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Samstag, 20. August 2016

Reading Richard Ford (3): „Weltansicht“ oder Dürfen Übersetzer schummeln?

Am Anfang seines Romans „Independence Day“ (1995) beschreibt Richard Ford über fünfzig Seiten hinweg eine Hausbesichtigung, die seine Hauptfigur Frank Bascombe als Makler mit einem Ehepaar aus Vermont durchführt. Es ist einfach fantastisch, wieviel komplexe Americanness der US-Nachkriegsgeneration der Autor ganz nebenbei in seine Schilderung des Besichtungsvorgang einfließen lässt. Ein großes Lesevergnügen! Das geht gleich in den ersten Sätzen los:

My clients, the Markhams, whom I’m meeting at nine-fifteen, are from tiny Island Pond, Vermont, in the far northeast corner, and their dilemma is now the dilemma of many Americans. Sometimes in the indistinct Sixties, each with a then-spouse, they departed unpromising flatlander lives (...) and trailered up to Vermont in search of a sunnier, less predictable Weltansicht. Time and fate soon took their unsurprising courses: spouses wandered off with other people’s spouses; their kids got busily into drugs, got pregnant, got married, then disappeared to California or Canada or Tibet or Wiesbaden, West germany. Joe and Phyllis (das sind die Markhams, P.G.) each floated around uneasily for two or three years in intersecting circles of neighborhood friends and off-again, on-again Weltansichts, taking classes, starting new degrees, trying new mates and eventually giving in te what had been available and obvious all along: true and eyes-open love for each other.

Richard Ford, Independence Day (1995), London 1996, p. 36


Mein Grund, hierüber zu schreiben, ist jedoch nicht der Roman als solcher, sondern das Wort „Weltansicht“, das Ford hier zweimal gebraucht - das zweite Mal in der kuriosen amerikanischen Pluralform „Weltansichts“. Es ist für einen Deutschen sofort verständlich, dass es sich um ein Synonym für „Weltanschauung“ handelt, auch wenn man es – wie ich – noch nie gehört oder gesehen hat. Ich habe nachgegoogelt: das Wort war im 19. Jahrhundert durchaus gebräuchlich. Heute wird es kaum je benutzt, und in den Listen amerikanischer Lehnwörter aus dem Deutschen kommt es, in Gegensatz zu „Weltanschauung“, überhaupt nicht vor. Weiß der Kuckuck, woher Richard Ford es hat.

Ich war neugierig, wie die deutsche Übersetzerin, Fredeke Arnim, damit umgegangen ist, und siehe da: sie hat geschummelt und gekniffen! Im ersten Fall übersetzt sie das Wort fälschlicherweise mit “Weitsicht”, im zweiten Fall lässt sie die Passage “off-again, on-again Weltansichts” einfach ganz aus. Ja, hallo!

Ich will hier gar nicht die Qualität der Übersetzung groß in Zweifel ziehen, sondern nur ein Beispiel für die harte Arbeit des Übersetzens geben. Lehrreich ist auch, es einmal selbst zu versuchen (was ich jetzt nicht tue), und das Original zu lesen und ab und zu mal eine Passage zu vergleichen (was ich auch nicht immer mache).


Bleibt die Frage: Dürfen Übersetzer schummeln?

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