Beim Lesen von Wolf Biermanns Lob des Romans „Der Komet“
habe ich mich gefragt: Wer ist Hannes Stein? Warum habe ich noch nichts von ihm
gehört und gesehen?
Nun: Hannes Stein ist in erster Linie Journalist und
schreibt in Blättern und Blogs, die ich kaum lese. „Der Komet“ ist sein Debüt
als Romanautor, aber er kommt daher wie ein alter Hase.
Hat er deshalb dieses Foto als Autorenporträt auf der
Innenseite des Schutzumschlags gewählt?
Hannes Stein im Central Park |
Nein, Hannes
Stein ist – wie sein Roman auf jeder Seite zeigt - ein Scherzbold mit Tiefgang.
Der Hase auf dem Foto gehört zur Skulptur „Alice in Wonderland“ im
Central Park in New York, Steins neuer Heimatstadt. Der Autor hat sich Lewis
Carrolls „White Rabbit“ als Schutzpatron für die Reise in sein Wunderland
gewählt.
Bei seinem Auftritt auf dem Blauen Sofa in Leipzig musste er
soviel über all die Wunder seines alternativen 20. Jahrhunderts erzählen, in dem weder der Erste noch der Zweite
Weltkrieg stattgefunden haben, dass die Vorzüge des Buches als Roman zu
kurz kamen. Dabei ist die Verbindung von plausibler Alternativpolitik,
-geschichte, -kultur und -technik mit einer unterhaltsamen Romanhandlung auf
hohem sprachlichen Niveau die überaus verblüffende Leistung Steins. Es gibt
keinen vergleichbaren Roman in der deutschen Literatur! (Na ja, bei Christian Kracht vielleicht ein
bisschen.)
„Der Komet“ ist bereits in Dutzenden literarischen Blogs
besprochen und gepriesen worden. Wo bleiben die Rezensionen der großen deutschen
Tages- und Wochenzeitungen? In der ZEIT war es ja offenbar Wolf Biermann, der
die Initiative ergriffen hat und nicht die Redaktion.
Zieren sich die Feuilletonchefs in deutschem Schuldstolz vor
dem Anblick eines märchenhaften und unblutigen 20. Jahrhunderts voller
sympathischer Österreicher und harmlos-tüchtiger Deutscher? Finden sie das albern, ihrer unwürdig,
unangemessen? Vielleicht haben sie ja auch die fünfzig Sternchen im Romantext übersehen,
die auf das Glossar am Ende des Buches verweisen, in dem der Leser über
Bekanntes und Unbekanntes aus der Realgeschichte aufgeklärt wird. Der besondere
Effekt des Romans entsteht gerade aus dieser Kontrastierung des so
glaubwürdigen Märchenwunderlandes mit der so unglaublich brutal-blutigen
Echtzeit. Vorne lacht der Leser, hinten bleibt ihm das Lachen in der Kehle
stecken. „Der Komet“ ist vor allem ein erschütterndes Buch.
Hannes Steins
journalistische Texte lassen sich am konstantesten in
dem Blog „Die Achse des Guten“ verfolgen. Das ist nun nicht unbedingt meine
ideologische Heimat, aber da die letzten dreißig Jahre mit ihrem Blick von
außen auf Deutschland bei mir zu einer Abschwächung des Lagerdenkens geführt
haben, kann ich die klugen, manchmal aggressiven und oft witzigen Auslassungen
des amerikanischen Republikaners Stein in Henryk Broders Blog durchaus
genießen.
Hannes Stein, in Deutschland geboren, in Österreich
aufgewachsen, hat auch ein Leben in Israel versucht. 2007 hat er eine Greencard
gewonnen, ist in die USA ausgewandert, hat eine New Yorker Jüdin geheiratet und
ist inzwischen Amerikaner geworden. Und ein Republikaner, der Obama wählt.
Seine Amerika-Erfahrungen hat er in dem Buch „Tschüß Deutschland“ (Berlin 2010) zusammengefasst. Aus der Neuen Welt schickt er uns jetzt seinen Kometen herüber. Er kommt
uns bedrohlich nahe.
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