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Montag, 25. Juli 2016

Ann Cotten, Verbannt! - Ein Lesetagebuch (16): Ann's Arabeske

Wenn es von der Intention und von Form & Inhalt her ein Parallelwerk zu “Verbannt!” in der deutschen Literatur gibt, dann ist das Friedrich Schlegels “Lucinde” (1799). Das wäre jedenfalls mein Tipp für eine wissenschaftliche Beschäftigung mit Ann Cottens Werk, die über dieses Lesetagebuch hinausgeht.

Kein Zufall also, dass Ann auf den Seiten über den Tokamak und die Kernverschmelzung auch von den “beiden Schlegeln” (S. 46) spricht (Friedrich Schlegel und sein Bruder August Wilhelm; eventuell meint sie auch Friedrichs Frau Dorothea). Anns Thema der Verschmelzung von Männlichkeit und Weiblichkeit, ist – für die damalige Zeit skandalös – bei Schlegel im Kapitel “Dithyrambische Fantasie über die schönste Situation” formuliert:

Eine unter allen ist die witzigste und die schönste: wenn wir die Rollen vertauschen und mit kindischer Lust wetteifern, wer den andern täuschender nachäffen kann, ob dir die schonende Heftigkeit des Mannes besser gelingt, oder mir die anziehende Hingebung des Weibes. Aber weißt du wohl, daß dieses süße Spiel für mich noch ganz andre Reize hat als seine eignen? Es ist auch nicht bloß die Wollust der Ermattung oder das Vorgefühl der Rache. Ich sehe hier eine wunderbare sinnreich bedeutende Allegorie auf die Vollendung des Männlichen und Weiblichen zur vollen ganzen Menschheit.

Der komplette Text von “Lucinde” kann im Gutenberg-Projekt aufgerufen warden.

Arabeske in der Kunst
Schlegel bezeichnete die von ihm entworfene Gattung als “Arabeske”. Die Struktur von Lucinde wird im Wikipedia-Artikel wie folgt beschrieben:

Der Text verfolgt keine epische Erzählung, sondern bietet seinem (gemäß dem „unbezweifelte[n] Verwirrungsrecht“ des Erzählers/Autors) verwirrten Leser Stimmungen und Reflexionen der Hauptfigur Julius. Es ist stets unsicher, in welchem Bezug ein Textstück zu einem anderen steht. Und erahnt der Leser einen Zusammenhang, der einer Handlung ähnelt, wird dieser Eindruck bald wieder zertrümmert. Den Sprüngen im Text kann der überforderte Leser kaum folgen. Damit sind Merkmale des modernen Romans vorweggenommen.


Das alles trifft auch auf "Verbannt!" zu. Dabei muss ich es hier und jetzt belassen. Ich werde mein Lesetagebuch mit zwei, drei weiteren Beiträgen abrunden. Vielleicht gibt’s mal eine zweite Runde, denn vieles ist noch ungesagt. Aber ich muss auch mal was anderes machen.


Auch Ann Cotten scheint am Ende etwas genug gehabt zu haben von ihrem Projekt. In der “Welt” gibt es ein schönes, aufschlussreiches Interview mit ihr. Hier ein kleiner Auszug:

Die Welt: Es beginnt ja eigentlich recht pompös. Die Musen werden angerufen. Und Sex wird auch versprochen.
Cotten: Ich bin auch enttäuscht von diesem Abfall gegen Ende hin. Während ich immer dachte, dass es endlich losgeht, habe ich gespürt, dass ich allmählich genug habe von diesem Versmaß. Sex gibt's übrigens bei Hermes Wolpertinger. Man muss halt kapieren, dass das Sex ist und nicht einfach ein Trip.


Tja, das mit dem in der Einleitung angekündigten Sex hat mich auch beschäftigt. Jetzt weiß ich jedenfalls, wo ich ihn suchen muss: bei Hermes Wolpertinger. Und da gehört er ja auch hin.

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