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Dienstag, 5. Mai 2015

Be abstract! Ein Werk von Franziska Hünig im Ballhaus Ost



Ein Werk von Franziska Hünig,
Einblicke von rechts und links (Foto: piedschi, 2015)

Im Ballhaus Ost gab es am 2. und 3. Mai die Ausstellung „Be abstract. 33 positions in abstract painting“. Dort habe ich zum ersten Mal ein Werk von Franziska Hünig gesehen. Von den dreiunddreißig dort ausgestellten Positionen zur abstrakten Malerei war es die radikalste.

Auf einer Art Gardinenstange hängt eine lange schmale Plane, die auf der Vorderseite flächig schwarz und auf der Rückseite gelb bemalt ist. Die Plane ist mehrere Meter lang und hängt in mehreren gegeneinander verschobenen Lagen über der Stange. Von rechts und links erhält der Betrachter einen teilweisen Einblick und kann versuchen, sich ein Bild – auch von der Rückseite – zu machen.

Natürlich habe ich den Wunsch, mehr vom Verborgenen zu sehen. Man könnte ohne Weiteres die Plane von der Stange wickeln, sie auf dem Fußboden ausbreiten, sie hin- und herwenden, um sie komplett von beiden Seiten zu betrachten. Aber ich vermute, dass die anwesenden Kuratorinnen und vielleicht auch die Künstlerin das nicht zugelassen hätten. Die kollektive Übereinkunft, dass die Besucher die Kunstwerke nicht berühren dürfen, ist tief in mir verankert. Der Schreck von akustischen Alarmanlagen in staatlichen Museen, die schon bei mäßiger Annäherung schrille Warnsignale von sich geben, sitzt mir tief in den Knochen. Außerdem denke ich mir, dass ich mit der vollständigen Ansicht der Plane wahrscheinlich doch nichts an Erkenntnis hinzugewinnen würde. Ich muss mit der Neugier zufrieden sein, die das Kunstwerk in mir erzeugt. Und mit dem, was ich auch so sehen kann, und das ist ja viel mehr als man sonst von einem Kunstwerk geboten bekommt: Die meisten der dreiunddreißig Positionen zur abstrakten Malerei, die in der Galerie zu sehen sind, begnügen sich mit der traditionellen zweidimensionalen Flächigkeit. Nur die Vorderseite der Gemälde ist sichtbar, nur sie ist gemeint. Zwei, drei von ihnen gehen reliefhaft plastisch ein wenig in die dritte Dimension. Sie bekommen dadurch sofort mehr von meiner Aufmerksamkeit. Die Frage ist, ob sie dadurch wirklich interessanter oder besser sind als die anderen. Und was lässt Kunst gut und besser sein?... Aber das lenkt jetzt ab.

Franziska Hünigs Werk ist etwas ganz Anderes (es hat übrigens einen Titel; ich habe ihn vergessen, und er hat mir bei der Betrachtung auch nicht geholfen). Es greift in die Struktur des Raumes und des Sehens ein. Bei anderen ihrer Werke, die ich in im Internet gefunden habe, setzen sich die – teilweise gigantischen - Planen an der Decke und auf dem Fußboden fort: Übergänge von der Vertikalen in die Horizontale, die der Betrachter nicht gewohnt ist, die ihn verwirren. Franziska erzählte uns, dass sie in dieser Gemeinschaftsausstellung darauf verzichtet habe (oder verzichten musste?), weil ihr Werk dadurch so aus dem Rahmen gefallen wäre und die Aufmerksamkeit der Besucher von den anderen Werken abgezogen hätte.

Gut, es geht auch so: Die Verwirrung ist ja da. Das Werk, vor dem ich stehe, ist eine Art abstraktes Trompe-l’œil, das sein Spiel mit meinen Sehgewohnheiten und meinen Erfahrungen von Räumlichkeit treibt. Ich werde nachdrücklich darauf gestoßen, dass alles zwei Seiten hat, dass diese zwei Seiten aber ineinandergefaltet sind, und ich sie mit meinem Sensorium nicht vollständig wahrnehmen kann. Ich kann sie nicht entfalten. Es bleibt immer etwas verborgen. Das erinnert mich an die Beschreibungen der vierten Dimension, der Verfaltung von Raum und Zeit. Ich stoße an die Grenzen von Sinn und Verstand. Das macht Franziska Hünigs Werk so einzigartig unter den dreiunddreißig Positionen zur abstrakten Malerei.

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