Im fünften Semester meines Studiums (1969) habe ich jemandem geschrieben, ich hätte nicht den Ernst, ein Wissenschaftler zu werden. Abgesehen davon, dass das auf die Dauer so nicht richtig war, habe ich in jenen Jahren in der Tat eine Unernsthaftigkeit gepflegt, die für manche Freunde so problematisch war, dass sie meinten, mit mir könne man nicht ernsthaft sprechen, ohne in die Gefahr ironischer Fallstricke und Floretthiebe zu kommen.
Am 16. Juni 1969 haben meine Freunde Jens B., Jochen S. und ich in meinem Zimmer im Dahlemer Rudeloffweg am frühen Nachmittag gemeinsam den „Zwergenzyklus“ gedichtet, ca. zwei Dutzend Gedichte, die im Zwergenland spielten. Stück für Stück betrachtet, mögen sie Blödeleien sein, in ihrer wechselseitigen Reaktion aber steckte ein Hauch von Struktur und Sinn. Zum Beispiel:
Wer kommt nicht über den Hügel?
Ein Zwerg ohne Flügel
(Jochen S.)
Wenn Berge Hügel
Nur noch sind,
Steht Roderich im Sattelbügel,
Der Zwerge letztes Kind.
(Peter G.)
Es ging um eine Mischung aus Nonsense und absurder Komik. Wir hatten in den Monaten zuvor mehrmals die Vorstellungen von Insterburg & Co. im Reichskabarett in der Ludwigkirchstraße gesehen. Dort sangen und spielten u.a. Karl Dall und Peter Ehlebracht, die wie Jochen und ich aus Leer stammten. Sie hatten den Vorteil des größeren Talents und der originelleren Kombination comedian-artiger Fähigkeiten. Ein zwei Jahre später füllten sie riesige Hallen.
Für uns ging es nur um Kompensation von Einsamkeit, geforderter wissenschaftlicher Ernsthaftigkeit und um das Überleben in einem politisch aufgeheizten Westberlin.
In den Tagen darauf habe ich noch allen Ernstes einen parodistischen textkritischen Kommentar zu jedem einzelnen Gedicht geschrieben. Daraus lässt sich heute noch sehen, dass ich durchaus etwas in meinem Germanistikstudium gelernt hatte.
Da jemand mich aufgefordert hat, doch einmal etwas aus jener Zeit aufzuschreiben, habe ich mir den Zwergenzyklus nach Jahrzehnten noch einmal angesehen und bekam sofort Lust eine Neue Folge zu schreiben. Das habe ich zu Weihnachten getan. Sie sind ein klein wenig sinnhafter als damals, genügen aber vollauf den Anforderungen der damals gepflegten Unernsthaftigkeit.
Ein paar Beispiele setze ich in mein Blog.