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Mittwoch, 27. März 2013

Macht Platz fur Reinhard Jirgl – Alles von euch auf Erden

"Nichts von euch auf Erden": Welch ein großartiger, Grauen-voller Roman! Szenen mit Entsetzlichkeiten, die nur mühsam zu ertragen sind, wechseln mit Schilderungen von außerordentlicher Schönheit, Kraft und Gewalt. Jirgl bedient sich vieler Motive aus der Antike, der Bibel, der modernen und postmodernen Kultur: Muttermord, das biblische Buch Esra, Spielbergs Indiana Jones und vieles andere mehr. Er überträgt sie in eine Zukunft des 26. Jahrhunderts, um unsere Gegenwart zu ertragen. Für Abwechslung ist gesorgt! Am Ende steht das Verschwinden der Menschen.

Zwei der schönsten Passagen: die Beschreibung des tropischen Gartens der Freundin des Protagonisten, in dem das Paar dann seine erste Vereinigung erlebt. Erst also der Garten in seiner pflanzlichen Pracht, dann das postgenitale Sexerlebnis im 26. Jahrhundert. Was das genau bedeutet, verrate ich nicht, aber es geht um ungeahnte Körpersensationen, für die Jirgl unglaubliche Sprachergüsse und –zuckungen bereithält, seitenlang (142-148). Die ganze Szene ist wahrscheinlich als überhöhte Darstellung des jüdischen Laubhüttenfestes gedacht (Buch Esra!).

Ein anderes Beispiel: die Beschreibung eines Ausflugs des Protagonisten auf der lebensfeindlichen Marsoberfläche. Das sind Landschaftsbeschreibungen von einer im wahrsten Sinne des Wortes überirdischen Schönheit und Rauheit. Auch diese Szene hat einen Kulminationspunkt in der Begegnung mit einer menschenähnlichen, aber metallisch-felsigen Struktur am Eingang einer Schlucht. Sie ähnelt in ihrer Form dem Denker von Rodin, aber ihre wahre Natur bleibt ein Geheimnis.
Marspanorama
Und so ließen sich noch Dutzende überwältigende oder erschreckende Besonderheiten auflisten.

Ich will aber hier und heute eigentlich nur feststellen, dass ich mein Lesetagebuch zu diesem Roman beende, da es nur immer wieder neue sprachliche und inhaltliche Sensationen festhalten kann, die aber in ihrer Summe nicht zur Essenz des Ganzen führen. Ich habe das Buch ausgelesen und bin davon beeindruckt wie von keinem anderen deutschen Roman der letzten Jahrzehnte. Wenn ich dazu etwas schreiben möchte, dann wird das ein langer Artikel, für den ich mich aber noch mit Jirgls früheren Werken beschäftigen muss, deren Motive hier alle zurückkehren. Das übersteigt zunächst einmal den Rahmen dieses Blogs.

Meine Vermutung, dass es sich um einen BRD/DDR-Roman handelt, muss ich zum Teil zurücknehmen. Jirgls Konzept geht um Dimensionen darüber hinaus. Und das ist offenbar auch schon in seinen vorhergehenden Romanen (u.a.:)  „ Die Stille“ (2009), „Die transatlantische Mauer“ (2000) und „Hundsnächte“ (1997) der Fall, die ich alle bisher nicht beachtet habe.

Ich empfehle allen Lesern: Vergesst (oder vergesst nicht!) Ransmayr, Sebald, Krausser, Kracht und all die anderen! Macht Platz (macht Leseplatz und Ehrfurchtsdistanz!) für Reinhard Jirgl, den bedeutendsten deutschen Schriftsteller der Gegenwart. Lest ihn, aber seid gewarnt: Einfach ist er nicht! Und er ist gefährlich: Seine Sprache und Gewalt bringt euch an den Rand der Existenz.
Hört ihm zu. Hier klingt noch alles ganz erträglich:

Sonntag, 24. März 2013

Reinhard Lakomy ist tot - Meine Jahre mit DT64

Gestern ist Reinhard Lakomy gestorben. Ich kenne seine Lieder aus den siebziger Jahren. Wir haben damals in West-Berlin oft im DDR-Radio das Jugendstudio DT64 gehört: Puhdys, Karat und so weiter. Lakomy hat später Kinderlieder gemacht. Ich sehe seinen Namen heute zum ersten Mal seit Jahrzehnten wieder.

Aber sofort tauchte ein Lied in meinem Kopf auf, das ich damals sehr gemocht habe: “Heute bin ich allein” (1972). Kai Biermann hat mit dem Titel seines Nachrufs recht: “Lakomy war ein Gefühl”.
Hier ist das Lied, meine kleine Hommage an Reinhard Lakomy:



Freitag, 22. März 2013

Welttag der Poesie – Die GedichtMaschine

Da hab ich doch ganz verschwitzt, dass gestern der Welttag der Poesie war. Den hole ich jetzt nach mit einem fabelhaften Instrument, mit dem man aus jedem Prosatext ein Gedicht machen kann. Hier ist die GedichtMaschine.

Ich hab’s einmal mit zwei Absätzen aus meinem gestrigen Beitrag über Cro versucht. Bitteschön:

sondern auch du bist cro
nicht nur das cro weitet
harten berliner pflaster wie sido
seine kreativ produktionen aus bietet

geöffnet kommt denn auch nicht
intelligenz zeigt sich auch beim
cro hat eine interessante einsicht
großen publikum erfolg haben will

phänomen vielleicht auch ein phantom
nicht nur das cro weitet
einsicht wer beim großen publikum
stuttgarter untergrunds cros intelligenz zeigt

Donnerstag, 21. März 2013

Wir sind Cro. Widerstand ist zwecklos. – Mit Grüßen von GOETHE

Das neue Multi-Talent Cro hat das Beste aus Rap und Pop assimiliert und produziert seit drei Jahren einen ganz spezifischen deutschen “Raop”-Stil, der national wie international die Kids erobert.

Cro heißt eigentlich Carlo Waibel, kommt aus Stuttgart und ist erst 23. Seit 2009 hat er durch selbstproduzierte  Mixtape-Videos und zum freien Download angebotene Lieder auf sich aufmerksam gemacht. Im Laufe des Jahres 2012 gelangten fünf seiner Single-Titel in die deutschen TOP-100-Charts. Seine Konzerte sind ausverkauft. Cro hat im letzten November den Bambi in der Kategorie Pop National bekommen.

Cro
Cro ist ein Phänomen, vielleicht auch ein Phantom. Cro hat eine interessante ethnologische Einsicht: Wer beim großen Publikum Erfolg haben will, muss eine Maske tragen. Darin war ihm der Rapper Sido schon vorausgegangen, allerdings mit einer Totenkopfmaske, und die taugte nur zum Rüpel-Image.  Cro ist schlauer: Er trägt eine Pandamaske. Mit dem Antlitz des beliebten Kinderbären und Tierschutzsymbols hat er sich die Pforten zum Status des Weltkinderlieblings geöffnet. Er kommt denn auch nicht vom harten Berliner Pflaster wie Sido und Bushido, sondern von den sanften schwäbischen Hügeln Stuttgarts.

Cro’s Intelligenz zeigt sich auch beim Konjugieren: Er sagt nicht einfach nur “Ich bin Cro”, sondern auch “Du bist Cro” und “Wir sind Cro”. Er gewährt uns die Assimilation, und schwupp tragen wir alle Pandamasken! Und nicht nur das: Cro weitet seine kreativ assimilierbaren Produktionen aus und bietet ab April bei H&M eine eigene Kollektion an, auch in den Niederlanden! Cro-Klamotten für alle!
Ach, und Musik macht er ja auch. Eine Mischung aus Rap und Pop, Raop also. Auf deutsch! Und sogar gereimt! Völlig gratis! Goethe, der noch mit der nackten Faust (sic!) rapte, hätte in Cro, wenn nicht seinen Meister, so doch seine Mignon erkannt! Mignon gehört im “Wilhelm Meister” zu einer Gruppe fahrender Akrobaten. Sie ist ein jungenhaftes Mädchen oder ein mädchenhafter Junge - das ist bei Goethe nicht ganz deutlich - der/die sehnsuchtsvolle Lieder singt, voller Fern- oder Heim-  oder Wehweh: “Kennst du das Land, wo die Zitronen blühn? Dahin möcht ich mit dir, mein Geliebter, ziehn.” Genau wie bei Cro’s Video “Einmal um die Welt”. Cro bringt das klassische deutsche Ideal auf die Höhe unserer Zeit:

 
Zum Mitlesen des Liedtextes und zur Fortsetzung des Beitrags bitte hier klicken:

Mittwoch, 20. März 2013

Weltgeschichtentag

Heute ist Weltgeschichtentag. Er steht dieses Jahr unter dem Motto “Glück und Schicksal”.

Café Deutschland beteiligt sich mit der folgenden Geschichte von Friedrich Schiller aus dem Jahre 1782:




Friedrich Schiller
Eine großmütige Handlung aus der neuesten Geschichte

[…] Gegenwärtige Anekdote von zwei Deutschen – mit stolzer Freude schreib ich das nieder – hat ein unabstreitbares Verdienst: sie ist wahr. [..] Zwei Brüder, Barone von Wrmb., hatten sich beide in ein junges, vortreffliches Fräulein von Wrthr. verliebt, ohne daß der eine um des andern Leidenschaft wußte. Beider Liebe war zärtlich und stark, weil sie die erste war. Das Fräulein war schön und zur Empfindung geschaffen. Beide ließen ihre Neigung zur ganzen Leidenschaft aufwachsen, weil keiner die Gefahr kannte, die für sein Herz die schrecklichste war: seinen Bruder zum Nebenbuhler zu haben. Beide verschonten das Mädchen mit einem frühen Geständnis, und so hintergingen sich beide, bis ein unerwartetes Begegnis ihrer Empfindungen das ganze Geheimnis entdeckte.

Zur Fortsetzung hier klicken:

Dienstag, 19. März 2013

Jirgl auf Erden (5): Endlich etwas Konkretes

Nun liegt immerhin eine globale Inhaltsangabe von Rainer Jirgls Roman “Nichts von euch auf Erden” vor und, begleitend dazu, ein Gespräch über das Buch im Deutschlandradio, in dem Helmut Böttiger von seinen Leseerfahrungen berichtet. Böttiger ist sehr beeindruckt und prophezeit Jirgl eine große Zukunft.

Anflug auf den Mars

Endlich etwas Konkretes, aber hilft es wirklich weiter?
Kein Wort bei Helmut Böttiger über die eventuelle Thematik BRD-DDR, auf die ich in meinem Beitrag hingewiesen habe. Liege ich da etwa verkehrt?

Eine der vielen sprachlich großartigen Passagen im Roman ist die Rede, die der neue Machthaber vom Mars im “Haus der Sorge”, dem ehemaligen Reichstagsgebäude, hält. Sie trägt den Titel “WIR SETZEN NEUEN ANFANG” und ist eine rhetorisch glanzvolle Ansprache an die Repräsentanten Zentraleuropas. Der nach Generationen zur Erde zurückgekehrte Marsmensch erläutert ihnen darin knallhart das neue politische  und gesellschaftliche Programm mit den Folgen für jeden einzelnen (vgl. Nichts von euch auf Erden, S. 162-175).
Natürlich spricht hier nicht Gerhard Schröder, an den mich die äußere Beschreibung des Marspräsidenten erinnert hatte, aber es ist der Typus Schröder. Und natürlich geht es hier nicht um die deutsche Vereinigung und die Unterschiede von Ossies und Wessies, sondern es geht um die kolonialistische Überstülpung eines zusammengebrochenen Systems durch ein übermächtiges anderes System, eine Situation, in der die Kolonisierten de facto nichts mehr zu sagen haben. Ort und Art der Rede legen diesen Vergleich nahe.

Schon wer - wie ich - das Buch erst halb gelesen hat, wird bei Böttigers Besprechung sagen: Aber da gibt es doch noch das und das und das und vor allem: eine ganz andere Ebene, denn dies ist ein unglaublich reichhaltiges Buch. Nach meinen ersten Eindrücken ist dies einer der bedeutendsten deutschen Romane der letzten Jahrzehnte.

Montag, 18. März 2013

Jirgl auf Erden (4): Die lebendig gebratene Gans

Beim Weiterlesen in Reinhard Jirgls neuem Roman “Nichts von euch auf Erden” ist mir klar geworden, warum die Rezensenten noch schweigen. In diesem Buch kehren einerseits alle formalen und inhaltlichen Elemente der früheren Romane des Autors wieder; die sind schon irritierend genug, und man muss ein guter Kenner seiner Werke sein, um damit umzugehen (ich bin das nicht!). Durch die Gattungsverfremdung der Science fiction erhalten diese Elemente dann noch einen besonders exotischen und oft grausigen Dreh.

Dies ist ein Buch voller schrecklicher und bewegender Dinge, geschrieben in einer außergewöhnlich kraftvollen und kreativen Sprache. Es hat mich gepackt, und ich brauche Zeit dafür.

Ein paar kleinere Beobachtungen werde ich weiterhin präsentieren, heute zum Beispiel das Rezept der lebendig gebratenen Gans, die sich der Protagonist in einem Restaurant auf dem Erdmond bestellt. Es steht in einem tabletartigen “Speisenbuch” mit “mikroskopisch dünnen elektrischen Leitbahnen, die 1zelne Buchstaben zu Worten und Sätzen verbanden. Und so gestaltete sich das Folgende nicht vor meinen Augen, sondern direkt=in-meinem-Gehirn:”

"Nimm eine lebende Gans, berupfe sie bis auf den Hals und Kopf, mache rings um sie ein Feuer, nicht allzu nahe, auf daß sie nicht ersticke, sondern allgemach brate. Setze zu ihr ein Gefäß von Wasser, darunter Honig und Salz vermischt, damit sie oft möge trinken. Darnach nimm Aepfel, schneide sie klein, koche sie in einer Bratpfanne, beträufle damit oft die Gans, daß sie desto eher gebraten werde, rücke das Feuer näher zu ihr, aber doch eile nicht zu geschwind. Und wenn sie anhebt zu kochen, läuft sie inwendig im Feuer umher und begehrt zu fliegen; da sie es wegen des Feuers nicht zuwege bringen kann, trinkt sie ohne Unterlass, sich zu laben und zu kühlen. Und wenn sie heiß geworden, bratet und kocht sie auch inwendig, du mußt ihr aber ohne Unterlaß das Haupt und Herz mit einem feuchten Schwamm erkühlen. Und wenn sie anhebt zu zappeln und zu fallen, so nimm sie hinweg vom Feuer, lege sie auf eine Schüssel und gib sie den Gästen zu essen, so ist sie gebraten und lebt doch noch und schreit, wenn man von ihr schneidet."
(Reinhard Jirgl, Nichts von euch auf Erden, 292)

Wahrlich ein verstörendes Rezept!
Jirgl hat von seinem ersten Roman an die Methode der Textmontage verwendet, bei der er längere Zitate aus unterschiedlichsten Werken in eine neue Umgebung stellt und damit erschreckende Wirkungen erzielt. Hier gibt er einem kuriosen Text des siebzehnten Jahrhunderts die grausige Realität einer Cyberillusionen erzeugenden SF-Küche in einer Kaverne auf dem Mond, wo dieses Gericht real auf den Tisch kommt und verspeist wird. (Das wird auch noch ausführlich beschrieben.)

Jirgl nennt seine Quelle nicht. Sie ist aber auf Google schnell gefunden. Der Text stammt aus dem "Kunst- und Wunderbüchlein zur wohlbestellten Haushaltung" (Frankfurt am Main 1625) des Württemberger Schriftstellers Balthasar Schnurr (1572-1644).

Samstag, 16. März 2013

Judith Schalansky in “Hier is… Adriaan van Dis”

Kaum ist man mal zwei Tage weg, hat man auch schon was verpasst. Aber es gibt ja “uitzending gemist” und so konnte ich mir die einmalige Wiederkehr der legendären Sendung “Hier is... Adriaan van Dis” doch noch ansehen. Das erste Interview führt Adriaan van Dis auf Deutsch mit der Autorin und Buchgestalterin Judith Schalansky. Ihr Roman “Der Hals der Giraffe” erzählt die Geschichte einer ostdeutschen Biologielehrerin und ist gerade unter dem Titel “De lessen van mevrouw Lohmark” auf Niederländisch erschienen.



Ein dreifacher Tusch für Adriaan van Dis für den Mut, das Interview auf Deutsch zu halten.
Judith Schalanskys Künste als Buchgestalterin habe ich in Café Deutschland schon einmal gewürdigt.

Mittwoch, 13. März 2013

Jirgl auf Erden (3): Der Mann vom Mars

Im “Haus der Sorge” findet die große Versammlung der Marsianer mit den Erdmenschen statt. Die Abgesandten vom Mars haben offenbar die Macht übernommen. Der junge Protagonist des Romans entdeckt in der Vorhalle neue Kopfskulpturen:




Zum Vergleich: Jörg Immendorff, Gerhard Schröder
“Auf zentralem Platz im Entrée thront auf quaderförmigem hellen Marmorsockel das Kopf-Bildnis 1 mit funkelnden Augen starrblickenden Mannes, in seinen mittleren Jahren zu Stein gefügt. Die gravierte Frisur aus dünnen, schieferartigen Locken; über der Nase zwei senkrechte, tiefe Falten; um den Mundwinkel, versteint, 1 eisig-ironischer Zug (-,). So blickt dieser überlebensgroß gestaltete Kopf von der Höhe seines Sockels auf die-Besucher herab. Das Material dieser Büste ist Porphyr, aus hellem Schildpatt 1gelegt die hervorstechenden Augen. Dem Vernehmen nach stellt diese Büste den Präsidenten des ‘Senats der Fünf’ dar: das Regierungsoberhaupt für die Marsstadtschaft Cydonia I.”

(Reinhard Jirgl, Nichts von euch auf Erden, 158)

Der Präsident vom Mars. Ja, hoffentlich wird er es nicht übertreiben.

Jirgl auf Erden (2): Das “Haus der Sorge”

So fügt sich eins zum anderen. Hoffentlich wird er es nicht übertreiben: Als konkretestes Relikt unserer Zeit präsentiert uns Reinhard Jirgl in seinem utopischen Roman ein großes Gebäude im Zentrum der “Hauptstadt von Zentraleuropa”:

“DAS ‘HAUS DER SORGE’ ist ein wuchtiges Gebäuderelikt aus Sandstein, erbaut im späten 19. Endzeitjahrhundert, somit Heute über sechshundert Jahre alt, unverrückbar, unerfindbar, unvergessbar in seiner steinernen Beharrlichkeit. […] Dem Entrée gegenüber greift in die Empfanghalle der Aufstieg einer breiten Freitreppe hinein, die in halber Höhe, von einem Altan ausgehend, sich nach beiden Seiten jeweils in eine freischwebend den Raum durchquerende Treppe teilt. […] Jede dieser Treppen führt ihrerseits in die Höhe zur nächsten Etage auf 1 kleinen, mosaikgepflasterten Altan, der aus den Säulengalerien hervorstrebt. Von-dort-aus in die Höhe führend und so weiter & so höher, wobei diese immer schmaler werdenden Treppenzüge für die Formung des gesamten Gebäudes als gigantischen Kegelstumpf gewissermaßen das innenwandige Gerüst abgeben.”

(Nichts von euch auf Erden, 158f.)

Dienstag, 12. März 2013

Reinhard Jirgl, Nichts von euch auf Erden: BRD und DDR, kosmosschwer!

Natürlich habe ich Reinhard Jirgls neuen Roman nicht liegen lassen können und schon mal hundert Seiten hineingelesen, 110, 120, 130… Da kam ein furchtbarer Verdacht in mir auf:

Was wäre, wenn mit dieser episch breit ansetzenden utopischen Erzählwelt, die uns die Geschichte der kommenden fünf Jahrhunderte vorführt, in denen sich ein durch Genmanipulation befriedeter Teil der Menschheit auf der Erde und ein agressiver, dynamischerer Teil auf dem Mars weiterentwickelt hat, was wäre, wenn mit dieser Erzählwelt eine wild auswuchernde Parabel des geteilten Deutschland beabsichtigt ist?
Fritz Raddatz hat sich nämlich von Jirgl aufs falsche Gleis lenken lassen, als er in der immer noch einzigen größeren Rezension tief enttäuscht schrieb:

“Meine Faszination war wohl nicht zuletzt entzündet von der bohrend-intensiven Auseinandersetzung mit der Schrott-Welt namens DDR, die uns der 1953 in Ost-Berlin Geborene [Jirgl] ‘aufhob’ im Hegelschen Doppelsinn des Wortes. Von diesem Mini-Kosmos hat Jirgl sich nun in seinem neuen Roman gänzlich gelöst.”

Reinhard Jirgl
Pustekuchen! Jirgl hat ganz im Gegenteil diesen Mini-Kosmos in seinem neuen Roman zu einem Maxi-Kosmos aufgebläht und uns die “Schrott-Welt” der DDR in einer “kosmosschweren” Parabel aufgehoben. “Damit wir nicht vergessen das Land, das in den Abend gehend Dienacht betrat”: so die erste Zeile des Romans.

Der Roman zoomt nach den episch erzählenden Teilen auf den Tag im 25. Jahrhundert ein, an dem die Mars-Menschen auf die Erde zurückkehren. Just in jener Nacht wird die “Imagosphäre” zerstört, die die Erdmenschen vor den Unbilden der Natur beschützt und unter einer Art Kontrollschirm gehalten hat. Der Leser erlebt den Vorgang aus der Perspektive der 25jährigen Hauptfigur (die Orthographie ist Jirgls Spezialität):
“!Welch gewandeltes Bild, !welch Anblick: Auch jetzt füllt den Platz Einegroßemenge Menschen, vermutlich auch sie auf der Suche nach Demfehler im kommunalen Großrechner, unterhalb dieser Esplanade stationiert. ?Weshalb aber harren sie hier=?oben aus. Die meisten offenbar aus dem Schlaf gerissen, ungeschminkt nachlässig die Leiber mit Irgendkleidungsstücken dürftig verhüllt, drängen sie dichtandicht zu 1ander, - schweigend kein Laut – und der Meisten Köpfe gehoben, dorthin wo in Hundertemetern über uns bis vor-Kurzem noch die Imagosfäre ausgespannt schwebte. -? Warum ist Unser=Himmel ?erloschen.”

(Jirgl, Nichts von euch auf Erden, 129)
Das ist die Nacht des Mauerfalls! Seite 129. Solange habe ich gebraucht, um darauf zu kommen! Das zeigt das Erzählte in einem neuen Licht.

Jirgl könnte zwei literarische Utopien als Vorbilder für seinen Einfall benutzt haben: Alfred Döblins “Berge, Meere und Giganten” (1924) und Kurd Lasswitz’, “Auf zwei Planeten” (1897). Um meine Hypothese zu untermauern, werde ich in diesem Blog ein Lesetagebuch  führen.

Sonntag, 10. März 2013

Der Film “Stellet licht”, die Russlandmennoniten und das Plautdietsch

In unserem privaten Filmclub habe ich einen Film und eine damit verbundene ethnisch-religiöse Minderheit kennengelernt, die mir bisher völlig unbekannt waren. Der langsame und ruhige Film “Stilles Licht” (2007) des mexikanischen Regisseurs Carlos Reygadas handelt von einem Liebesdrama in der mennonitischen Gemeinde von Cuauhtémoc in Mexiko.

Das Besondere an dem Film ist die völlige Abwesenheit negativer Emotionen und das, obwohl die Handlung mit Ehebruch und Tod doch genug Anlass dazu gäbe. Oder auch eine Familie mit sechs Kindern: kein Streit weit und breit! Leben im Einklang mit der Umgebung und der Natur: die perfekte bildliche und handlungsmäßige Umsetzung der mennonitischen Lebensregeln.

In Mexiko gibt es heute ungefähr 25.000 Mennoniten, die ihren pazifistischen Glauben mehr oder weniger orthodox und modernitätsfeindlich leben. Ihre Vorfahren sind nach Einführung der allgemeinen Wehrpflicht in Russland 1870 vor allem in die USA eingewandert und dann zum Teil nach Mexiko gelangt. Als gemeinsame Sprache brachten sie das Plautdietsch mit, eine Mischung aus Deutsch, Friesisch und Niederländisch, die dort noch heute neben dem Spanischen gesprochen wird. Der Film “Stilles Licht” ist in dieser Sprache gedreht, was ihm einen zusätzlichen, befremdlichen Akzent gibt: Je länger man zuhört, desto mehr versteht man, obwohl man das Gehörte keiner bekannten Sprache zuordnen kann.
Die Medien - und auch wir - hatten eine lebhafte Diskussion zu dem Film.
 
Der historische Hintergrund läuft übrigens parallel zum Pennsylvania Dutch bei den Amish, über das ich anlässlich des Romans “Schau heimwärts, Engel” geschrieben hatte.

Von den weltweit etwa 500.000 Mennoniten, die Plautdietsch sprechen, leben seit 1990 etwa 200.000 in Deutschland. Diese in der Sowjetunion jahrzehntelang grausam verfolgte Minderheit ist nach dem Verschwinden des Eisernen Vorhangs nahezu geschlossen nach Deutschland ausgewandert, wo sie als Russlanddeutsche Anspruch auf die deutsche Staatsbürgerschaft hatten.

Die Gesamtzahl der ab 1990 nach Deutschland emigrierten Russlanddeutschen beträgt mehr als zwei Millionen. Bei 10% von ihnen handelt es sich also um Russlandmennoniten, die heute vor allem im Ruhrgebiet leben und dort auch ihre religiösen und kulturellen Organisationen haben.

Vom Ausmaß und vom vorhergehenden Leid dieser Völkerwanderung hat man in den letzten zwanzig Jahren nicht sehr viel gehört.

Samstag, 9. März 2013

Ypke Gietema ist tot

Eine der konstantesten Erscheinungen im Groninger Altstadtbild war der ehemalige sozialdemokratische Stadtrat Ypke Gietema (PvdA). Viele nennen ihn noch heute den „Wethouder“ (Gesetzeshüter), was die offizielle niederländische Bezeichnung für „Stadtrat“ ist. 

Ypke ist Friese und das steht für Eigensinnigkeit. Sein Name spricht sich „Iepke“ und ist natürlich auch friesisch. Eigentlich können sich Groninger und Friesen nicht ausstehen, es sind ja zwei benachbarte Provinzen, und dann ist das so. Und Ypke war ein Friese aus dem Bilderbuch.



Ypke hat als Stadtrat für Raumordnung von 1978-1992 zum Gelingen mehrerer spektakulärer und schöner Bauprojekte in Groningen beigetragen. Dazu gehört auch das Stadtmuseum, das gegen heftigen konservativen Widerstand als schrill-schräger postmoderner Bau ins Wasser am Rande der Altstadt gesetzt wurde und internationale Berühmtheit erlangt hat. Ich kam in der Zeit, als ich täglich nach Leeuwarden (Friesland) fahren musste, monatelang an der Baustelle gegenüber dem Bahnhof vorbei und habe mich auf den Augenblick gefreut, wo es fertig wurde (1994).

1992 übernahm Ypke die politische Verantwortung für irgendeinen Finanzierungsskandal und trat zurück. Seitdem war er Rentner und ging durch seine Stadt (kein Auto, kein Fahrrad: er läuft, wie ich). Er und seine schöne Frau (und sein Hund) gehörten deshalb zum täglichen Stadtbild, nach ihrer Krankheit sah man ihn häufiger alleine. Er bewegte sich von Kneipe zu Kneipe (aber in strenger Auswahl nur die guten, also vier bis fünf, darunter der Sleutel und das Wolthoorn) und machte ein Schwätzchen.

Nach dem Ende des legendären Sleutel  sah man ihn regelmäßig zusammen mit Koos (dem ehemaligen Wirt) auf der kleinen Terrasse vor einem neuen Café, das zu Anfang des Rauchverbots unter dem sinnigen Namen „De Sigaar“ eröffnet worden war. Koos, der alte Groninger, hat mal ein Antifriesenlied gemacht: „Friesen sind schlecht“, ein ironisches Spiel mit einem seiner besten Kunden.

Man konnte also beinahe nicht durch die Altstadt laufen, ohne Ypke zu begegnen. Wenn wir ihn trafen, gab es immer dasselbe Spielchen: Er grüßte freundlich und wandte sich – mit einem Augenzwinkern in meine Richtung – an G., machte ihr ein Kompliment, wie schön und außergewöhnlich sie doch sei und wie schade, dass sie schon vergeben ist. G. antwortete mit Komplimenten zu seiner politischen Vergangenheit. Über mehr haben wir eigentlich nie gesprochen. Aber wir sind uns all die Jahre sehr nahe gewesen.

Ypke ist heute gestorben.
 

Freitag, 8. März 2013

Trude Herr, Ich will keine Schokolade!

Trude Herr war eine super Frau! Vielen sagt der Name nichts mehr. Zeit für die Jukebox: “Ich will keine Schokolade”(1959) in einer Aufnahme aus dem Jahr 1965...
 
 
Wer den Text mitlesen will, kann hier klicken:

Zum Frauentag

“Die Frauen haben den Mann nur verschieden interpretiert;
es kömmt drauf an, ihn zu verändern.”

(Alte Weisheit)

Donnerstag, 7. März 2013

Laing: Drei Frauen im Paradies

Das Erscheinen der ersten CD der Berliner Frauenpopgruppe “Laing”  mit dem Titel “Paradies naiv” hat zum Rauschen im deutschen Blätterwald geführt. So bin ich nun endlich auch darauf aufmerksam geworden. Ich kannte ja nicht einmal ihr berühmtestes Lied “Morgens immer müde”. Und ich wurde auch erst wach, als ich las, dass sie es von Trude Herr abgeguckt haben.

Aber bleiben wir erst mal bei Laing: Die schreiben auch eigene Dinge. Nach ein paar Kostproben auf YouTube habe ich mich für “Neue Liebe” entschieden: Das gefällt mir wirklich!
 
 

Ernst-Wilhelm Händler, Der Überlebende: Noch ein Gegenwartsroman im SF-Modus

Wupps, schon wieder einer: Wieder bedient sich einer der wichtigsten deutschen Gegenwartsautoren zumindest ansatzweise eines Science-Fiction-Motivs: der Entwicklung intelligenter Roboter. Aber auch wenn es darum nicht eigentlich geht und das einzige wirkliche Science-Fiction-Element in dem Roman der fertiggestellte neue Flughafen Berlin-Brandenburg ist, setzt sich hier doch ein Trend fort, den ich letztens angezeigt habe.

Im wesentlichen ist dieser Roman ein Komplementärbuch zu Rainald Goetz’ ”Johann Holtrop”.

Die erste Rezension dazu findet sich wieder in der “Welt”.

Mittwoch, 6. März 2013

Literaturbeilagen im März 2013


 
Vom 14.-17. März findet die Leipziger Buchmesse 2013 statt.

Im Vorfeld bringen verschiedene Zeitungen eine Literaturbeilage, zum Beispiel:

Die FAZ am Samstag, dem 9. März

Die FAS (Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung) am 10. März

Die Zeit am Donnerstag, dem 14. März

Dienstag, 5. März 2013

Wohnen an der Berliner Mauer: Der Leuschnerdamm

Die exotischste Straße, in der ich je gewohnt habe, war der Leuschnerdamm in Berlin-Kreuzberg zur Zeit der Teilung: die Mauer verlief längs in der Straßenmitte und teilte den Leuschnerdamm in eine Hälfte West und eine Hälfte Ost. Da ich im Souterrain wohnte, hatte ich immer nur den Blick auf die Mauer in fünf Meter Entfernung. Was dahinter lag, konnte ich nicht sehen.

Eingang zum Leuschnerdamm

Das kellerartige Souterrain mit Außentoilette im Hinterhof würde heute keiner mehr als Wohnung akzeptieren. Ich teilte die drei Räume, von denen zwei fensterlos waren, mit meinem italienischen Freund Franco G. Franco hatte die Decke des Wohnzimmers mit Aluminiumfolie bekleidet, um für etwas mehr Licht zu sorgen. Er war es auch, der die Mauer an dieser Stelle mit ein paar bunten Blumen bemalt hat. Damit war er 1968 einer der ersten Mauermaler überhaupt. Die vollständige Bedeckung mit Graffiti kam erst später.
Wir heizten fast das ganze Jahr durch mit einem schlecht funktionierenden Ölofen, dessen Ruß mir Asthmaanfälle besorgte. Ich hatte mir in dem Sommer in den Kopf gesetzt, mein Graecum zu machen, um Theologie studieren zu können. Die Kurse waren frühmorgens am anderen Ende von Westberlin. Ein Theologe bin ich dann auch nicht geworden.

An der Ecke Leuschnerdamm/Waldemarstraße befand sich damals das „Litfin“, eine Kneipe, in der es die besten halben Hähnchen von ganz Berlin gab. An dem Mythos muss was dran gewesen sein, denn noch heute gibt es dort unter dem neuen Namen „Henne“ eine Gaststätte, die sich ihrer Hähnchen rühmt und auf ihrer Website stolz von der Geschichte des Hauses berichtet.
Als ich nach dem Mauerfall zurückkam, habe ich die Straße und die ganze Gegend nicht wiedererkannt. Sie liegt heute in einer weitläufigen und abwechslungsreichen Stadtlandschaft, in der das damals zugeschüttete Engelbecken wieder erstanden und  der ganze Bereich zwischen Oranienplatz und  St. Michaelskirche (der ehemalige Luisenstädter Kanal) zu einer Grünanlage geworden ist.

Das Engelbecken


Montag, 4. März 2013

Fritz Raddatz über Jirgls Roman “Nichts von euch auf Erden” – eine Null-Information

Jetzt ist die erste größere Rezension zu Reinhards Jirgls neuem Roman “Nichts von euch auf Erden” (2013) erschienen. Sie stammt von Fritz J. Raddatz, den die Älteren unter uns noch als Feuilletonchef der ZEIT kennen.

Ich hatte in Café Deutschland vor zwei Wochen auf die wachsende Zahl literarischer Utopien im deutschen Sprachraum hingewiesen. Jirgls Roman handelt von der Auswanderung eines Teils der Menschheit im 23. Jahrhundert auf den Mars und von der späteren Rückwanderungsbewegung: ein Gegenwartsroman im Kleid der Science fiction.
Ich werde noch Wochen oder Monate brauchen, bis ich dieses dicke und sperrige Buch lesen kann und habe mir von einer Rezension erhofft, etwas mehr darüber zu erfahren. Raddatz gibt sich ausführlich als Jirgl-Fan zu erkennen (Jirgls frühere Romane handeln vom Leben in der DDR) und zeigt sich höchst irritiert, dass es jetzt um etwas ganz Anderes geht.

Ich bekomme durch diese Rezension weniger Informationen zu diesem Buch als durch den Klappentext des Verlages. Mir fällt immer wieder mal auf, dass Rezensenten wenig Zeit für ihre Texte haben und manchmal das betreffende Buch nicht sorgfältig lesen. Dieser Zeitdruck kann aber beim 82jährigen Raddatz kaum eine Rolle gespielt haben. Und doch: Er weist nur auf ein paar Stellen am Anfang des Romans hin, erklärt den Autor für unfähig, eine fiktive Zukunftswelt zu beschreiben, und das war’s.
Vielleicht sollte die Tageszeitung “Die Welt”, die ihm dieses Podium bietet, etwas mehr auf den Sinn und Zweck von Rezensionen achten. Raddatz ist vielleicht zu alt, um außer an sich selbst auch noch an ein Publikum zu denken.

Meine eigene Rezension ist hier.

Freitag, 1. März 2013

Rainald Goetz, Johann Holtrop oder Der Kältetod des Romans

Rainald Goetz: Das ist, als ob Thomas Bernhard und Elfriede Jelinek einen ungewollten und ungeliebten Sohn gehabt hätten, der  in seiner Verzweiflung , in seinem unbändigen Willen, es beiden, Papa und Mama, recht zu machen, ihnen ebenbürtig, ja ihnen überlegen zu sein, den großen Roman seiner Zeit schreiben wollte und diesen mit “Johann Holtrop” (2012) nun auch vorgelegt hat, eine eiskalte Erzählung vom Kapitalismus der Nuller Jahre, in der die Wut des Autors immer wieder zwischen den Zeilen hervorquillt; der passende Gegenwartsroman zu Schirrmachers “Ego"-Buch.

Eine kleine Kostprobe:
“Holtrop könnte jeden […] überzeugen, dass etwas Schöneres gar nicht vorstellbar wäre, als zwischen sieben und acht Uhr früh über diese Ostautobahn zu brausen, eng im Pulk mit all den anderen Verrückten, Stoßstange an Stoßstange hintereinander her, siebenfacher ABS, ixfacher Safeassistent, Driveself, Airbag allseits, und jeder auf die Art vollgas in seiner eigenen rasenden Einzelzelle unterwegs und mit anderen Absichten, Hoffnungen, Urdringlichkeiten befasst und davon gejagt, jeder anders verrückt und alle zusammen doch auch perfekt koordiniert bei Tempo 180. So fetzte Holtrop also durch dieses kranke Mitteldeutschland dahin, ostwärts, hoch, tief, runter, rüber, weiter. Und der ganze Osten schnaubte, schniefte Rotz und Wasser, brodelte.”

Rainald Goetz, Johann Holtrop. Abriss der Gesellschaft (2012) 32
Man hört manche Klage, dass dies der beste Roman des letzten Jahres sei, ein wirklicher Gegenwartsroman, der auch den Deutschen Buchpreis verdient gehabt hätte, es aber leider nur bis auf die Longlist geschafft hat.

Ich selbst predige ja auch seit längerem, dass ich die ewigen DDR-Erinnerungs- und Vergangenheitsbewältigungsromane satt bin, die seit Jahren die Buchpreise abräumen. Nach meiner Lektüre von “Johann Holtrop” kann ich nur zustimmen, dass dieser Roman preiswürdig ist, und das obwohl ich das Buch nicht mag. Ich stimme Volker Weidermann zu: Es ist so kalt.