Franz Kafka, Eine kaiserliche Botschaft (1917)
Der Kaiser - so
heißt es - hat Dir, dem Einzelnen, dem jämmerlichen Untertanen, dem winzig vor
der kaiserlichen Sonne in die fernste Ferne geflüchteten Schatten, gerade Dir
hat der Kaiser von seinem Sterbebett aus eine Botschaft gesendet. Den Boten hat
er beim Bett niederknien lassen und ihm die Botschaft ins Ohr zugeflüstert; so
sehr war ihm an ihr gelegen, daß er sich sie noch ins Ohr wiedersagen ließ.
Durch Kopfnicken hat er die Richtigkeit des Gesagten bestätigt. Und vor der
ganzen Zuschauerschaft seines Todes - alle hindernden Wände werden
niedergebrochen und auf den weit und hoch sich schwingenden Freitreppen stehen
im Ring die Großen des Reichs - vor allen diesen hat er den Boten abgefertigt.
Der Bote hat sich gleich auf den Weg gemacht; ein kräftiger, ein unermüdlicher
Mann; einmal diesen, einmal den andern Arm vorstreckend schafft er sich Bahn
durch die Menge; findet er Widerstand, zeigt er auf die Brust, wo das Zeichen
der Sonne ist; er kommt auch leicht vorwärts, wie kein anderer. Aber die Menge ist
so groß; ihre Wohnstätten nehmen kein Ende. Öffnete sich freies Feld, wie würde
er fliegen und bald wohl hörtest Du das herrliche Schlagen seiner Fäuste an
Deiner Tür. Aber statt dessen, wie nutzlos müht er sich ab; immer noch zwängt
er sich durch die Gemächer des innersten Palastes; niemals wird er sie
überwinden; und gelänge ihm dies, nichts wäre gewonnen; die Treppen hinab müßte
er sich kämpfen; und gelänge ihm dies, nichts wäre gewonnen; die Höfe wären zu
durchmessen; und nach den Höfen der zweite umschließende Palast; und wieder
Treppen und Höfe; und wieder ein Palast; und so weiter durch Jahrtausende; und
stürzte er endlich aus dem äußersten Tor - aber niemals, niemals kann es
geschehen - liegt erst die Residenzstadt vor ihm, die Mitte der Welt, hochgeschüttet
voll ihres Bodensatzes. Niemand dringt hier durch und gar mit der Botschaft
eines Toten. - Du aber sitzt an Deinem Fenster und erträumst sie Dir, wenn der
Abend kommt.
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