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Montag, 31. August 2020

Nietzsche (10): Die Schülergedichte

Zwei Lerchen

Ich hörte zwei Lerchen singen 
Sie sangen so hell und klar 
Und flogen auf freudigen Schwingen 
Am Himmel so wunderbar.

Die eine nahte der Sonne 
Geblendet doch schrak sie zurück 
Wohl dachte sie oft noch mit Wonne 
An dies vergangene Glück.

Doch wagt sie nicht zu erheben 
Die Schwingen nach jenem Strahl 
Sie fürchtet, es möchte ihr Streben 
Ihr werden am Ende zur Qual. 

Die andre in mutigem Drange 
Schwingt sich zu der Sonne heran 
Doch schließt sie die Augen so bange 
Auf nie noch betretener Bahn. 

Sie kann doch nicht widerstehen 
Sie fühlt unbesiegbare Lust 
Die himmlischen Strahlen zu sehen 
Sich selber kaum mehr bewußt.

Sie blickt in die strahlende Sonne 
Sie schaut sie an ohne Klag 
In himmlischer Freude und Wonne, 
Bis endlich ihr Auge brach. – –??!!!




Mehr als die Hälfte der Gedichte aus dem Band "Sämtliche Gedichte" (2019) stammen aus der Schulzeit Nietzsches zwischen 1854 und 1864. Dabei handelt es sich um hunderte von Gelegenheits-, Stimmungs- und Naturgedichten, wie sie im 19. Jahrhundert von vielen deutschen Schülern geschrieben wurden, aber die Intensität und die Quantität mit der Nietzsche das tat, auch schon als Zehnjähriger, ist ungewöhnlich.

Nur wenige Gedichte ragen aus dieser Masse heraus, haben etwas Besonderes. Dazu gehört "Zwei Lerchen", das einen Vorschein von den späteren Vogelgedichten in Zusammenhang mit Nietzsches Philosophie gibt: für einen Dreizehnjährigen ein ganz ungewöhnliches Gedicht!

Außerdem "Colombo", aus demselben Jahr (1858), das erste der Kolumbusgedichte, auf die ich noch zurückkomme.

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