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Mittwoch, 23. September 2015

Clemens Setz, Die Stunde zwischen Frau und Gitarre. Ein Lesetagebuch (10) – Jenseits des Familienromans: Luminous Details


Als zweites Motto für seinen Roman hat Clemens Setz einen Halbsatz von Ezra Pound gewählt: „…varying the fashions, but the luminous details remain unaltered“. Das Zitat stammt aus Pounds theoretischer Artikelserie „I gather the limbs of Osiris“ von 1911/12.

„The method of the Luminous Detail“ ist ein zentraler Begriff in der Poetologie von Pound, die er als „new method of scholarship“ versteht. Er charakterisiert sie als “a method most vigorously hostile to the prevailing mode of to-day that is, the method of multitudinous detail, and to the method of yesterday, the method of sentiment and generalisation” (“Osiris 2,” 130).


Die „Leuchtenden Details“ sind laut Pound ein Ausdruck „transhistorischer und transzendentaler kreativer Energie“, mit der sich Wörter aufladen lassen wie mit einem elektrischen Strom. Diese Fähigkeit ist in jeder Generation nur wenigen genialen Poeten gegeben. Pound setzt die leuchtenden Details ab gegen die vorherrschende Methode seiner Zeit, die „multitudinous details“.

Clemens Setz hat – nicht unbescheiden - in „Die Stunde zwischen Frau und Gitarre“ diese beiden „Methoden“ zitiert, um seine eigene Poetologie zu kennzeichnen und gegen die herrschende Methode unserer Zeit abzusetzen. Als typischen Repräsentanten der „vielen kleinen Details“ sieht er John Updike.

Es muss ein bisschen schwierig für Setz gewesen sein, diese intellektuelle und abstrakte Betrachtung glaubwürdig in seinen Roman einzubringen: Natalie ist keine Intellektuelle. Mit Literaturwissenschaft hat sie nichts zu tun. Sie liest am liebsten Stephen King. Aber ihr Freund Markus studiert Literatur und kennt den Begriff „Luminous Details“ aus dem Seminar, missversteht ihn aber in der Anwendung auf seinen Lieblingsautor John Updike. Er versucht, Natalie dazu zu bringen, Updike zu lesen. Nach ein paar Kurzgeschichten gibt sie ihm die Bände zurück:


"Armer toter Updike" (S.454)
„- Hat´s dir nicht gefallen?

Er schien mehr als besorgt, beinahe angewidert.

- Ach, es ist immer so, dass… irgendjemand lässt sich scheiden, und dann haben sie Kinder zusammen, und dann gehen sie zusammen Schilaufen, und dann passiert da allerhand, und der Wald ist da, und es ist so still im Wald wie das Altern, das ein Mann fühlt, und… und es ist immer ein Mann, der bemerkt, wie viel lebendiger Frauen sind, und dann ist da ein Hase und… und der Hase steht für das Leben, das weitergeht durch die Generationen-

- He, warte mal –

- wie ein großer Fluss! Und dann ist da ein altes Farmhaus, in dem andauernd Erinnerungen vor sich gehen, auf dem Dachboden, und, ach, die Vergangenheit ist sowieso überall, und außerdem kommt es dann zu einer Aussöhnung zwischen Vater und Sohn, und die kleinen Details sind überall (Hervorhebung von mir, P.G.) und natürlich auch der Sternenhimmel, dauernd der Sternenhimmel (S. 446f.).“


Natalies Tirade zu Updike geht noch eine Weile weiter und sie beendet sie mit dem Satz: „Ehrlich, Markus, das ist, also, weißt du, es ist einfach nicht mein Fall.“ Das Kapitel endet, Seiten später, mit den Worten „Armer toter Updike“.

Nein, John Updikes psychologischen Familienromane sind nicht Natalies - und auch nicht des Autors - Fall. „Die Stunde zwischen Frau und Gitarre“ ist Clemens Setz´ Absetzung gegen den psychologischen Realismus der großen Amerikaner, mit der er bereits in „Indigo“ (2012) begonnen hat.

Was ist bei ihm anders? Was sind seine „Luminous Details“? Er zitiert allein schon den theoretischen Begriff im Laufe des Romans sechsmal; und mehrfach auch die „sinnlosen kleinen Details“. Wie wendet er die Methode an? Dazu demnächst mehr.

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