Cookie

Donnerstag, 16. Mai 2013

Veruschka. Eine deutsche Körpergeschichte

Nach meinem Besuch von Steinort 2009 hatte ich angefangen, einen Artikel über Veruschka/Vera von Lehndorff zu schreiben und diesen teilweise in meinem alten Blog veröffentlicht. Diese Teile importiere ich jetzt in Café Deutschland. Vielleicht greife ich die Sache wieder auf.

Inzwischen sind eine (Auto-)Biografie von ihr/über sie und die DVD "Veruschka - Inszenierung meines Körpers" (2011) erschienen:



Zum Weiterlesen hier klicken:


„Am Anfang war das Paradies, das Zauberschloss Steinort. Dann kam das Fegefeuer, der Krieg; es kam die Hölle des 20. Juli 1944 und jene andere Hölle, der Zusammenbruch ganz Deutschlands. Und aus all den Trümmern steigt, größer und immer größer werdend, dieses erstaunliche Mädchen auf, die einstige kleine Vera von fünf Jahren mit dem Engelsgesicht, die sie gewesen, als ihr Vater gehenkt worden war, und allmählich wurde sie Veruschka, und die größten Bildmagazine der Welt reißen sich um ihren überlangen, lianenhaften Körper, ihr rätselvolles Gesicht mit dem kahl-androgynen Kopf, ihre kunstvoll überzüchtete Erotik…“

Michel Tournier, Die Schlüssel und das Schloss, München 1979

G.s Freundin B. erzählte uns von ihrem Kontakt zu Vera von Lehndorff, die nachdem sie die USA im Jahr 2006 verlassen hatte, zum ersten Mal an ihren Geburtsort zurückgekehrt ist. Sie hatte das Schloss Steinort seit mehr als sechzig Jahren nicht gesehen und wollte sich nun im Rahmen des Förderkreises für eine gedächtnispolitische deutsch-polnische Nutzung einsetzen. Mit Hilfe einiger Zeitungsberichte und von Google habe ich mir daraufhin Veruschkas Geschichte zusammengesetzt. Sie fasziniert mich so, dass ich einen Artikel darüber schreiben möchte, für den diese Blog-Posts eine Vorübung sein sollen. Das Ganze geschieht also in Portiönchen zur Formulierung der Teilaspekte, so weit ich jeweils gerade damit komme.

Die 1939 geborene Vera von Lehndorff ist ein Heimkind und eines der europäischen Kriegskinder, deren Trauma für ihr gesamtes Leben mitbestimmend wurde. Zur Traumatisierung der breiteren Gruppe der europäischen Kriegskinder, also in etwa der Geburtenjahrgänge 1930-1945, stand vor ein paar Jahren etwas im Spiegel (Nr. 9/2009). In den letzten fünfzehn Jahren hat die Thematik auch in Film, Fernsehen und Literatur Gestaltung gefunden.

Winfried Sebald zum Beispiel beschreibt in seinem Roman Austerlitz (2001) die Identitätssuche eines Mannes, der als Kind kurz vor Kriegsbeginn mit den Kindertransporten aus Prag nach England gebracht wurde, Adoptiveltern erhielt und mit neuem Namen als Engländer aufwuchs. Es ist ein Buch, das eine besondere Sprache findet über Identität und Geschichte, Traumatisierung und Erinnerung sowie die Art und Funktion der menschlichen Wahrnehmung. Für mich handelt es sich um einen der intensivsten und besten Romane der deutschen Nachkriegsliteratur. Sebalds Roman wird international auch von Historikern rezipiert, die sich mit Geschichte und Gedächtnis, der Verarbeitung des Holocaust und theoretischer Geschichte beschäftigen, und als alternative Form der Geschichtsschreibung gewürdigt. Jacques Austerlitz, die Hauptfigur, reist auf der Suche nach seiner Herkunft und Identität mit Erinnerungsfetzen im Kopf durch die europäischen Städte. Vor allem bestimmte architektonische und ornamentale Muster erwecken bei ihm Assoziationen zu seiner Kindheit. Er meidet dabei Deutschland wie das schwarze Loch der Geschichte, in dessen Sog er sofort vernichtet würde.

Die Verbreiterung und Enttabuisierung der internationalen Opferdiskurse in den letzten 20 Jahren haben auch dieser Gruppe und eben auch den deutschen ehemaligen Kriegskindern die Möglichkeit und den Mut zur Artikulation gegeben. Viele Internetseiten geben Aufschluss darüber. Vera von Lehndorffs  Fall hat besondere Begleitumstände und ist dadurch sowohl von besonderer Härte als auch von einer makabren Exotik und Erotik. Das gilt für die Ursachen wie auch für Veruschkas persönliche Verarbeitung ihrer Traumatisierung. Ich beschäftige mich seit Jahren mit Body History, und dies ist eine der merkwürdigsten deutschen Körpergeschichten des 20. Jahrhunderts.

Vera wird 1960 in Florenz von dem Fotographen Ulo Mulas angesprochen und als Model „entdeckt“ (hier würde auch schon das Verb „entblößt“ passen). Kurz vorher (1959) ist in den USA die Puppe „Barbie“ auf den Markt gebracht worden. Wenn es auch immer heißt, dass Barbies Körpermaße biologisch unmöglich seien: Vera kommt ihnen nahe, sie ist 184 cm lang, dünn, ohne knochig oder anorektisch zu wirken und hat Beine, vor denen Barbie in die Knie gehen müsste. Sie geht 1961 nach New York, unterwirft sich den professionellen und privaten Zwängen der Fotografen und der Modewelt und wird innerhalb weniger Jahre zum Supermodel der führenden amerikanischen und europäischen Modezeitschriften. Ihr Konzept ist am Anfang die Nachahmung: „Ich machte meistens irgendwelche anderen Stars nach, die ich in den Zeitschriften gesehen hatte, z.B. Ursula Andress. Ich spielte Damen aus der gehobenen Gesellschaft. Ich konnte machen, was ich wollte, ich wurde immer irgend jemand anders.“

Ihre deutsche und sehr spezielle Vergangenheit ist an diesem Ort und in dieser Zeit uninteressant; zudem lässt Vera die Erinnerung daran in der neuen Glamourwelt selbst nicht zu. Höchstens ihr Adelstitel hat Schlagzeilenwert: „Die nackte Gräfin“, das klingt natürlich gut. Und ein neuer Name muss her: Veruschka, die aus einem geheimnisvollen Grenzgebiet zwischen Preußen und Russland kommt, eine Art transsylvanische Adelige. Sie verdient zeitweise 10.000 Dollar am Tag. Die stets sich wiederholende Leere der reinen Nachahmung erzeugt bei ihr allmählich ein korrespondierendes Leeregefühl in ihren eigenen Identität, das in eine Flucht vor sich selbst und damit in eine psychische Krise mündet. Die Prädisposition durch ihre Kriegs- und Nachkriegskindheit, auf die ich später noch eingehen werde, muss hierbei auch eine Rolle gespielt haben. Der Zeitgeist der Sechziger ermöglicht ihr, diese Flucht als Spiel zu inszenieren: „Mitte der sechziger Jahre habe ich dann angefangen, Farben zu benutzen, um mir selbst (mit meinen vielen menschenähnlichen Gesichtern) für eine Weile zu entgehen. Ich verwandelte meinen Kopf in Tierköpfe und Steine, bemalte ihn und beklebte mein Gesicht mit Vogelfedern und Fellen. Dies alles war in den sechziger Jahren möglich, sich der Mode zu bedienen, um auch seine eigenen Spiele zu betreiben.“ (Die Häutungen der Veruschka, ZEITmagazin 2008)

Die Wahrnehmung von Veruschka bei deutschen Kritikern und in der deutschen Öffentlichkeit ist bis heute durch ihre Karriere als Supermodel in den Sechzigern und damit mit dem öffentlichen Image eines Models als Objekt der Modeindustrie bestimmt, während sie von Anfang an als Künstlerin tätig gewesen ist und sich in keiner Phase ihrer Karriere als Objekt des Objektivs hat instrumentalisieren lassen: auch als Model hatte sie ein Modell ihres Objektseins im Kopf. Sie liess sich nicht einfach fotografieren, sie steckte im Objektiv und bestimmte das Bild.

In den siebziger Jahren jedoch „wurden die Spielzeuge weggenommen“. Veruschkas Spiel hatte aber auch einen bitterernsten Hintergrund und war ein zutiefst existentielles Bedürfnis. Das zeigt ihre Reaktion: Sie entzieht sich 1975 den neuen restriktiven Regeln bei der führenden Modezeitschrift VOGUE, lässt sich aus dem Markt fallen und beginnt mit eigenen, auf ihre Person zugeschnittenen und angewandten Konzepten. Zusammen mit dem Maler Holger Trülzsch experimentiert sie mit dem damals noch neuen Genre der Körpermalerei und präsentiert 1978 das innovative Subgenre der Mimikry Dress Art, das heißt, sie lässt ihren nackten Körper täuschend echt mit Kleidungsstücken und Accessoires bemalen. Das ZEITmagazin hat damals einen Bericht hierzu veröffentlicht.

„Indem Veruschka von Lehndorff ihren Körper schminkt und ihn von Holger Trülzsch bemalen und fotografieren lässt, kommentiert sie ihr Vorleben als wandlungsfähige Bewohnerin europäischer und amerikanischer Modejournale. Sie kommentiert ihren eigenen Mythos und gibt ihn preis.“
(Zeit online Die Häutungen der Veruschka)




Sie macht ihre Art des öffentlichen Verschwindens, der verbergenden Entblößung, der mimetischen Transfiguration zu ihrem neuen künstlerischen und selbsttherapeutischen Thema. Ihr nackter Körper wird zur Leinwand, zur Projektionsfläche ihres traumatischen Wunsches zu verschwinden. Gleichzeitig weist sie damit auf sich hin: seht her, ich bin da und bin es auch nicht, will es nicht sein. Ihr Verfahren ist verblüffend: es stellt eine schöne und widerspruchsvolle Verschmelzung der dramatischen Nachahmungskunst (Mimesis) mit dem Grundgedanken des Brechtschen Epischen Theaters zu dem neuen ästhetischen Phänomen der demonstrativen Mimese dar. Dabei verfährt sie unbewusst (?) beinahe lehrbuchartig nach der zoologischen Typologie der Mimese.

(Fortsetzung folgt)

Heute (2013) habe ich entdeckt, dass der Film „Veruschka. Poesia di una donna“ (1971) von Franco Rubartelli komplett auf YouTube steht. Man kann ihn sich auch ohne Italienischkenntnisse gut ansehen: http://www.youtube.com/watch?v=8l9urfLeT4k
 
 
 
 

 






Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen