Jetzt ist die Katze aus dem Sack: Iris Radisch rief gestern
Abend in ihrem Gespräch mit Clemens J. Setz das Zauberwort in den
vollbesetzten Saal im Haus der Berliner Festspiele: „Universalpoesie“!
Scharfe Hinterköpfe: Der Blick auf Clemens J. Setz (Foto: Sophie Sumburane) |
Überhaupt war Iris Radisch („Die Zeit“) hin und weg von den
synästhetischen Wahrnehmungswelten der Hauptfigur Natalie aus Setz’ neuem Roman
„Die Stunde zwischen Frau und Gitarre“. Sie sei neidisch!, ja neidisch!! auf
die Fähigkeiten dieser Figur und meinte damit natürlich eigentlich den jungen
Autor, der ob dieser Ausbrüche schüchtern, aber durchaus charmiert, ein wenig
zusammenschrumpfte.
Universalpoesie: Das Programm der jungen Romantiker
Friedrich Schlegel und Novalis, die in ihrer Literatur Traum und Wirklichkeit,
Poesie und Leben zusammenbringen wollten. Totum simul: Alles auf einmal! Auf
die Frage, ob er sich der Ähnlichkeit seines Konzepts mit der Frühromantik
bewusst sei, nuschelte der sonst an diesem Abend so artikuliert und brillant formulierende
Autor, dass es ja offenbar alles schon einmal gegeben habe... ach ja, die
deutschen Romantiker... und schützte einen gewissen Abstand vor. Desgleichen
auf die Gretchenfrage nach der Philosophie... nein, er habe keine
philosophischen Relais in seinem Kopf.
Nun, vielleicht war das eine wunde Stelle oder der Wunsch,
das Gespräch nicht auf einer rational-intellektuellen Ebene führen zu wollen. Iris
ließ ihn gewähren. Völlig zu
Recht, denn der neue Roman und die Wahrnehmungswelt des Clemens Setz sind auf
eine revolutionäre Weise irr-rational und transhuman, sprachlich wie inhaltlich
genialisch durchhaucht und durch und durch bestimmt von der augmented reality des Internets, der smartphones und ihrer applications.
Natürlich weiß
Clemens Setz auch in einem rationalen Sinne, was er tut, und er kennt auch die
deutschen Romantiker: Er hat Novalis’ Absetzung von den “Zahlen und Figuren” der
Rationalisten ja klammheimlich in seinen Roman eingebaut (siehe das Ende meines gestrigen Blogbeitrags). Und zur Philosophie lässt er Natalie das Nötige sagen.
Sie findet im Zimmer des von ihr betreuten Behinderten Bertrand Russells
„Philosophie des Abendlandes“, nimmt das Buch mit, blättert darin und denkt
verwundert:
„Warum schrieb jemand über solche Themen ein so dickes Buch?
Dann googelte sie Bertrand Russell. Sie fand seinen Kopf interessant, seinen
intensiven, kecken Blick. Philosoph und Mathematiker. Man könnte einen Stängel
in diesen adeligen Kopf stecken und ihn als Lutscher verkaufen“ (S. 312).
Warum schreibt Clemens Setz über solche Themen ein so dickes
Buch? Weil es so noch nie vor ihm jemand gemacht hat.
Es war ein schöner, humorvoller und tief beeindruckender
Abend mit einem überwiegend jungen Publikum. Lang anhaltender Applaus!
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