Cookie

Montag, 10. August 2020

Nietzsche (2): Vier kurze Gedichte

Viel mehr als lange angenommen, sind die Gedichte ein programmatischer Teil der Philosophie Nietzsches. Und es gibt auch viel mehr davon als wir lange geahnt haben. Sie waren in den nachgelassenen Schriften verborgen. 

Das Neben- und Ineinander der Formen hatte es schon in der Frühromantik gegeben, aber noch nie so konsequent. So wie der von ihm zeitweise sehr bewunderte Richard Wagner völlig neue Gesamtkunstwerke in der Musik geschaffen hat, hat Nietzsche aus Dichtung, Literatur und Philosophie Gesamtkunstwerke geschaffen. Die wissenschaftliche Forschung hat sich lange auf nur die philosophischen Texte konzentriert.

 

Die Gedichte müssen grundsätzlich in Bezug auf Nietzsches Philosophie gesehen werden. Die poetischen Aussagen sind von gleicher Bedeutung wie die aphoristischen und philosophischen Texte, sie sind nur anders instrumentiert. Erst in den letzten Jahrzehnten gibt es dazu erhellende Untersuchungen.

 

Nietzsche hat seine poetologischen Prinzipien sogar humorvoll in Gedichtform formuliert:

 

Lieder und Sinnsprüche

 

Takt als Anfang, Reim als Endung

Und als Seele stets Musik:

Solch ein göttliches Gequiek

Nennt man Lied. Mit kürzrer Wendung,

Lied heißt: “Worte als Musik”.

 

Sinnspruch hat ein neu Gebiet:

Er kann spotten, schwärmen, springen,

niemals kann der Sinnspruch singen;

Sinnspruch heißt: „Sinn ohne Lied”. –

 

Darf ich euch von Beidem bringen?

 

Aus: Friedrich Nietzsche, Idyllen aus Messina (1882)

 

Heute vier kurze Beispiele für Gedichte zum Eingewöhnen in den Nietzsche-Sound:

 

Der Einsame

 

Verhasst ist mir das Folgen und das Führen.

Gehorchen? Nein! Und aber nein - Regieren!

Wer sich nicht schrecklich ist, macht niemand Schrecken:

Und nur wer Schrecken macht, kann andre führen.

Verhasst ist mirs schon, selber mich zu führen!

Ich liebe es, gleich Wald- und Meerestieren,

mich für ein gutes Weilchen zu verlieren,

in holder Irrnis grüblerisch zu hocken,

von ferne her mich endlich heimzulocken,

mich selber zu mir selber - zu verführen.

 


Ecce homo

Ja! Ich weiß, woher ich stamme!
Ungesättigt gleich der Flamme
Glühe und verzehr’ ich mich.
Licht wird alles, was ich fasse,
Kohle alles, was ich lasse:

Flamme bin ich sicherlich.

 


Pinie und Blitz

 

Hoch wuchs ich über Mensch und Tier;

Und sprech ich - niemand spricht mit mir.

 

Zu einsam wuchs ich und zu hoch -

Ich warte: worauf wart′ ich doch?

 

Zu nah ist mir der Wolken Sitz, -

Ich warte auf den ersten Blitz.

 

 

Prinz Vogelfrei

 

So häng ich denn auf krummem Aste
Hoch über Meer und Hügelchen:
Ein Vogel lud mich her zu Gaste
Ich flog ihm nach und rast' und raste
Und schlage mit den Flügelchen.

Das weiße Meer ist eingeschlafen,
Es schläft mir jedes Weh und Ach.
Vergessen hab' ich Ziel und Hafen,
Vergessen Furcht und Lob und Strafen:
Jetzt flieg ich jedem Vogel nach.

Nur Schritt für Schritt - das ist kein Leben!
Stets Bein vor Bein macht müd und schwer!
Ich lass mich von den Winden heben,
Ich liebe es, mit Flügeln schweben
Und hinter jedem Vogel her.

Vernunft? - das ist ein bös Geschäfte:
Vernunft und Zunge stolpern viel!
Das Fliegen gab mir neue Kräfte
Und lehrt' mich schönere Geschäfte,
Gesang und Scherz und Liederspiel.

Einsam zu denken - das ist weise.
Einsam zu singen - das ist dumm!
So horcht mir denn auf meine Weise
Und setzt euch still um mich im Kreise,
Ihr schönen Vögelchen, herum!

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen