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Freitag, 4. September 2020

Nietzsche (11): Die Kolumbus-Gedichte



Nach neuen Meeren

Dorthin – will ich und ich traue
Mir fortan und meinem Griff.
Offen liegt das Meer, in’s Blaue
Treibt mein Genueser Schiff.

Alles glänzt mir neu und neuer,
Mittag schläft auf Raum und Zeit –
Nur dein Auge – ungeheuer
Blickt mich’s an. Unendlichkeit!


Schon als Dreizehnjähriger schrieb Nietzsche sein erstes Kolumbus-Gedicht, das das Motiv des Aufbruchs in die Unendlichkeit enthält.

Als Siebzehnjähriger verfasste er seinen frühgenialischen Essay "Fatum und Geschichte" (1862), in dem das Motiv wiederkehrt: "Sich in das Meer des Zweifels hinauszuwagen, ohne Kompass und Führer ist Thorheit und Verderben für unentwickelte Köpfe; die Meisten werden von Stürmen verschlagen, nur sehr wenige entdecken neue Länder." (Jugendschriften 1861-1864, München 1994, 55).

20 Jahre später, im Jahre 1882, greift er das Motiv wieder auf und variiert es fünf Mal, um 1887 in den „Liedern des Prinzen Vogelfrei“ zu einer kürzeren und gelasseneren Endfassung zu kommen, in der Kolumbus durch ein „ich“ ersetzt ist. Hier sind die sieben Gedichttitel in chronologischer Reihenfolge (die Seitenzahlen beziehen sich auf die Ausgabe „Sämtliche Gedichte“ von 2019)

Colombo (265f.) 1858
An --- (106) 1882
Columbus novus (107) 1882
Dorthin will ich (109) 1882
Auf hohem Meere (110) 1882
Yorick-Kolumbus (137) 1882
Nach neuen Meeren (51) 1887

Ich habe hier nur die letzte Fassung abgedruckt. Eine detaillierte Behandlung der sieben Gedichte mit allen Texten findet sich in:

Werner Stegmaier, Vom Finden des eigenen Maßes. Die Häutungen von Nietzsches Gedicht „Nach neuen Meeren“, in: C. Danani u.a. (Hg.), L’essere che è, l’essere che accade, Mailand 2014, 251-260 (auch in Academia).

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