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Mittwoch, 28. Dezember 2016

Findelverse (3): Lederhosen-Saga oder: Deutsche Traditionen

Börries Freiherr von Münchhausen

Lederhosen-Saga

Es war ein alter schwarzbrauner Hirsch,
Großvater schoß ihn auf der Pirsch,
Und weil seine Decke so derb und dick,
Stiftete er ein Familienstück.
Nachdem er lange nachgedacht,
Ward eine Hose daraus gemacht,
Denn Geschlechter kommen, Geschlechter vergehen,
Hirschlederne Reithosen bleiben bestehen.

Er trug sie dreiundzwanzig Jahr,
Eine wundervolle Hose es war!
Und als mein Vater sie kriegte zu Lehen,
Da hatte die Hose gelernt zu stehen,
Steif und mit durchgebeulten Knien
Stand sie abends vor dem Kamin, –
Schweiß, Regen, Schnee, – ja, mein Bester:
Eine lederne Hose wird immer fester!

Und als mein Vater an die sechzig kam,
Einen Umbau der Hose er vor sich nahm,
Das Leder freilich war unerschöpft,
Doch die alten Büffelhornknöpfe warn dünngeknöpft
Wie alte Groschen, wie Scheibchen nur, –
Er erwarb eine neue Garnitur.

Und dann allmählich machte das Reiten
Ihm nicht mehr den Spaß wie in früheren Zeiten.
Besonders der Trab in den hohen Kadenzen
Ist kein Vergnügen für Exzellenzen,
So fiel die Hose durch Dotation
An mich in der dritten Generation.

Ein Reiterleben in Niedersachsen, –
Börries von Münchhausen
Die Gaben der Hose warn wieder gewachsen!
Sie saß jetzt zu Pferde wie aus Guß,
Und hatte wunderbaren Schluß,
Und abends stand sie mit krummen Knien
Wie immer zum Trocknen am Kamin.
Aus Großvaters Tagen herüber klingt
Eine ferne Sage, die sagt und singt,
Die Hose hätte in jungen Tagen
Eine prachtvolle grüne Farbe getragen,
Mein Vater dagegen – weiß ich genau –
Nannte die Hose immer grau.

Seit neunzehnhundert ist sie zu schaun
Etwa wie guter Tabak: braun!
So entwickelt sie, fern jedem engen Geize,
Immer neue ästhetische Reize,
Und wenn mein Ältester einst sie trägt,
Wer weiß, ob sie nicht ins Blaue schlägt!

Denn fern im Nebel der Zukunft schon
Seh ich die Hose an meinem Sohn.
Er wohnt in ihr, wie wir drin gewohnt,
Und es ist nicht nötig, daß er sie schont,
Ihr Leder ist gänzlich unerschöpft –
Die Knöpfe nur sind wieder durchgeknöpft,
Und er stiftet, folgend der Väter Spur,
Eine neue Steinnußgarnitur.

Ja, Geschlechter kommen, Geschlechter gehen,
Hirschlederne Reithosen bleiben bestehen.

Donnerstag, 22. Dezember 2016

Eelco Runias faszinierende Analyse zum Sieg von Donald Trump

Eelco Runia
Mein Ex-Kollege an der Rijksuniversiteit Groningen, Eelco Runia, hat am Samstag in der niederländischen Tageszeitung NRC einen bemerkenswerten Artikel zum Sieg von Donald Trump veröffentlicht. Er gibt darin eine Interpretation zu den Vorgängen in den USA, die auf der Theorie des Groninger Geschichtsphilosophen Frank Ankersmit beruht („De sublieme historische ervaring“, Groningen 2007).
Frank Ankersmit
Runia benutzt Ankersmits Terminologie von der „sublimen historischen Erfahrung“. Leser, die nicht damit vertraut sind, könnten irritiert oder zumindest verwundert sein, hier mit „sublim“ in Bezug auf Trump ein Wort verwendet zu sehen, das in der Alltagssprache eher eine positive ästhetische Qualität ausdrückt. Runia erläutert jedoch die Herkunft des Wortes aus der philosophischen Ästhetik des 18. Jahrhunderts und seine Urbedeutung als Mischung von Abscheu und Faszination, so wie es auch Frank Ankersmit in seine Theorie aufgenommen hat.
Auch der bekannte niederländische Autor Arnon Grunberg, der Runias Artikel heute zum Anlass für seine tägliche „Voetnoot“ auf der ersten Seite der Volkskrant nimmt, scheint diese Irritation zu teilen, lässt Runia aber mit seiner Beurteilung  („fascinerend stuk over weldenkendheid en revolutie“) in seinem Recht.

Der Artikel ist hochinteressant, man muss aber ein bisschen Niederländisch können...

Dienstag, 20. Dezember 2016

Schande über Wilders!


Der niederländische Politiker Geert Wilders hat heute dieses gefakte Foto von Angelika Merkel in den sozialen Medien gepostet, um in Reaktion auf das Attentat in Berlin (das zu diesem Zeitpunkt noch völlig ungeklärt ist) seine Meinung über die Flüchtlingspolitik der deutschen Kanzlerin kund zu tun.

Ich habe mich in meinem Blog bisher ausschließlich mit deutschen kulturellen Themen beschäftigt, gerne immer mit einem Bezug zu den Niederlanden. Ich lebe seit fast vier Jahrzehnten in diesem Land und will das auch für den Rest meines Lebens tun. Eine Aktion von solch einer Widerlichkeit gegenüber einem Vorgang und einer politischen Person in Deutschland ist mir in all den vergangenen Jahren nicht begegnet.


Schande über Wilders und seine Anhänger, die ihm hierin folgen.

Sonntag, 18. Dezember 2016

Steffen Kopetzkys Roman "Risiko". Das komplette Leserblog (1-9)

Und hier ist noch einmal mein Leserblog aus dem letzten Jahr:


Die enthusiastischen Rezensionen zu Steffen Kopetzys historischem Abenteuerroman „Risiko“ (Stuttgart 2015: Klett Cotta, € 24,95) haben mir solchen Appetit auf dieses Buch gemacht, dass ich beschlossen habe, ihm ein Leserblog zu widmen: Während der nächsten ein, zwei Wochen berichte ich portionsweise von meiner Lektüre und den Assoziationen, die sie bei mir bewirkt.

Steffen Kopetzkys Roman „Risiko“ – die Taschenbuchausgabe ist da

Gut geschriebene und recherchierte historische Abenteuerromane gibt es in der deutschen Gegenwartsliteratur selten. Steffen Kopetzkys großartiger Roman „Risiko“ (2015) über die deutsche Afghanistan-Expedition am Anfang des Ersten Weltkriegs hat deshalb alle Aufmerksamkeit verdient.
Im September ist die Taschenbuchausgabe im Heyne-Verlag erschienen (736 Seiten, € 12,99). Wer noch ein schnelles Weihnachtsgeschenk sucht: das ist mein Tipp!

Ich habe letztes Jahr ein Leserblog in 9 Beiträgen zu diesem Roman geschrieben, das ich heute komplett noch einmal ins Blog setze.

Einen Beitrag hatte ich damals vergessen: Die Hauptquelle zu der
Oskar von Niedermayer
Frontispiz in "Unter der Glutsonne Irans"
Expedition und damit auch für Kopetzkys Roman ist der Bericht von Oskar von Niedermayer, dem Expeditionsleiter, erschienen 1925 unter dem Titel „Unter der Glutsonne Irans“.  Wer den Roman schon kennt und immer mal wieder gedacht hat, dass der Kopetzky eine blühende Phantasie hat, wird verblüfft feststellen: fast alle schwer zu glaubenden Ereignisse hat es tatsächlich gegeben. Dass Oskar von Niedermayer kein deutscher Lawrence von Arabien geworden ist, liegt am weiteren Verlauf der deutschen Geschichte und an der Tatsache, dass er kein begabter Schriftsteller war.

Steffen Kopetzky ist da deutlich besser. Er nutzt die Quelle gewissenhaft, ohne die Formulierungen Niedermayers zu übernehmen.


Trotzdem ist es spannend, sich das Buch Niedermayers anzusehen. Es steht leicht zugänglich komplett im Netz.