Schönberg/George, Das Buch der Hängenden Gärten (1)
Adorno hat die Bedeutung von Schönbergs Liederzyklus “Das Buch der Hängenden Gärten” (1908/09) mit Schuberts “Winterreise” verglichen. Der Zyklus gilt als der Anfang der atonalen Musik und markiert zugleich das Ende der romantischen Situation des beseelten öffentlichen Liedvortrags vor mitfühlendem Publikum.
Das Schönberg Center in Wien hat den Zyklus sorgfältig dokumentiert und auf der Website einschließlich der Texte zugänglich gemacht. Schönberg hat eine Auswahl von 15 der circa 40 Gedichte Stefan Georges aus dem gleichnamigen Zyklus „Das Buch der Hängenden Gärten“(1884) vertont. Das geschah in einer Situation von Einsamkeit, Selbstaristokratisierung und Frauenfeindlichkeit, für die Georges älteren Gedichte ihm einen passenden Rahmen zu bieten schienen. In Georges Texten treffen in einem exotischen, weltabgewandten Garten ein Ich als stilisierter Prinz auf ein Du als stilisierte Prinzessin. Die Atmosphäre der Begegnung wird mit vielen Bildern aus dem Pflanzen- und Vogelreich erotisch aufgeladen, ohne irgendeine Erfüllung zu finden.
Zum Weiterlesen hier klicken:
Die Neue Musik
ist mir, zumindest in ihren Ursprüngen bei Schönberg und in dessen
Zwölftonmusik, beinahe völlig verschlossen geblieben. Das „beinahe“ ist meinem
Interesse für den späteren musikalischen Minimalismus geschuldet, das hier im
Blog schon angeklungen ist.
Auch die Lektüre
von Thomas Manns Roman „Doktor Faustus“ vor zwanzig, dreißig Jahren hat, was
das betrifft, in mir keine Spuren hinterlassen. Mann hatte mit Adorno einen
ausführlichen Briefwechsel über die Zwölftonmusik geführt, bevor er die
entsprechenden Passagen des Faustus schrieb. Zu meinen guten Vorsätzen für die
nächsten Jahre gehört, den Roman noch einmal mit mehr Hintergrundverständnis zu
lesen.
Ich muss es
vorläufig dabei belassen. Dennoch finde ich Schönbergs Lieder in ihrer
Fremdheit zu Georges Gärten passen, mit denen ich aber viel besser umgehen
kann.
Schönberg/George,
Das Buch der Hängenden Gärten (2)
Schönbergs Wahl
des Gedichtzyklus „Das Buch der Hängenden Gärten“ (1884) von Stefan George für
seine musikalisch revolutionären Lieder beruhte weniger auf einer Affinität zu
diesem Dichter als auf der kreativen Situation, in der George sich befunden und
dem Verarbeitungsbild, das er dafür gewählt hatte: ein weltentzogener Garten
Eden, in dem der Künstler sich in einem aristokratischen Weltüberlegenheitsempfinden
einer inneren Initiation öffnen möchte.
In Georges Leben
hat dieser Garten ein konkretes Vorbild: die einzige Frau, die ihm jemals etwas
– auch in einem erotischen Sinne - bedeutet hatte, war Ida Coblenz, in deren
reichen Vaters verwunschenem Haus und Garten in Bingen er ihr die Gedichte
seines Zyklus gewidmet und vorgetragen und wo sie selbst erfreut und
geschmeichelt die Rolle der sagenhaften Königin Semiramis gewählt hat.Ida Coblenz |
In den kühnen Zeilen
„wenn ich heut nicht deinen leib berühre/wird der faden meiner seele reissen“
scheint es allerdings ganz wörtlich ein Stocken im Vortrag gegeben zu haben.
Und ja: in diesem Eden nimmt Adam den Apfel nicht beziehungsweise er bekommt
ihn gar nicht erst angeboten. Die Situation bleibt in einem merkwürdigen
Zwischenzustand zwischen Paradies und Sündenfall stecken und bezieht gerade
daraus ihren Reiz. Für den 26jährigen George ist die erotische Zuwendung zu
einer Frau außerordentlich ungewöhnlich, Idas Leib bleibt irgendwie
unantastbar, und die 24jährige bildschöne Ida Coblenz will wohl - jungfräulich?
keusch? scheu? erwartungsvoll? - den ersten Schritt nicht tun.
Der Garten wird
derweil mit all dem Unerfüllten und Herbeigewünschten tropisch schwül
aufgeladen. Hier sind zwei Textbeispiele:
X.
Das schöne beet betracht ich mir im harren, Es ist umzäumt mit purpurnschwarzem dorne,
Drin ragen kelche mit geflecktem sporne
Und samtgefiederte geneigte farren
Und flockenbüschel, wassergrün und rund
Und in der mitte glocken, weiss und mild –
Von einem odem ist ihr feuchter mund
Wie süsse frucht vom himmlischen gefild.
XV.
Wir bevölkerten die abenddüstern Lauben, lichten tempel, pfad und beet
Freudig sie mit lächeln, ich mit flüstern –
Nun ist wahr, daß sie für immer geht.
Hohe blumen blassen oder brechen.
Es erblaßt und bricht der weiher glas
Und ich trete fehl im morschen gras.
Palmen mit den spitzen fingern stechen.
Mürber blätter zischendes gewühl
Jagen ruckweis unsichtbare hände
Draußen um des edens fahle wände.
Die nacht ist überwölkt und schwül.
Die beiden haben sich übrigens bis zum baldigen Ende ihrer Freundschaft gesiezt. Ida wurde bereits ein Jahr später von ihrem Vater mit einem Kaufmann verheiratet; dieser Ehe hat sie sich schnell entzogen und dann den von George verachteten Richard Dehmel geheiratet.
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen