Der große Unterschied zwischen Deutschland und dem „Westen“, also Frankreich, England und den USA, was war er? Im politischen Sinn natürlich die komplizierte Herausbildung der demokratischen Herrschaft. Das geschah in Deutschland „verspätet“. Im ökonomischen und damit im soziologischen Sinn aber war die zweite Hälfte des 19. Jahrhunderts in den Ländern des Westens und in Deutschland gar nicht so verschieden: England lag vorne, was die Industrialisierung betraf, Deutschland holte nach 1871 rasant auf, die USA waren die noch kommende Weltmacht, bezogen aber ihre wachsende weiße Bevölkerung aus all diesen europäischen Staaten.
Im Falle der Beurteilung Wilhelm Buschs geht es jedoch um ein kulturell-ästhetisch-soziologisch verquicktes Thema, nicht um ein politisches. Klotz’ Argumentation führt in die falsche Richtung bzw. sie ist simplifizierend.
Buschs Bildergeschichten sprachen ein sich diversifizierendes und schnell wachsendes Konglomerat bürgerlicher, kleinbürgerlicher und subbürgerlicher Menschen an. Sie illustrierten deren Alltags- und Arbeitswelt, die sich in all diesen Staaten immer mehr vom kulturbestimmenden Bildungs- und Wohlstandsbürgertum (und schon gar von der Aristokratie) unterschied.
Insofern ist Buschs Werk nicht Ausdruck eines großen politischen Unterschieds zwischen Deutschland und dem Westen, sondern im Gegenteil einer deutlichen kulturell-ökonomisch-soziologischen Ähnlichkeit.
England erfuhr in jenen Jahrzehnten mit den Music-Halls einen kulturellen Umschwung „unterhalb“ der aristokratisch-bürgerlichen Hochkultur, Frankreich erlebte eine Diversifizierung seiner elitären Unterhaltungskultur durch die Vaudeville-Theater, und die jungen Vereinigten Staaten fingen sowieso erst an, ein breites Kulturleben zu entwickeln, das genau auf diesen neuen, chaotischen, modernistischen, massenbegeisternden aus Europa herüberwehenden Vaudeville-Elementen aufbaute.
Und Deutschland? Dort war im kulturellen Sinne das landesspezifische Bildungs- und Großbürgertum bestimmend. Eine große Rolle spielte auch der Umstand, dass Deutschland bis 1871 aus einer Vielzahl politisch und kulturell konkurrierender Fürstentümer bestand und über zahllose kulturelle Institutionen verfügte, Theater, Opernhäuser, Orchester, bis heute weckt dieser Reichtum Bewunderung.
Auf dieser Ebene hatte die ordinär-agressiv-lustige Vaudeville-Bewegung des Westens keine großen Chancen in Deutschland. Mehr als ein Jahrhundert lang artikulierte sich eine selbstüberhebende deutsche Arroganz über diese „Kulturlosigkeit“. Sie wusste sich auch in den Nationalsozialismus zu integrieren und ihn zu überleben.
Die Ästhetik des Vaudeville dagegen war aber durchaus auch in den entsprechenden Schichten in Deutschland angekommen, nicht in den Theatern, aber auf Papier, im sich rasch ausweitenden Kolportagebuchhandel. Ihr beliebtester Repräsentant war Wihelm Busch mit seinen Bildergeschichten! Mit Max und Moritz, Fipps, der Affe, Hans Huckebein, der Unglücksrabe und später mit dem gewaltigen Erfolg des Sammelbandes „HumoristischerHausschatz“.
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