßen. ChatGPT weigerte sich wiederholt, Bilder mit Schneewittchen und den sieben Zwergen zu erschaffen: „Ich konnte das Bild leider nicht generieren, da die Anfrage gegen die Inhaltsrichtlinien verstößt.“ Es hilft dann aber, sich in diese Inhaltsrichtlinien hineinzuversetzen: Es geht um die Vermeidung von Diskriminierung aller Art, Ausschließung auch nur ansatzweise erotischer Inhalte und um große Vorsicht, was die mögliche Verletzung von Urheberrechten betrifft. Mit kreativen Neuformulierungen der Anfrage ist es aber möglich, diese Verweigerungshaltung zum Teil zu umgehen.

Hier sind zwei Beispiele:


Schöpfungsgeschichte

Am Anfang schuf Gott Himmel und Zwerge,

Und ihre Köpfe waren kahl und leer.

Da lieh Gott ihnen seine Mütze,

Die gaben sie nie wieder her.



Konzeption: P. Groenewold/Ausführung: ChatGPT












Die Zwergin und der Schwan

Die Zwergin war einst blind vor Liebe

Zu einem Schwan!

Vor allem dessen langer Hals

Hatt‘ es ihr angetan.

 

Verzichten wollt‘ sie keinesfalls:

Auch Zwerge haben Triebe.

 

Doch eines brachte sie von Sinnen:

Sie konnt’ nicht schwimmen!


 
Konzeption: P. Groenewold/Ausführung: ChatGPT






Dienstag, 3. September 2024

Der schönste deutsche Roman der letzten 15 Jahre: Alexander Schimmelbusch, „Blut im Wasser“



Dass es in der deutschen Gegenwartsliteratur einen bereits 2009 erschienenen wunderbaren kleinen Roman gibt, der eine gewisse Verwandtschaft mit Truman Capotes erstem Roman „Summer Crossing“ hat (2005 im Nachlass entdeckt) und sprachlich/kompositorisch von vergleichbarer Qualität ist, ist mir bisher entgangen. Solch ein Juwel wie „Blut im Wasser“ vermutet man doch gar nicht in der deutschen Literatur. Auch thematisch ähneln sich beide Bücher: eine tragische Liebesgeschichte im Upper Class Milieu.

Die Erstrezensenten hatten sich durchaus in dieser Richtung geäußert („Ganz große Oper“, FAZ; „130 Seiten hat dies kleine, unfassbar kluge Buch – damit man es zweimal lesen kann“, Jan Drees), aber dann wurde es schnell still um diesen so untypischen und aus dem gängigen Trend fallenden Roman und seinen offenbar eher bescheidenen Autor.

 Wahrscheinlich wegen der Publikation von Schimmelbuschs neuem Roman „Karma“ hat der  rororo – Taschenbuchverlag „Blut im Wasser“ gerade neu aufgelegt (2024, 14€). Wer sich  keinen neosprachlichen satirisch-stilistischen Sprachfiguren aussetzen will wie in „Karma“ – so sinnvoll wie sie da auch sind – findet hier die Begegnung mit einem faszinierenden Autor abseits der großen Medienaufmerksamkeit. Wahrscheinlich ist Upper Class als Romanmilieu hier und heute im merkwürdigen deutschen Verschmelzungsstaat absolutely not done. Aber der Mann, der hier schreibt, weiß worüber er schreibt, und schreibt über das, wovon er weiß.

Der Roman spielt zu einem großen Teil in der amerikanischen Hauptstadt Washington, da der der deutsche Sohn eines international ökonomisch erfolgreichen Vaters an der Georgetown University studiert hat und dort ein Haus besitzt. Der Autor führt uns früh im Roman aus der Perspektive seiner Figur  über mehrere Seiten am Gelände des Kapitols entlang, dem Zentrum der amerikanischen Identität, und erinnert uns an den 2001 beinahe Wirklichkeit gewordenen Plan islamistischer Attentäter, ein Flugzeug im Kapitol explodieren zu lassen. Das bleibt so im Roman hängen; wer will, kann eine Verbindung zur Erzählung knüpfen.

Wer das Buch jetzt zum ersten Mal liest, hat dabei auch das Geschehen vom Januar 2021 vor Augen: die Erstürmung des Kapitols durch die Gefolgschaften Donald Trumps. Wer will, kann auch hier die Verbindung zu der Erzählung knüpfen, die mehr als zehn Jahre zuvor entstanden ist.

Aber so offen politisch ist Alexander Schimmelbusch gar nicht. Er platziert alles untergründig, das Vergangene und das Zukünftige. Das Gegenwärtige aber lässt er uns in wunderbarer Sprache gnadenlos sehen.

Ich bin nicht der Einzige, der sich an Capote erinnert gefühlt hat. Und Jan Wiele spricht in seiner Rezension von „Karma“ (siehe Blogpost vom 1.9.) vom „deutschen Houellebecq … und mehr“.