Ein Werk von Franziska Hünig, Einblicke von rechts und links (Foto: piedschi, 2015) |
Im Ballhaus Ost gab es am 2. und 3. Mai die Ausstellung „Be
abstract. 33 positions in abstract painting“. Dort habe ich zum ersten Mal ein
Werk von Franziska Hünig gesehen. Von den dreiunddreißig dort ausgestellten Positionen zur abstrakten
Malerei war es die radikalste.
Auf einer Art
Gardinenstange hängt eine lange schmale Plane, die auf der Vorderseite flächig
schwarz und auf der Rückseite gelb bemalt ist. Die Plane ist mehrere Meter lang
und hängt in mehreren gegeneinander verschobenen Lagen über der Stange. Von
rechts und links erhält der Betrachter einen teilweisen Einblick und kann versuchen,
sich ein Bild – auch von der Rückseite – zu machen.
Natürlich habe
ich den Wunsch, mehr vom Verborgenen zu sehen. Man könnte ohne Weiteres die
Plane von der Stange wickeln, sie auf dem Fußboden ausbreiten, sie hin- und herwenden, um sie
komplett von beiden Seiten zu betrachten. Aber ich vermute, dass die anwesenden
Kuratorinnen und vielleicht auch die Künstlerin das nicht zugelassen hätten.
Die kollektive Übereinkunft, dass die Besucher die Kunstwerke nicht berühren
dürfen, ist tief in mir verankert. Der Schreck von akustischen Alarmanlagen in
staatlichen Museen, die schon bei mäßiger Annäherung schrille Warnsignale von sich geben, sitzt mir tief in den
Knochen. Außerdem denke ich
mir, dass ich mit der vollständigen Ansicht der Plane wahrscheinlich doch
nichts an Erkenntnis hinzugewinnen würde. Ich muss mit der Neugier zufrieden
sein, die das Kunstwerk in mir erzeugt. Und mit dem, was ich auch so sehen
kann, und das ist ja viel mehr als man sonst von einem Kunstwerk geboten
bekommt: Die meisten der dreiunddreißig Positionen zur abstrakten Malerei, die in der Galerie zu sehen sind,
begnügen sich mit der traditionellen zweidimensionalen Flächigkeit. Nur die
Vorderseite der Gemälde ist sichtbar, nur sie ist gemeint. Zwei, drei von ihnen
gehen reliefhaft plastisch ein wenig in die dritte Dimension. Sie bekommen
dadurch sofort mehr von meiner Aufmerksamkeit. Die Frage ist, ob sie dadurch wirklich
interessanter oder besser sind als die anderen. Und was lässt Kunst gut und besser
sein?... Aber das lenkt jetzt ab.
Franziska Hünigs
Werk ist etwas ganz Anderes (es hat übrigens einen Titel; ich habe ihn
vergessen, und er hat mir bei der Betrachtung auch nicht geholfen). Es greift
in die Struktur des Raumes und des Sehens ein. Bei anderen ihrer Werke, die ich
in im Internet gefunden habe, setzen sich die – teilweise gigantischen - Planen
an der Decke und auf dem Fußboden
fort: Übergänge von der Vertikalen in die Horizontale, die der Betrachter nicht
gewohnt ist, die ihn verwirren. Franziska erzählte uns, dass sie in dieser
Gemeinschaftsausstellung darauf verzichtet habe (oder verzichten musste?), weil
ihr Werk dadurch so aus dem Rahmen gefallen wäre und die Aufmerksamkeit der
Besucher von den anderen Werken abgezogen hätte.
Gut, es geht auch
so: Die Verwirrung ist ja da. Das Werk, vor dem ich stehe, ist eine Art
abstraktes Trompe-l’œil,
das sein Spiel mit meinen Sehgewohnheiten und meinen Erfahrungen von Räumlichkeit
treibt. Ich werde nachdrücklich darauf gestoßen, dass alles zwei Seiten
hat, dass diese zwei Seiten aber ineinandergefaltet sind, und ich sie mit
meinem Sensorium nicht vollständig wahrnehmen kann. Ich kann sie nicht
entfalten. Es bleibt immer etwas verborgen. Das erinnert mich an die
Beschreibungen der vierten Dimension, der Verfaltung von Raum und Zeit. Ich stoße an die Grenzen von Sinn und Verstand. Das macht
Franziska Hünigs Werk so einzigartig unter den dreiunddreißig Positionen zur abstrakten Malerei.
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