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Sonntag, 6. Oktober 2024

Wilhelm Busch und Marie Anderson (5): Maries Bericht vom Treffen mit Busch

Kommen wir nun zur Begegnung vom 6. Oktober 1875. Den nachfolgenden Bericht hat Marie Anderson nach dem Tode von Wilhelm Busch verfasst, also mehr als dreißig Jahre nach ihrer Begegnung mit ihm. Sie muss ihn in Zusammenhang mit der Herausgabe seiner Briefe an sie geschrieben haben (Wilhelm Busch an Maria Anderson. 70 Briefe, Rostock 1908), aber er ist darin nicht in dieser ausführlichen Form aufgenommen. Ich habe den Bericht aus der Biografie von Herbert Günther: „Der Versteckspieler. Die Lebensgeschichte des Wilhelm Busch“, Fellbach 1991, S. 127-129 (ohne Quellenangabe):

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„Also am 6. Oktober 1875 fuhr ich gegen Abend mit der Bahn von Wiesbaden nach Kastel und mit dem Trajektbootchen nach Mainz hinüber, wo ich Busch am Bahnhof treffen sollte. Aber er stand bereits am Ufer, als ich das Schiffchen verließ. „Ei, ich treffe Sie schon hier!“ sagte ich. – „Es gibt keinen Bahnhof in Mainz, nur eine hölzerne Scheune ist da“, erwiderte er. „Ich bin nun im ‚Holländischen Hof‘ abgestiegen; man sagte mir, das sei hier das einzige Hotel, wo es keine Wanzen gibt. – Wenn ich gewusst hätte, dass Wiesbaden so in der Nähe von Mainz liegt, hätte ich Sie wohl besser in Wiesbaden besucht; aber ich fürchtete vorgestellt zu werden.“ (Nun, formelle Vorstellung war auch meine Sache nicht!.

Als wir dann in dem Speisesaal soupieren sollten, sagte er, mit den Augen auf eine Engländerin hinweisend, die steif und still vor einem noch leeren Teller saß: „Sehen Sie, dann sind sie zufrieden, wenn Sie so’n Teller vor sich haben.“

Er hatte Salm bestellt und wies nun auf die in Stücke geschnittenen großen Kartoffeln, mit der Bemerkung: „Das nennt man bei uns Schweinekartoffeln.“

U.a. äußerte er seine Unzufriedenheit, dass sein Büchlein ‚Kritik des Herzens‘ weniger gekauft werde als seine Schriften mit den Karikaturzeichnungen. – Ich fragte, ob das Anfertigen seiner komischen Sachen ihm selbst nicht viel Vergnügen bereite. – „Erst wohl, aber später, wegen der vielen damit verbundenen Arbeit, die Clicheés etc., weniger“, sagte er. Und dann: „Ich könnte mich mehr ausbeuten, aber ich will nicht.“

Weiter sagte er: „Ich werde nie heiraten. Erst musste ich von 400 Gulden im Jahr leben und studieren, und das habe ich auch ohne Schulden zu machen, fertig gebracht. Aber heiraten konnte ich damals nicht, und später, als ich es pekuniär gekonnt hätte, war meine Geliebte gestorben.“

„Bei meiner Schwester habe ich es auch gut“, versetzte er, „Ich wickle manchmal deren Kinder…“.

Er trank an jenem Abend ziemlich viel Wein, blieb jedoch, obwohl sehr gesprächig, stets ernsthaft, ja grübelte über Seelenwanderung und sprach: „Ich möchte wissen, ob ich Sie in einer anderen Existenz noch wiedererkennen würde …“.

Er bemerkte, im Frühjahr melancholisch gestimmt zu sein. Überhaupt war er viel ernsthafter, als man von einem Humoristen erwarten sollte.

Wir sprachen über viel, über vielerlei; - an manches erinnere ich mich nicht mehr: es ist 33 Jahre her.

Inzwischen war es 2 Uhr geworden, und noch immer plauderten wir im Speisesaal …

Als ich am nächsten Morgen in den Saal trat, hatte Busch schon gefrühstückt und eine Zeitung in der Hand. Ich entschuldigte mein spätes Aufstehen, da wir so spät zur Ruhe gegangen waren. – „Ich bin ein Bauer, steh‘ ziemlich früh auf“, sagte er und bemerkte, dass er heiser sei, weil er nachts vergessen hatte, sein Fenster zu schließen. – Dann machte er den Vorschlag, nach dem berühmten Weinort Hochheim zu fahren.

„Gehen Sie mit?“ fragte er.

Als wir dann in einer Droschke über die damalige Schiffsbrücke fuhren, breitete er begeistert die Arme nach dem Rheinstrome aus, mit dem Ausruf: „Oh! Wie schön!“ (Ich fand, dass er äußerlich etwas von einem Seefahrer hatte.) … (Als Hannoveraner prononcierte er stark die Schluss-n’s.)

Wir waren nun in Hochheim und an einer Weinwirtschaft angekommen.

Busch sagte dem Kutscher: „Sie können auch etwas trinken.“ Als wir die Wirtschaft später verließen, bemerkten wir, dass der Mann mehr als wir beide zusammen genossen hatte und dann total betrunken war.


Bildkomposition Marie Anderson/Ausführung ChatGPT

Auf dieser Rückfahrt schlug der Kutscher mit seinen schielenden Augen denn auch stets mit der Peitsche rücklings in den Wagen, so dass wir für unser Augenlicht in Sorge waren! Busch lachte und sagte: „Den Tag vergess ich nie, wenn’s auch nur dieses Kutschers halber wäre.“

Mein fünfjähriges Söhnchen wünschte auf dem Bock zu sitzen, und da die Chaussee holprig und der Kutscher ‚voll‘ war, sagte ich zu Busch: „Mir ist ängstlich, dass das Kind herunterfällt.“ – Busch aber sprach: „Wenn er nicht fallen muss, dann fällt er nicht!“ –

Unter den Kastanienbäumen des Bahnhofsgartens in Kastel verabschiedeten wir uns. Busch fuhr weiter nach Heidelberg, zu seinem Verleger, und ich nach Wiesbaden zurück, und erzählte Multatuli die Begegnung.“

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