Inzwischen sind eine (Auto-)Biografie von ihr/über sie und die DVD "Veruschka - Inszenierung meines Körpers" (2011) erschienen:
Zum Weiterlesen hier klicken:
„Am Anfang war das Paradies, das Zauberschloss Steinort. Dann kam das Fegefeuer, der Krieg; es kam die Hölle des 20. Juli 1944 und jene andere Hölle, der Zusammenbruch ganz Deutschlands. Und aus all den Trümmern steigt, größer und immer größer werdend, dieses erstaunliche Mädchen auf, die einstige kleine Vera von fünf Jahren mit dem Engelsgesicht, die sie gewesen, als ihr Vater gehenkt worden war, und allmählich wurde sie Veruschka, und die größten Bildmagazine der Welt reißen sich um ihren überlangen, lianenhaften Körper, ihr rätselvolles Gesicht mit dem kahl-androgynen Kopf, ihre kunstvoll überzüchtete Erotik…“
Michel Tournier, Die Schlüssel und
das Schloss, München 1979
G.s Freundin B. erzählte uns von ihrem Kontakt zu Vera von Lehndorff, die nachdem
sie die USA im Jahr 2006 verlassen hatte, zum ersten Mal an ihren Geburtsort zurückgekehrt
ist. Sie hatte das Schloss Steinort seit mehr als sechzig Jahren nicht gesehen
und wollte sich nun im Rahmen des Förderkreises für eine gedächtnispolitische deutsch-polnische
Nutzung einsetzen. Mit Hilfe einiger Zeitungsberichte und von Google habe ich
mir daraufhin Veruschkas Geschichte zusammengesetzt. Sie fasziniert mich so,
dass ich einen Artikel darüber schreiben möchte, für den diese Blog-Posts eine
Vorübung sein sollen. Das Ganze geschieht also in Portiönchen zur Formulierung
der Teilaspekte, so weit ich jeweils gerade damit komme.
Die 1939 geborene Vera von Lehndorff ist ein Heimkind und eines der europäischen
Kriegskinder, deren Trauma für ihr gesamtes Leben mitbestimmend wurde. Zur
Traumatisierung der breiteren Gruppe der europäischen Kriegskinder, also in
etwa der Geburtenjahrgänge 1930-1945, stand vor ein paar Jahren etwas im
Spiegel (Nr. 9/2009). In den letzten fünfzehn Jahren hat die Thematik auch in
Film, Fernsehen und Literatur Gestaltung gefunden.
Winfried Sebald zum Beispiel beschreibt in seinem Roman Austerlitz (2001) die Identitätssuche
eines Mannes, der als Kind kurz vor Kriegsbeginn mit den Kindertransporten aus
Prag nach England gebracht wurde, Adoptiveltern erhielt und mit neuem Namen als
Engländer aufwuchs. Es ist ein Buch, das eine besondere Sprache findet über
Identität und Geschichte, Traumatisierung und Erinnerung sowie die Art und
Funktion der menschlichen Wahrnehmung. Für mich handelt es sich um einen der
intensivsten und besten Romane der deutschen Nachkriegsliteratur. Sebalds Roman
wird international auch von Historikern rezipiert, die sich mit Geschichte und
Gedächtnis, der Verarbeitung des Holocaust und theoretischer Geschichte
beschäftigen, und als alternative Form der Geschichtsschreibung gewürdigt.
Jacques Austerlitz, die Hauptfigur, reist auf der Suche nach seiner Herkunft
und Identität mit Erinnerungsfetzen im Kopf durch die europäischen Städte. Vor
allem bestimmte architektonische und ornamentale Muster erwecken bei ihm
Assoziationen zu seiner Kindheit. Er meidet dabei Deutschland wie das schwarze
Loch der Geschichte, in dessen Sog er sofort vernichtet würde.
Die Verbreiterung und Enttabuisierung der internationalen Opferdiskurse in den letzten 20 Jahren haben auch dieser Gruppe und eben auch den deutschen ehemaligen Kriegskindern die Möglichkeit und den Mut zur Artikulation gegeben. Viele Internetseiten geben Aufschluss darüber. Vera von Lehndorffs Fall hat besondere Begleitumstände und ist dadurch sowohl von besonderer Härte als auch von einer makabren Exotik und Erotik. Das gilt für die Ursachen wie auch für Veruschkas persönliche Verarbeitung ihrer Traumatisierung. Ich beschäftige mich seit Jahren mit Body History, und dies ist eine der merkwürdigsten deutschen Körpergeschichten des 20. Jahrhunderts.
Vera wird 1960 in Florenz von dem Fotographen Ulo Mulas angesprochen und
als Model „entdeckt“ (hier würde auch schon das Verb „entblößt“ passen). Kurz
vorher (1959) ist in den USA die Puppe „Barbie“ auf den Markt gebracht worden.
Wenn es auch immer heißt, dass Barbies Körpermaße biologisch unmöglich seien:
Vera kommt ihnen nahe, sie ist 184 cm lang, dünn, ohne knochig oder anorektisch
zu wirken und hat Beine, vor denen Barbie in die Knie gehen müsste. Sie geht
1961 nach New York, unterwirft sich den professionellen und privaten Zwängen
der Fotografen und der Modewelt und wird innerhalb weniger Jahre zum Supermodel
der führenden amerikanischen und europäischen Modezeitschriften. Ihr Konzept
ist am Anfang die Nachahmung: „Ich machte meistens irgendwelche anderen Stars
nach, die ich in den Zeitschriften gesehen hatte, z.B. Ursula Andress. Ich
spielte Damen aus der gehobenen Gesellschaft. Ich konnte machen, was ich
wollte, ich wurde immer irgend jemand anders.“
Ihre deutsche und sehr spezielle Vergangenheit ist an diesem Ort und in
dieser Zeit uninteressant; zudem lässt Vera die Erinnerung daran in der neuen
Glamourwelt selbst nicht zu. Höchstens ihr Adelstitel hat Schlagzeilenwert: „Die
nackte Gräfin“, das klingt natürlich gut. Und ein neuer Name muss her:
Veruschka, die aus einem geheimnisvollen Grenzgebiet zwischen Preußen und
Russland kommt, eine Art transsylvanische Adelige. Sie verdient zeitweise
10.000 Dollar am Tag. Die stets sich wiederholende Leere der reinen Nachahmung
erzeugt bei ihr allmählich ein korrespondierendes Leeregefühl in ihren eigenen
Identität, das in eine Flucht vor sich selbst und damit in eine psychische Krise
mündet. Die Prädisposition durch ihre Kriegs- und Nachkriegskindheit, auf die
ich später noch eingehen werde, muss hierbei auch eine Rolle gespielt haben. Der
Zeitgeist der Sechziger ermöglicht ihr, diese Flucht als Spiel zu inszenieren: „Mitte
der sechziger Jahre habe ich dann angefangen, Farben zu benutzen, um mir selbst
(mit meinen vielen menschenähnlichen Gesichtern) für eine Weile zu entgehen.
Ich verwandelte meinen Kopf in Tierköpfe und Steine, bemalte ihn und beklebte
mein Gesicht mit Vogelfedern und Fellen. Dies alles war in den sechziger Jahren
möglich, sich der Mode zu bedienen, um auch seine eigenen Spiele zu betreiben.“
(Die Häutungen der Veruschka, ZEITmagazin 2008)
Die Wahrnehmung von Veruschka bei deutschen Kritikern und in der deutschen
Öffentlichkeit ist bis heute durch ihre Karriere als Supermodel in den
Sechzigern und damit mit dem öffentlichen Image eines Models als Objekt der
Modeindustrie bestimmt, während sie von Anfang an als Künstlerin tätig gewesen
ist und sich in keiner Phase ihrer Karriere als Objekt des Objektivs hat
instrumentalisieren lassen: auch als Model hatte sie ein Modell ihres
Objektseins im Kopf. Sie liess sich nicht einfach fotografieren, sie steckte im
Objektiv und bestimmte das Bild.
In den siebziger Jahren jedoch „wurden die Spielzeuge weggenommen“.
Veruschkas Spiel hatte aber auch einen bitterernsten Hintergrund und war ein
zutiefst existentielles Bedürfnis. Das zeigt ihre Reaktion: Sie entzieht sich 1975
den neuen restriktiven Regeln bei der führenden Modezeitschrift VOGUE, lässt
sich aus dem Markt fallen und beginnt mit eigenen, auf ihre Person
zugeschnittenen und angewandten Konzepten. Zusammen mit dem Maler Holger
Trülzsch experimentiert sie mit dem damals noch neuen Genre der Körpermalerei
und präsentiert 1978 das innovative Subgenre der Mimikry Dress Art, das heißt, sie lässt ihren nackten Körper
täuschend echt mit Kleidungsstücken und Accessoires bemalen. Das ZEITmagazin
hat damals einen Bericht hierzu veröffentlicht.
„Indem Veruschka von Lehndorff ihren Körper schminkt und ihn von Holger
Trülzsch bemalen und fotografieren lässt, kommentiert sie ihr Vorleben als
wandlungsfähige Bewohnerin europäischer und amerikanischer Modejournale. Sie
kommentiert ihren eigenen Mythos und gibt ihn preis.“
(Zeit online Die
Häutungen der Veruschka)
Sie macht ihre Art des öffentlichen Verschwindens, der verbergenden Entblößung, der mimetischen Transfiguration zu ihrem neuen künstlerischen und selbsttherapeutischen Thema. Ihr nackter Körper wird zur Leinwand, zur Projektionsfläche ihres traumatischen Wunsches zu verschwinden. Gleichzeitig weist sie damit auf sich hin: seht her, ich bin da und bin es auch nicht, will es nicht sein. Ihr Verfahren ist verblüffend: es stellt eine schöne und widerspruchsvolle Verschmelzung der dramatischen Nachahmungskunst (Mimesis) mit dem Grundgedanken des Brechtschen Epischen Theaters zu dem neuen ästhetischen Phänomen der demonstrativen Mimese dar. Dabei verfährt sie unbewusst (?) beinahe lehrbuchartig nach der zoologischen Typologie der Mimese.
(Fortsetzung folgt)
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