20000 mijlen onder zee (2012) |
Die drei größten und auffälligsten Elemente des Bildes sind das utopische U-Boot, der Dampfsegler und der Taucher mit der Schatzkiste. Die Art ihrer Positionierung in der unterseeischen und überseeischen Landschaft verleiht dem Bild eine erstaunliche Räumlichkeit, sowohl was die sichtbare Tiefe zwischen Vorder- und Hintergrund der kristallklaren Wasserwelt betrifft, als auch in Bezug auf den dargestellten Höhenunterschied zwischen Meeresboden, Meeresoberfläche, den aus dem Wasser aufragenden steilen Vulkanbergen und dem blauen Himmel. Der räumliche Eindruck wird durch die vielen Meeresbewohner unterstützt, die sich in Vorder- und Hintergrund und auch in der Luft tummeln: Medusen, Polypen, Haifische, Rochen und fliegende Fische. Auch Schiffswracks und versunkene Ruinen tragen dazu bei.
Ich dachte zuerst, dass der Maler hiermit einen All-In-One-Eindruck des Romans von Verne liefern wollte. Das mag in gewisser Weise auch stimmen, aber als ich die deutsche Übersetzung im Gutenberg-Projekt durchblätterte, stieß ich auf die Beschreibung des Unterwasserspaziergangs des Ich-Erzählers. Diese literarisch schönste Passage des Romans ist mehrere Seiten lang. Ich gebe hier einen Auszug daraus (in der Rechtschreibung einer älteren deutschen Ausgabe):
„Ich staunte über die Stärke des Lichtes, welches bis auf dreißig Fuß unter dem Meeresspiegel den Boden erhellte. Die Sonnenstrahlen drangen leicht durch die Wassermasse, welche dadurch ihre Färbung verlor. Ich konnte die Gegenstände in einer Entfernung von hundert Meter klar unterscheiden. Weiter hinaus schattirte sich die Grundfarbe in feinen Lasurnüancen, dann in der Ferne hellblau, und verschwand zuletzt in unbestimmtem Dunkel. Wahrhaftig, dieses Wasser um mich herum war zwar dichter als die Atmosphäre der Erde, aber fast eben so durchsichtig. Ueber mir bemerkte ich die Oberfläche des Meeres ganz ruhig. […]
Eine Viertelstunde lang ging ich auf diesem heißen Sand, der mit unbetastbarem Muschelstaub besäet war. Der Nautilus, welcher wie eine lange Klippe aussah, verschwand allmälig aus den Augen, aber sein Leuchtfeuer mußte, wann in den Gewässern die Nacht eintrat, unsere Rückkehr an Bord erleichtern, indem seine Strahlen vollkommen klar sichtbar waren. Auf dem Land, wo die Luft mit Staub durchdrungen ist, scheint dieses Licht düster, wie vom Nebel getrübt; aber auf dem Meer, wie unter dem Meer, pflanzen sich die elektrischen Lichtstreifen mit unvergleichlicher Reinheit weiter.
Inzwischen gingen wir immer fort, und die ungeheure Sandfläche schien ohne Grenzen zu sein. Ich schob mit der Hand die Wassergardinen zurück, welche hinter mir wieder zusammenfielen, und der Druck des Wassers verwischte augenblicklich meine Fußstapfen.
Bald zeigten sich vor meinen Blicken, aus der Ferne in vermischten Umrissen, einige Gegenstände. Ich erkannte prächtige Musterstücke von Felsen, mit Pflanzenthieren der schönsten Sorte wie mit einem Teppich bedeckt, so daß ich im ersten Augenblick ganz betroffen war von dem außerordentlichen Anblick.
Es war damals zehn Uhr Vormittags. Die Sonnenstrahlen fielen in ziemlich schiefem Winkel auf die Oberfläche des Meeres, und da ihr Licht durch Brechung wie durch ein Prisma sich zertheilte, so erschienen Blumen, Felsen, Pflänzchen, Muschelwerk, Polypen am Rande mit den sieben Regenbogenfarben geziert. Es war wundervoll zu schauen, eine wahre Augenweide, diese kaleidoskopartige Mischung von Farbentönen, grüngelb, orange, violett, indigo, hellblau!
Bei diesem Anblick war Conseil, gleich mir, stehen geblieben. Der brave Junge war ohne Zweifel im Classificiren dieser Mollusken und Zoophyten vertieft. Polypen und Echinodermen bedeckten in Menge den Boden. Die mancherlei Korallenarten, die gleich Champignons gestalteten Fongiten, die Anemonen, bildeten einen Blumengrund, bunt verziert mit Porpiten im Schmuck ihres Kragens lasurblauer Fühlfäden, mit Seesternen, womit der Sand besäet war.
Es war ein rechter Jammer für mich, die glänzenden Musterstücke von Mollusken, die zu Tausenden auf dem Boden lagen, mit meinen Füßen zu treten. Aber wir mußten vorwärts schreiten, und wir thaten es, während über unseren Häuptern Schaaren von Physaliden mit ultramarinblauen Fühlfäden, die mit den Wogen trieben, Medusen mit opal- oder zart rosenfarbenen Schirmen uns gegen die Sonnenstrahlen deckten.“
Jules Verne, Zwanzigtausend Meilen unter dem Meer, Kapitel 16
Mir scheint, dass Mathieu Keuter van Lewenborg diese Szene vor Augen gehabt hat, als er sein Bild plante. Allerdings wurde mir schnell klar, dass er nicht (nur) den Roman selbst als Vorlage benutzt hat, sondern auch seine Verfilmung aus dem Jahr 1954. Diese Walt Disney-Produktion im CinemaScope-Breitwandverfahren ist wegen ihrer Unterwasserszenen und Tricks noch heute legendär. Der Regisseur Richard Fleischer war in manchen Details vom Roman abgewichen. So hat er das U-Boot „Nautilus“, das bei Verne wie eine riesige silberne Zigarre aussieht, zu einem fischähnlichen Technikmonster mit gezackter Rückenflosse aufgepeppt. Die Taucher haben bei Verne kugelige Helme. Der Taucher im rechten Vordergrund des Gemäldes hat dagegen ein großes Visier, hinter dessen Schwärze kein Gesicht sichtbar ist. Dieses unheimliche Element findet sich auch im Film. Im Bild bekommt es jedoch durch die Fokussierung eine stärkere, geheimnisvolle Wirkung. Die geht auch von der verschlossenen Schatzkiste aus, die mit dem Dolch in der Hand bewacht wird. Sie kommt, so weit ich weiß, bei Verne nicht vor: ein starkes Bildsymbol für ein Geheimnis. Und auch der Totenkopf.
Noch etwas fällt auf: Der “Nautilus” und der “Abraham Lincoln” (beide Schiffe sind bei Verne männlich) scheinen gerade einen riesigen Ring zu durchfahren, für den es im Bild keine realistische Erklärung gibt. Er wirkt wie ein großes Bullauge mit zwei senkrechten Streben, und in der Tat hat ja der Nautilus an der Seite einen Aussichtsraum mit einem großen runden Fenster. Dieser Fensterkreis im Bild verstärkt noch einmal den dreidimensionalen Charakter aller dargestellten Elemente im Verhältnis zueinander. Er hält alles zusammen und verbindet die unter- und die oberseeische Welt zu einem Großen Ganzen. Gleichzeitig bezieht er den Betrachter des Bildes in die optischen Wunder ein und gibt ihm darin einen Standort und einen Anlass zu Fragen.
Der Comic-Stil ist die Maske einer Naivität, die das Bild gar nicht hat.
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