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Mittwoch, 9. Oktober 2024

Wilhelm Busch und Marie Anderson (6): Busch und die Frauen

In meinem Blog-Beitrag vom 23. September wird deutlich, wie Marie Anderson kurz nach ihren ersten Briefen an Wilhelm Busch und in Reaktion auf sein Porträtfoto ihre Beziehung zu ihm sah. 

Wir wissen das, weil sie einer engen Freundin in einem Brief darüber berichtet hatte: sie war verliebt, begehrte ihn und wollte was von ihm. Natürlich war sie auf eine persönliche Begegnung aus und ergriff die Gelegenheit, als er mit der Bahn zu seinem Verleger nach Heidelberg fahren wollte. Auch er war dazu bereit; ein kurzer Umweg über den Mainzer Bahnhof bereitete ihm auch keine große Mühe.
 
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Der Bericht, den Marie Anderson 33 Jahre später nach dem Tode Wilhelm Buschs (1908) darüber geschrieben hat (mein Blog-Beitrag vom 6. Oktober), lässt allerdings nichts von den Intentionen und Emotionen erkennen, die sich für sie mit dieser Reise 1875 verbunden hatten. 

Wir wissen aus ihrer Zeit im Umfeld des politisch bedeutsamen Schriftstellers Multatuli, wie intensiv sie in den 1860/70er Jahren im intellektuellen, persönlichen und erotischen Umgang den Kontakt zu Persönlichkeiten des kulturellen und politischen Lebens der Niederlande gesucht, gefunden und Eindruck auf sie gemacht hat. Sie war eine der ersten emanzipierten und feministisch orientierten Frauen der Niederlande, wie Gaia van Bruggen in ihrer demnächst erscheinenden Biografie zeigen wird. 

Nun, am 6. Oktober 1875, sucht sie den persönlichen Kontakt zu Busch. Er weiß von ihr, dass sie ein Kind hat und nicht verheiratet ist. Sie hat eindeutig mehr vor als einen kleinen Kontakt einer Verehrerin zu einem bekannten Schriftsteller. Busch war auch nicht verheiratet (und würde es auch zeitlebens nicht sein).  

Was Marie nicht wissen konnte, ist, dass er nur Frauen in seiner Nähe ertrug, die eine ihm gemäße und ihn bewundernde Mischung aus Nähe und Distanz zu wahren wussten. Erotische oder gar sexuelle Beziehungen gehörten nicht dazu (und würden auch zeitlebens nicht dazugehören). 

Er war asexuell. 

Es kann nicht anders sein, als dass Maries Gefühle, Vorstellungen, Pläne mit Busch an diesem Abend in Mainz in der ein oder anderen Weise zur Sprache und zum Ausdruck gekommen sind, und dass Busch das alles zu viel fand, sich dem entziehen wollte, noch und noch eine Flasche Wein trank, sich gestört fühlte und letztlich völlig verstört war. Weder von seiner noch von ihrer Seite gibt es Zeugnisse darüber, wie diese sich bis zwei Uhr hinziehende Nacht wirklich verlaufen ist. 

Busch fährt am nächsten Tag weiter zu seinem Verleger Otto Bassermann nach Heidelberg. Für unsere Beurteilung der ganzen Angelegenheit haben wir nur diese eine zeitgenössische Bemerkung Bassermanns von der „fürchterlichen Stimmung“, in der Busch bei ihm eingetroffen sei. Auch in der Familie spekulierte man über eine „missglückte Freite oder Brautschau“, wobei die Wortwahl wohl mehr etwas über die Ahnungslosigkeit der Familie aussagt. 

Nach der Rückkehr aus Heidelberg ins heimische Wiedensahl schreibt Busch an den Freund Erich Bachmann: „Von der Bewußten [also Marie Anderson, P.G.] fand ich Bücher und zehn Briefe vor. So geht’s, wenn man vorher nicht genau zusieht. Was nun?“ Er wahrt die Form, aber seine eigenen Briefe werden kürzer, förmlicher, seltener und verstummen schließlich völlig.
 
Wenige Wochen nach dem Treffen äußert er gegenüber einer Vertrauten, die von dem Treffen wusste, verschleiert, aber deutlich: „Die holländischen Bilder hab ich freilich gern, sonst ist mir Holland mehr als gleichgültig, Deutschland ist mir am liebsten – war, ist und wird es sein.“ 

Obwohl, er hat ja mal gesagt: „Ich wollt, ich wär ein Eskimo.“

(Quelle: Gudrun Schury, Ich wollt, ich wär ein Eskimo. Das Leben des Wilhelm Busch, Berlin 2007, 182f.)

Wilhelm Busch, „Ich wollt, ich wär ein Eskimo“
Bildkonzeption P. Groenewold/Ausführung ChatGPT


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