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Samstag, 12. September 2015

Die Staatlichen Museen Berlin belügen ihr Publikum – Zur Reiterstatue des Ateliers Van Lieshout vor der Alten Nationalgalerie

Aus einer Mitteilung der „Staatlichen Museen zu Berlin – Preußischer Kulturbesitz”:

“Am 14. September 2015 wird Atelier Van Lieshouts Reiterstatue 'The Monument' in den Kolonnadenhöfen vor der Alten Nationalgalerie eröffnet. Diese speziell für diesen Ort entstandene Bronzearbeit wird für die nächsten zwei Jahre auf der Museumsinsel zu sehen sein. Der klare Bezug zum klassischen Reiterdenkmal, und somit der politisch-militärischen, repräsentativen Funktion eines solchen nationalen Monuments, wird hier auf kritisch-reflexiver Ebene mit dem Reiterstandbild Friedrich Wilhelms IV von Preußen (Alexander Calandrelli, 1875–1886) vor der Alten Nationalgalerie in Beziehung gesetzt.
Die Arbeit des Atelier Van Lieshout formuliert einen eindeutigen Kommentar auf die sozial-politische Vergangenheit des deutschen Reiches in den Jahren vor dem ersten Weltkrieg. Die figürliche und bildnerische Sprache der Arbeit ist jedoch auch als eine warnende Geste in Richtung Gegenwart und Zukunft zu lesen.”

Der durch diese Mitteilung (vollständiger Text: hier) erweckte Eindruck, die vom Atelier Van Lieshout (AVL) geschaffene Statue mit dem Titel “The Monument” sei speziell für diesen Ort und in Bezug auf das Reiterstandbild Friedrich Wilhelms IV. und die deutsche Geschichte vor 1918 geschaffen worden, ist irreführend und falsch. Richtig ist nur, dass die aufwendige Bronzeversion der Reiterstatue für diesen Ort in den Kolonnadenhöfen angefertigt wurde.

Die beiden Reiterstatuen vor der Alten Nationalgalerie
Die Statue gibt es bereits seit 2010 in den Niederlanden unter dem Titel “Koppensneller en Kannibaal” ("Kopfjäger und Kannibale"). Sie ist Teil des dystopischen Projekts “Agricola Nova – De nieuwe boer” (Der neue Bauer), das den zukünftigen Zerfall der Menschheit in rivalisierende Stammesgesellschaften zeigen will. Die Künstlergemeinschaft AVL des niederländischen Bildhauers Joep van Lieshout machte in der drastischen Darstellung ausdrücklich Gebrauch von barbarischen Gewaltpraktiken aus der niederländischen und niederländisch-indischen Geschichte: Der Reiter trägt in seiner linken Hand einen dünnen langen Sack, in dem sich erkennbar ein abgetrennter menschlicher Kopf befindet. Er scheint ihn als Triumphzeichen und/oder Waffe zu gebrauchen. Die Kopfjagd (niederländisch: koppensnellen) war ein für die niederländischen Kolonialherren besonders gruseliges Brauchtum einheimischer Stämme in Teilen der indonesischen Kolonialgebiete.


Die Reiterstatue von 2010, Detail
Der ausgeweidete Körper, der vom Sockel herunterhängt, erinnert an den Kannibalismus in den Kolonien, aber mehr noch an das jedem Niederländer bekannte Bild (1672) der ermordeten Gebrüder de Wit mit den beiden kopfüber aufgehängten geschlachteten Leichnamen. Der Mord an den beiden Politikern gehört zu den bekanntesten Ereignissen der niederländischen Geschichte.

Die Reiterstatue von 2010, Detail
Jan de Baen, De lijken van de gebroeders De Wit, 1672
Ganz offenbar hat das Atelier Van Lieshout mit seiner Statue das kollektive Gedächtnis der Niederländer ansprechen wollen. Von irgendeinem Bezug zur Reiterstatue Friedrich Wilhelms IV. - und das ist nun ausgerechnet der einzige preußische König, der keine Kriege geführt hat - kann keine Rede sein.


Dass die beiden Reiterstatuen dennoch unter dem Segen der Staatlichen Museen zu Berlin und der Niederländischen Botschaft im öffentlichen Raum in einen konfrontativen Bezug zueinander gesetzt werden, ist ein besonders unverschämtes Beispiel der herrschenden Kuratorenunsitte, Kunstwerke aus verschiedenen Zeiten und Kulturen, die nichts miteinander zu tun haben, einfach einander gegenüberzustellen und damit dem irregeführten Publikum „etwas zu denken zu geben“.

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