Meine Theorie, dass der deutsche Gegenwartsroman sich in
der Flut der Vergangenheitsromane nur im Kleide der Zukunft auf die Straße
wagt, ist im März gleich durch zwei neue Beispiele untermauert worden:
Leif
Randt, Planet Magnon (Köln:
Kiepenheuer & Witsch 2015, 19,95 Euro) und
Dietmar
Dath, Venus siegt (Lohmar: Hablizel
2015, 23,95 Euro).
Ich habe in diesem Zusammenhang bisher von Science Fiction gesprochen, aber das trifft die Sache nur zum Teil, beispielsweise in
Tom Hillenbrands Drohnenland. Der Begriff „Antizipationsroman“, der in der
Debatte zu Houellebecqs „Unterwerfung“ verwendet wurde, kommt der Sache näher,
deckt aber nur den rationalistischen Teil des Genres ab. Und Richard Kämmerlings
identifiziert in seiner Rezension zu Planet Magnon eine Gruppe "postapokalyptischer"
Romane, aber auch dies betrifft nur eine Teilgruppe.
Mein neuer Vorschlag geht von der Hypothese aus, dass bei
der Allgegenwart von Vergangenheitsromanen, die sich mit der Bewältigung des
Dritten Reiches und der DDR-Diktatur und ihren Verästelungen beschäftigen, ein
deutscher Gegenwartsroman im Gegenwartsmodus keine Chance hat. Ein Autor, der
wirklich eigenzeitliche Themen behandeln will, muss einen größeren Abstand erzeugen, und das kann er nur durch
die Verkleidung seiner Erzählung als Zukunftsroman, durch einen Akt der Chronotravestie
also.
Meine Liste
der diesbezüglichen Romane der letzten zehn Jahre ist inzwischen auf 21 Titel
angewachsen (siehe unten). Wie zur Bestätigung meiner Theorie kommen viele dieser
Bücher in extravaganten Einbänden und mit auffälligen Accessoires geschmückt
daher: Leif Randts Planet Magnon
ziert eine aufwändige Goldprägung und eine wunderschöne goldene
Planetenscheibe, in der der Betrachter sich spiegeln kann. Dietmar Daths Venus siegt dagegen zeigt sich im
schlichten grauen Leinenkleid, aber mit lila Titelprägung. Wenn man es öffnet,
fällt einem eine farbige Postkarte mit der Abbildung der weiblichen Hauptfigur entgegen,
die wiederum wie ein Operettenoffizier gekleidet ist. Außerdem ist jedes
Exemplar der ersten Auflage vom Autor handsigniert. Travestie allenthalben.
Leona (Lily) Christensen, Hauptfigur in Venus siegt Bild: Klaus Scherwinski und Luisa Preissler, 2015 |
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für die Liste der 21 Titel:
Thomas Lehr, 42 (2005)
Thomas Glavinic, Die Arbeit der Nacht (2006)
Dietmar Dath, Die Abschaffung der Arten (2008)
Christian Kracht, Ich werde hier sein im
Sonnenschein und im Schatten (2008)
Juli Zeh, Corpus delicti, Ein Prozess (2009)
Dorothee Elmiger, Einladung an die Waghalsigen (2010)
Jochen Schimmang, Neue Mitte (2011)
Leif Randt, Schimmernder Dunst über CobyCounty
(2011)
Clemens J. Setz, Indigo (2012)
Reinhard Jirgl, Nichts von euch auf Erden (2013)
Georg Klein, Die Zukunft des Mars (2013)
Ernst-Wilhelm Händler, Der Überlebende (2013)
Hannes Stein, Der Komet (2013)
Roman Ehrlich, Das kalte Jahr (2013)
Dietmar Dath, Feldeváye - Roman der letzten
Künste (2014)
Jürgen Neffe, Mehr als wir sind (2014)
Tom Hillenbrand, Drohnenland (2014)
Mathias Nawrat, Unternehmer (2014)
Franz Friedrich, Die Meisen von Uusimaa singen
nicht mehr (2014)
Leif Randt, Planet Magnon (2015)
Dietmar Dath, Venus siegt (2015)
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