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Donnerstag, 30. Mai 2013

Arnold Schönberg/Stefan George, Das Buch der Hängenden Gärten

Aus meinem alten Blog (2009):

Schönberg/George, Das Buch der Hängenden Gärten (1)
Ich habe diese Lieder vorgestern zum ersten Mal gehört und noch keinen Zugang gefunden. Was ist das bloß?

Adorno hat die Bedeutung von Schönbergs Liederzyklus “Das Buch der Hängenden Gärten” (1908/09) mit Schuberts “Winterreise” verglichen. Der Zyklus gilt als der Anfang der atonalen Musik und markiert zugleich das Ende der romantischen Situation des beseelten öffentlichen Liedvortrags vor mitfühlendem Publikum.
Das Schönberg Center in Wien hat den Zyklus sorgfältig dokumentiert und auf der Website einschließlich der Texte zugänglich gemacht. Schönberg hat eine Auswahl von 15 der circa 40 Gedichte Stefan Georges aus dem gleichnamigen Zyklus „Das Buch der Hängenden Gärten“(1884) vertont. Das geschah in einer Situation von Einsamkeit, Selbstaristokratisierung und Frauenfeindlichkeit, für die Georges älteren Gedichte ihm einen passenden Rahmen zu bieten schienen. In Georges Texten treffen in einem exotischen, weltabgewandten Garten ein Ich als stilisierter Prinz auf ein Du als stilisierte Prinzessin. Die Atmosphäre der Begegnung wird mit vielen Bildern aus dem Pflanzen- und Vogelreich erotisch aufgeladen, ohne irgendeine Erfüllung zu finden.

Zum Weiterlesen hier klicken:


Schönberg hat einmal gesagt, er würde am liebsten ohne Publikum spielen, allerdings sei die Akustik im Saal mit Publikum besser. Eine Dissertation über „Das Buch der Hängenden Gärten“ spricht im Titel von der „öffentlichen Einsamkeit der Neuen Musik“.
Mich interessiert dieser Moment der Musikgeschichte, weil er eine Parallele zu den Entwicklungen in Kunst, Literatur und Naturwissenschaften im ersten Jahrzehnt des 20. Jahrhunderts darzustellen scheint. Was in den Jahren in der Bildenden Kunst und Literatur geschehen ist, damit habe ich mich viel beschäftigt. Was die Musik betrifft, kann ich jedoch kein sinniges Wort sagen. Ich habe aber den Eindruck, dass es erkenntnisstrukturelle Übereinkünfte zwischen den verschiedenen Disziplinen gibt, das heißt, dass es einen inhaltlichen Zusammenhang zwischen der Überwindung des Dur-Moll-Universums der Töne und der Befreiung der Farben & Formen in der Malerei gibt. Aber ich kann das in Sachen Atonalität nicht beschreiben und hören.

Die Neue Musik ist mir, zumindest in ihren Ursprüngen bei Schönberg und in dessen Zwölftonmusik, beinahe völlig verschlossen geblieben. Das „beinahe“ ist meinem Interesse für den späteren musikalischen Minimalismus geschuldet, das hier im Blog schon angeklungen ist.
Auch die Lektüre von Thomas Manns Roman „Doktor Faustus“ vor zwanzig, dreißig Jahren hat, was das betrifft, in mir keine Spuren hinterlassen. Mann hatte mit Adorno einen ausführlichen Briefwechsel über die Zwölftonmusik geführt, bevor er die entsprechenden Passagen des Faustus schrieb. Zu meinen guten Vorsätzen für die nächsten Jahre gehört, den Roman noch einmal mit mehr Hintergrundverständnis zu lesen.

Ich muss es vorläufig dabei belassen. Dennoch finde ich Schönbergs Lieder in ihrer Fremdheit zu Georges Gärten passen, mit denen ich aber viel besser umgehen kann.

Schönberg/George, Das Buch der Hängenden Gärten (2)

Schönbergs Wahl des Gedichtzyklus „Das Buch der Hängenden Gärten“ (1884) von Stefan George für seine musikalisch revolutionären Lieder beruhte weniger auf einer Affinität zu diesem Dichter als auf der kreativen Situation, in der George sich befunden und dem Verarbeitungsbild, das er dafür gewählt hatte: ein weltentzogener Garten Eden, in dem der Künstler sich in einem aristokratischen Weltüberlegenheitsempfinden einer inneren Initiation öffnen möchte.
In Georges Leben hat dieser Garten ein konkretes Vorbild: die einzige Frau, die ihm jemals etwas – auch in einem erotischen Sinne - bedeutet hatte, war Ida Coblenz, in deren reichen Vaters verwunschenem Haus und Garten in Bingen er ihr die Gedichte seines Zyklus gewidmet und vorgetragen und wo sie selbst erfreut und geschmeichelt die Rolle der sagenhaften Königin Semiramis gewählt hat.

Ida Coblenz

In den kühnen Zeilen „wenn ich heut nicht deinen leib berühre/wird der faden meiner seele reissen“ scheint es allerdings ganz wörtlich ein Stocken im Vortrag gegeben zu haben. Und ja: in diesem Eden nimmt Adam den Apfel nicht beziehungsweise er bekommt ihn gar nicht erst angeboten. Die Situation bleibt in einem merkwürdigen Zwischenzustand zwischen Paradies und Sündenfall stecken und bezieht gerade daraus ihren Reiz. Für den 26jährigen George ist die erotische Zuwendung zu einer Frau außerordentlich ungewöhnlich, Idas Leib bleibt irgendwie unantastbar, und die 24jährige bildschöne Ida Coblenz will wohl - jungfräulich? keusch? scheu? erwartungsvoll? - den ersten Schritt nicht tun.
Der Garten wird derweil mit all dem Unerfüllten und Herbeigewünschten tropisch schwül aufgeladen. Hier sind zwei Textbeispiele:

X.
Das schöne beet betracht ich mir im harren,
Es ist umzäumt mit purpurnschwarzem dorne,
Drin ragen kelche mit geflecktem sporne
Und samtgefiederte geneigte farren
Und flockenbüschel, wassergrün und rund
Und in der mitte glocken, weiss und mild –
Von einem odem ist ihr feuchter mund
Wie süsse frucht vom himmlischen gefild.


XV.
Wir bevölkerten die abenddüstern Lauben,
lichten tempel, pfad und beet
Freudig sie mit lächeln, ich mit flüstern –
Nun ist wahr, daß sie für immer geht.
Hohe blumen blassen oder brechen.
Es erblaßt und bricht der weiher glas
Und ich trete fehl im morschen gras.
Palmen mit den spitzen fingern stechen.
Mürber blätter zischendes gewühl
Jagen ruckweis unsichtbare hände
Draußen um des edens fahle wände.
Die nacht ist überwölkt und schwül.


Die beiden haben sich übrigens bis zum baldigen Ende ihrer Freundschaft gesiezt. Ida wurde bereits ein Jahr später von ihrem Vater mit einem Kaufmann verheiratet; dieser Ehe hat sie sich schnell entzogen und dann den von George verachteten Richard Dehmel geheiratet.

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