Das Pfingstwunder
Und als der Pfingsttag gekommen war, waren sie alle an einem Ort beieinander. Und es geschah plötzlich ein Brausen vom Himmel wie von einem gewaltigen Wind und erfüllte das ganze Haus, in dem sie saßen. Und es erschienen ihnen Zungen, zerteilt wie von Feuer; und er setzte sich auf einen jeden von ihnen, und sie wurden alle erfüllt von dem Heiligen Geist und fingen an zu predigen in andern Sprachen, wie der Geist ihnen gab auszusprechen.
Sie entsetzten sich aber alle und wurden ratlos und sprachen einer zu dem andern: Was will das werden? Andere aber hatten ihren Spott und sprachen: Sie sind voll von süßem Wein?
Jedes Jahr bin ich auf der Suche nach einem aktuellen Roman
aus dem deutschen Kulturraum, der sich ganz besonders für die Besprechung in
einem Kreis literarisch und historisch interessierter Niederländer eignet (für „Niederländer“
können Sie auch ein beliebiges anders europäisches Volk aus der Liste des
Eurovision-Songfestivals einsetzen, aber ich bespreche ihn nun einmal mit
Niederländern).
Im Vorfeld sage ich immer gerne, dass ich auf der Suche nach
einem Gegenwartsroman bin. Das hat
damit zu tun, dass deutsche Qualitätsromane der letzten Jahrzehnte meistens
etwas mit der Vergangenheit zu tun
hatten. Aber die habe ich so oft besprochen. Ich will gerne mal was anderes.
Dieses Jahr war die Auswahl überraschend reichlich. Sogar
Zukunftsromane dienten sich an, so dass ich lange zögerte. Zu Pfingsten fragte
ich mich: „Was soll das werden“ und genoss in meiner Ratlosigkeit des süßen
Weines. Da geschah plötzlich ein Brausen vom Himmel wie von einem gewaltigen
Wind und erfüllte das ganze Haus. Und es erschien mir ein Prediger, der mich
auf ein ganz besonderes Buch hinwies, das die Vergangenheit in eine neue
Gegenwart verzaubern würde.
Dieser Roman spielt im Jahr 2000 und entwickelt sich aus der
Voraussetzung, dass das Attentat auf den österreichischen Thronfolger Franz
Ferdinand 1914 misslungen ist und der Erste und damit auch der Zweite Weltkrieg
inklusive des Holocaust deshalb nicht stattgefunden haben. Die deutsche, österreichische und russisches
Monarchie: Sie bestehen noch jetzt, im 21. Jahrhundert! Und du, glückliches
Österreich mit deiner wunderbaren Hauptstadt Wien, bist das kulturelle Zentrum
der Welt. Der geneigte Leser möge in seiner Phantasie erwägen, was das alles
bedeuten könnte. Zum Beispiel: Anne Frank wird den Literatur-Nobelpreis gewinnen.
Das alles hätte also ganz fundamental in die Hose gehen und
in Unerträglichkeiten ausarten können, aber Hannes Stein ist ein unglaublich witziger,
geistreicher und ergreifender Roman gelungen. Mein Pfingstwunder! Und, zum
Kuckuck: Es ist doch wieder ein Vergangenheitsroman.
Erfüllt vom Heiligen Geist. Lest ihn.
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