Minimal Music hat mich immer fasziniert. Ich kenne aber nur
einige der Werke von Steve Reich und Philip Glass via Radio und CD. Vom 3.-7.
März konnte man in Berlin erstmals die legendäre Oper „Einstein on the Beach“
von Philip Glass in der Inszenierung von Robert Wilson sehen und zwar in der
von den beiden alten Herren persönlich rekonstruierten Version der legendären Erstaufführung
von 1976, deren Welttournee 2012 in New York begann.
Für Kenner mag sich zwar die revolutionäre Frische, die diese Oper in den siebziger Jahre gehabt hat, nicht wieder einstellen (siehe die Rezensionen in der New York Times und in der Nachtkritik), aber für uns, die wir viereinhalb Stunden wie gebannt in der engen Stuhlreihe des „Hauses der Berliner Festspiele“ gesessen haben, spielte das keine Rolle. Und für die tausend anderen Besucher an jenem Abend (viele junge Leute!) und die viertausend an den anderen vier Abenden auch nicht: minutenlanger jubelnder Beifall.
Alle Elemente des Musiktheaters werden in dieser Oper in
ihre Moleküle aufgebrochen, neu arrangiert, rhythmisiert und in ständiger
Wiederholung variiert: Musik, Text, Handlung, Spiel, Tanz, Bühnenbild, die
Einheit von Zeit und Raum. Was traditionell als Sinn, Logik und Entwicklung
gilt, ist aufgehoben. Wer aber denkt, dass das Ganze damit „sinnlos“ werde,
irrt sich. (Berlin hat ein Publikum dafür; nur wenige sind weggelaufen.)
Zeit und Raum sind ein durchgehendes Motiv in der Inszenierung
Robert Wilsons: Uhren, die rückwärts laufen, Uhren ohne Zeiger. Alle
Schauspieler (bis auf das Kind) tragen Armbanduhren, unser aller Zeitfessel. Das
Denken Albert Einsteins, die Relativitätstheorie und ihre Folgen für das 20.
Jahrhundert bis zur Erfindung von Kernwaffen und Raumfahrt: Wilson und Glass
versuchen, eine ästhetische Analogie der wissenschaftlichen Erkenntnisse zum
menschlichen Zusammenleben herzustellen. Und ebenso wie Einsteins Theorien und
Formeln „Schönheit“ besitzen, ist diese Oper von großer Schönheit.
Für das Libretto wählte Philip Glass Texte des jungen
Autisten Christopher Knowles, deren Sprache genau wie bei der Minimal Music in
ihre syntaktischen Teile zersplittert, rhythmisiert und in ständiger
Wiederholung präsentiert wird. Im Vorspiel „Knee Play I“ deklamiert die eine
Schauspielerin Zufallszahlen, die andere die Splittertexte von Knowles, dann
kommt der Chor hinzu, dessen Text aus 1,2,3,4,5... und do, re, mi, fa, so...
besteht. Auf diese Weise entsteht ein hochsuggestives, ästhetisches Produkt. Wenn
man das ein paar Minuten hört und sieht, ist man im Banne dieser Musik und im
folgenden der ganzen Oper. Das YouTube-Video zeigt eine konzertante Aufführung
in New York 2012, mit zum Teil denselben Schauspielern und Sängern, die wir in
Berlin gesehen haben:
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