Ich glaub mich tritt ein Pferd: Polen (1)
Hier noch einmal meine
Polen-Reihe aus dem alten Blog im Januar 2009: Viele, viele positive Eindrücke,
viele deutsche und deutsch-polnische Gespräche auch mit der Art von Humor und
Lachen, die ich in den Niederlanden so vermisse.
Der einzige negative Eindruck meiner Reise ist noch auf meiner rechten Hand sichtbar. Bei einer wunderschönen Pferdeschlittenfahrt geschah das Undenkbare: das Pferd direkt vor mir schlug aus und traf meine Hand. Ich hatte dieses Pferd vorher bereits von hinten fotografiert. Vielleicht lag’s daran. Und es hieß Diana und war etwas wild. Vielleicht sah sie in mir eine willkommene Beute. Dafür bin ich ihr noch gut entkommen, nur eine Prellung…
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Polen (1)
Der einzige negative Eindruck meiner Reise ist noch auf meiner rechten Hand sichtbar. Bei einer wunderschönen Pferdeschlittenfahrt geschah das Undenkbare: das Pferd direkt vor mir schlug aus und traf meine Hand. Ich hatte dieses Pferd vorher bereits von hinten fotografiert. Vielleicht lag’s daran. Und es hieß Diana und war etwas wild. Vielleicht sah sie in mir eine willkommene Beute. Dafür bin ich ihr noch gut entkommen, nur eine Prellung…
Diana (rechts) |
Polen (1)
Ich wollte noch von meiner Polenreise berichten:
G. hatte im September ihre ehemalige Schulfreundin B.
wiedergetroffen, die in Masuren im ehemaligen Ostpreußen Initiativen zur
deutsch-polnischen Verständigung unterstützt. B. schlug uns vor, Silvester
auf einer Burg in Reszel zu verbringen (das ist etwa 40 km südlich von
Kaliningrad). Ihre Mutter ist in Allenstein geboren. Nach einem – auch politisch - abenteuerlichen Leben mit vielen
Ortswechseln hat B. seit einigen Jahren in Masuren die Erfahrung der Ruhe
gemacht und dass sie „dahin gehört“ und Schutz und Kraft aus dieser Landschaft
erfährt.
Ich wäre nicht ohne weiteres darauf gekommen, nach Ostpreußen zu fahren, aber die Idee und einige Begleitumstände schienen mir exotisch genug, es dann doch zu tun. Wir waren eine kleine Gruppe, zu der auch zwei ältere Damen aus B.s Verwandtschaft gehörten, die dort geboren waren und mit der Fluchtwelle von 1944/45 vertrieben wurden. So gibt es dort heute viel Ursprungstourismus von Deutschen. Und es gibt auch Versuche von Deutschen, sich dort wieder einzukaufen, was aber offiziell gar nicht geht. Polen hat sich mit dem Beitritt zur EU hier aus guten Gründen eine vorläufige Kaufsperre ausbedungen. Dennoch ist es einigen Deutschen gelungen, mit geschickten juristischen Konstruktionen zu Hauseigentum zu kommen. Die alte Bischofsburg, in der wir wohnten, gehört einem Düsseldorfer Manager, der dort auf seine Weise zur polnisch-deutschen Verständigung beiträgt: Er hat in der Burg ein modernes Hotel mit westlichem Komfort eingerichtet und sie zu einemTreffpunkt polnischer Künstler und Intellektueller gemacht, mit politisch korrekten deutschen Einsprengseln. Eine deutsch-polnische Silvesterparty mit ca. 80 flotten Leuten aus Allenstein und Warschau, einem Riesenessen und viel Wodka hat uns begeistert und am Ende auch etwas (?) benebelt den Jahreswechsel erleben lassen.
Die Burg in Reszel |
Polen (2)
Bevor ich zu dem in meinem letzten Beitrag
angekündigten Thema mit eher überraschenden Aspekten komme, hier noch ein paar
weitere Eindrücke meiner Reise nach Polen. Auf einem unserer Ausflüge von der
Burg in Reszel aus kamen wir – für mich ganz überraschend – mit unserem VW-Bus
durch den Wald, in dem die Bunker der Wolfsschanze liegen. Ich hatte mir für
diese Reise vorgenommen, genau das eben nicht einzuplanen, sondern ganz
entspannt die Schönheit der Landschaft im Schnee zu genießen, einen Eindruck
vom heutigen Polen zu gewinnen und Kontakte zu jüngeren Polen zu haben, die
seit dem Beitritt zur EU endlich die Gelegenheit haben, ein selbstbestimmtes
Leben zu führen und einen, wenn auch bescheidenen, Wohlstand zu erlangen. Das
hatte ich bereits bei einem mehrtägigen Aufenthalt in Krakau vor einigen Jahren
erfahren, wo ich von der zeitgemäßen ‚Europeanness‘ der jungen Leute sehr
beeindruckt war. Krakau gehört allerdings zu den wenigen wirklich blühenden
Landschaften Polens.
Am zugefrorenen See |
Der Nordosten, das ehemalige Ostpreußen, braucht
dagegen Touristen, ist aber diesbezüglich noch wenig entwickelt. Neben einem
katholischen Kloster im regional untypischen barocken Stil, das Tausende
einheimische Pilger anzieht, ist die Wolfsschanze eine Hauptattraktion, die
auch ein internationales Publikum anlockt, natürlich auch viele Busladungen aus
Deutschland. Irgendwann werde ich dort einmal eine Führung (mit einem
polnischen Führer) mitmachen, jetzt war ich eher erschrocken und dann aber auch
fasziniert, als direkt im Wald an der Straße entlang einige Bunker zu sehen
waren. Und dann habe ich auch, halb gegen meinen Willen, aus dem Auto heraus
ein Foto gemacht, das ich hier anfüge.
Zurück in Groningen hatte ich in meiner ersten Sprechstunde des neuen Jahres eine Studentin, die ihre Examensarbeit über die verschiedenen Verfilmungen des Attentats vom 20. Juli 1944 schreiben möchte, dies auch im Zusammenhang der verschiedenen Phasen gesellschaftlicher Akzeptanz dieses Attentats. Direkter Anlass war natürlich der neue Film ‚Valkyrie‘ (Operation Walküre) mit Tom Cruise. Das ist eine der zahllosen Situationen, in denen ich in meinem Arbeitsleben immer wieder mit der Nazizeit konfrontiert werde. So werde ich auf Wunsch einer Studentenvereinigung im Februar einen Vortrag über Propagandafilme im Dritten Reich halten – Leni Riefenstahls Filme sind fester Bestandteil eines Seminar, das ich seit Jahren gebe - und so habe ich schon oft vor jungen und alten Niederländern (Seniorenuniversität) über Hitler gesprochen und Filme wie den ‚Untergang‘ eingeleitet. Diese Woche läuft ‚Valkyrie‘ an und ich warte auf die erste Mail mit einer Einladung.
Meine Entscheidung für den weißen Schnee und gegen
die schwarzen Bunker war natürlich auch ein Vermeidungsverhalten. Dass das
nicht funktioniert, hat mir auch unsere Rückfahrt bewiesen. Wir hatten nur
Fahrkarten für die längere Route über Danzig bekommen, was natürlich auch
wieder spannend war: einfach mal mit dem Zug durch diese Stadt zu fahren und zu
gucken. Kurz vor Danzig kommt man durch Marienburg; mit dem Ort habe ich nichts
verbunden. Vom Zug aus hat man ein guten Blick auf die riesige mittelalterliche
Ordensburg:
Wie schon bei unserem kurzen Aufenthalt in Allenstein hatte ich den Eindruck sehr sorgfältiger Restauration und Unterhaltung historischer Bauten. Wieder zuhause lese ich im Spiegel dieser Woche von der Entdeckung eines Massengrabes direkt im Windschatten dieser Burg: 1800 Überreste nackt begrabener Körper, zum Teil mit Einschusslöchern. Diese wahrscheinlich deutschen Opfer des Kriegsendes 1944/45 sind allerdings keinen Ereignissen direkt zuzuordnen. Vergangenes Grauen ohne konkrete Zuordnung: diese Landschaft ist voll davon und man kann ihm nicht entkommen. Im Spiegel steht das Foto vom Kriegsende, das die Burg in zerstörtem Zustand zeigt. In diesen Zusammenhang gehören die nun gefundenen Leichenreste.
Wie schon bei unserem kurzen Aufenthalt in Allenstein hatte ich den Eindruck sehr sorgfältiger Restauration und Unterhaltung historischer Bauten. Wieder zuhause lese ich im Spiegel dieser Woche von der Entdeckung eines Massengrabes direkt im Windschatten dieser Burg: 1800 Überreste nackt begrabener Körper, zum Teil mit Einschusslöchern. Diese wahrscheinlich deutschen Opfer des Kriegsendes 1944/45 sind allerdings keinen Ereignissen direkt zuzuordnen. Vergangenes Grauen ohne konkrete Zuordnung: diese Landschaft ist voll davon und man kann ihm nicht entkommen. Im Spiegel steht das Foto vom Kriegsende, das die Burg in zerstörtem Zustand zeigt. In diesen Zusammenhang gehören die nun gefundenen Leichenreste.
Der niederländische Künstler und Schriftsteller
Armando spricht in vergleichbaren Zusammenhängen von ‚schuldiger Landschaft‘
und hat auch Bilder mit diesem Titel gemalt.
Armando hat auch eine Zeit lang in Berlin gelebt
und - wie Cees Nooteboom in seinem Roman ‘ Allerseelen’ - lange
Stadtwanderungen unternommen und seine Wahrnehmungen in ganz kurze unscheinbare
Texte gefasst. Aber gerade die haben es in sich.
Polen (3)
Als wir an den Bunkern der Wolfsschanze
vorbeifuhren, waren wir auf dem Weg nach Steinort. Der kleine Ort und das
gleichnamige Schloss liegen 16 Kilometer von der Wolfsschanze entfernt. Das
Gebäude steht seit langer Zeit leer und verfällt zusehends. Es gehört zwar seit
ein paar Jahren irgendeinem westlichen Investor, der ist aber vor allem an dem
ausgedehnten Grundbesitz und an den touristischen Möglichkeiten in der
masurischen Seenlandschaft interessiert
und nicht an der kostspieligen Erhaltung dieses Barockschlosses aus dem
17. Jahrhundert.
G.s Schulfreundin B. hat hier ihre
Restlebensaufgabe entdeckt: Sie will Steinort retten. Das klingt etwas
pathetisch mit zynischem Unterklang von meiner Seite, aber man muss es – so
glaube ich jedenfalls - akzeptieren: Sie hat in der Landschaft ihrer Mutter
eine Quelle für Sinn, Kraft, Ruhe und Identität gefunden. Mit Steinort selbst
hat das nichts zu tun: Das Schloss ist mehr ein Symbol, in dem sich kollektive
Erinnerungen und gegenwärtige Möglichkeiten verbinden. Sie ist schon einige
Jahre damit beschäftigt, durchaus realistisch: Sie packt es gut an und weiß,
dass eine allein so etwas nicht schaffen kann. Und sie weiß auch, dass dies
eine polnische Angelegenheit bleiben muss, sei es mit deutsch-polnischen
Einsprengseln. Gerade hat es eine entsprechende Konferenz in Allenstein
gegeben, mit Beteiligung von polnischen Ministerialbeamten. Man erwägt eine
Enteignung des touristischen Investors.
Schloss Steinort |
Am Schloss Steinort hängen mehr als dreihundert
Jahre preußische Tradition, Kultur, Leben, Arbeit und das schreckliche Ende.
Wer sich mit dieser Geschichte ein wenig beschäftigt, entdeckt mehr die
positiven als die negativen Konnotationen des Preußentums. Das Geschlecht der
Grafen von Lehndorff, das mit diesem Haus verbunden war, zeichnete sich,
jedenfalls in den letzten Generationen und soweit ich es übersehe, durch die
gelebte Verpflichtung von Herrschaft gegenüber den Untergebenen und Abhängigen
aus. Ich habe mich, wie viele meiner Generation, erst spät mit diesen Dingen
beschäftigt und manches relativieren müssen, was ich in den sechziger bis
achtziger Jahren als historische Wahrheit und Konsequenz der
Nazierfahrung denken zu müssen geglaubt hatte.
B. hat einen Verein der Freunde Steinorts
gegründet und versucht, zusammen mit polnischen Vereinen und Institutionen,
eine neue Bestimmung für das Schloss zu finden, etwa in Richtung
internationales Tagungszentrum oder als Gedenkort mit musealen Anbindungen in
der Umgebung.
Nach meiner anfänglichen Skepsis habe ich, wie ihr
merkt, inzwischen viele Dinge erfahren, gelesen und nun auch gesehen und von
Deutschen und Polen gehört, die mich nachdenklich gemacht und in diese Sache
hineingezogen haben. Ich bewahre weiterhin den Abstand, den ich für
angemessen halte, denn ein versunkenes Preußentum fühle ich nun weiß Gott nicht
in mir. Aber ich habe in den letzten Jahren so viel mit dem Komplex „Geschichte
+ Erinnerung + Gedenken + Mahnung + Täter + Opfer“ zu tun gehabt, dass ich bei
näherem Hinsehen und vor allem im Hinblick auf die dramatischen Ereignisse an
diesem Ort im Juli 1944 und ihren Folgen auch „etwas“ damit machen möchte. Was
das ist, wird euch in mehreren Beziehungen überraschen und verblüffen.
Polen (4)
Das Herrenhaus Steinort (heute: Sztynort) war seit
seiner Gründung im 17. Jahrhundert im Besitz der Familie der Grafen von
Lehndorff-Steinort. Der letzte in dieser Reihe war Graf Heinrich Ahasverus von
Lehndorff. Er hatte eine Frau und vier Töchter. Lehndorff gehörte zum Kreis des
20. Juli 1944 und wurde einen Tag nach dem Attentat auf Hitler verhaftet. Er
machte einen Fluchtversuch durch den Park auf der Rückseite des Schlosses,
kehrte aber zurück, da er um seine Familie fürchtete. Am 3. September 1944
wurde er in Plötzensee an einer Klaviersaite erhängt.
Seine Familie war wie alle Angehörigen des Kreises
um Stauffenberg in Sippenhaft genommen worden. Die Töchter wurden von der
Mutter getrennt und kamen in ein Kinderheim (aus dem sie Marion Gräfin Dönhoff,
eine Cousine Heinrichs, später herausholte).
Eine dieser Töchter war Vera, 1939 geboren, zum
Zeitpunkt des Geschehens also gerade mal fünf Jahre alt. Leute meiner Generation kennen Vera unter dem Namen Veruschka von Lehndorff oder
einfach als Veruschka, das amerikanische Supermodel der sechziger Jahre. Und
wenn euch der Name nichts sagt, dann kennt ihr sie doch von der berühmten Szene
aus dem Film „Blow up“ von Michelangelo Antonioni aus dem Jahre 1966: David
Hemmings tritt als Fotograf auf und fotografiert das Model Veruschka in einer
vierminütigen Szene, in der der Akt des Fotografierens als Analogie zum
Sexualakt inszeniert wird. Ihr könnt sie euch hier anschauen:
http://www.youtube.com/watch?v=wygqlfUoJEs
http://www.youtube.com/watch?v=wygqlfUoJEs
„Blow up“ wurde damals von vielen als rätselhaft
empfunden und gab Anlass zu allerlei Diskussionen. Wir waren noch nicht so
geübt in Erkenntniskritik und Wahrnehmungstheorien. Der ganze Film dreht sich
um das Verhältnis von Bild, Wahrnehmung und Realität. Er endet mit einer
weiteren berühmten Szene eines Tennisspiels ohne Ball. David untersucht die
Stelle im Park, an der die Leiche gelegen haben muss, die er fotografiert zu
haben glaubte… Nichts deutet mehr darauf hin. Dann kommt der Jeep mit den
Pantomimen. Ihr erinnert euch:
Ich glaube nicht, dass es uns damals interessiert
hat, welchen biografischen Hintergrund Veruschka hatte, und wenn wir es gewusst
haben oder gewusst hätten, dass sie eine ostpreußische Gräfin von Lehndorff
war, dann hätten wir mit den Achseln gezuckt und gesagt: Na und wenn schon; es
gibt kein Ostpreußen mehr.
Den Zusammenhang ihrer Familiengeschichte mit dem
Attentat vom 20. Juli 1944 habe ich erst vor einigen Monaten erfahren. Sie lebt
übrigens noch. Nachdem sie lange Zeit Deutschland gemieden hat, wohnt sie nun,
70jährig, in Berlin und ist letztes Jahr zum ersten Mal nach Steinort
zurückgekehrt. Ihr Leben war härter, als die Karriere als Supermodel vermuten
lässt. Dazu demnächst mehr.
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