In seinem kleinen Buch “Die helle Kammer. Bemerkungen zur
Photographie“ (La chambre claire, 1980, deutsch Suhrkamp 1985) formuliert
Roland Barthes immer wieder in wunderbarer Klarheit seine Beobachtungen an
Photographien. Ich habe mir ein paar Sätze aufgeschrieben:
Das punctum einer
Photographie, das ist jenes Zufällige an ihr, das mich besticht. (p. 36)
Die PHOTOGRAPHIE berührt sich (wie mir scheint) nicht über
die MALEREI mit der Kunst, sondern über das THEATER. (p. 40)
In der PHOTOGRAPHIE lässt sich nicht leugnen, dass die Sache dagewesen ist. Hier gibt es
eine Verbindung aus zweierlei: aus Realität und Vergangenheit. Und da diese
Einschränkung nur hier existiert, muss man sie als das Wesen, den Sinngehalt (noema) der PHOTOGRAPHIE ansehen. (p. 86)
Was die Natur der PHOTOGRAPHIE begründet, ist die Pose. (p.
88)
Wie man es auch dreht und wendet: die PHOTOGRAPHIE hat etwas
mit Auferstehung zu tun. (p. 92)
Im Verlauf des Buches gibt Barthes Beispiele anhand von 15
großen Photographen. Eher nebenbei taucht dabei der Name des deutschen
Photographen August Sander (1876-1964) auf.
Da ich mich nur sehr wenig mit der Geschichte der
Photographie beschäftigt habe, war Sanders Werk für mich neu, sogar das, was
ihm den Ruf eines der größten Photographen seiner Zeit eingebracht hat, sein
Projekt „Menschen des 20. Jahrhunderts“.
August Sander ist dieses Jahr 50 Jahre tot. Eines seiner am
meisten reproduzierten Bilder ist „Jungbauern im Sonntagsstaat. Westerwald“
(1914). Es war auch das erste von ihm, das ich bewusst gesehen habe, als ich
jetzt bei Amazon die Buchausgabe von „Menschen des 20. Jahrhunderts“ suchte.
August Sander, Drei Jungbauern im Sonntagsstaat, 1914 |
Dieses Foto exemplifiziert für mich alle fünf Sätze, die ich
oben von Roland Barthes zitiert habe, als Kriterien für ein meisterhaftes und
den Betrachter faszinierendes Foto.
Und dann wartete noch eine Überraschung auf
mich: Mein Lieblingsautor unter den lebenden Amerikanern, Richard Powers, war
von diesem Foto derart gebannt, dass er seinen ersten, von mir bisher nicht
beachteten Roman ganz der Magie dieses Bildes gewidmet hat: „Three Farmers on
their Way to a Dance“ (1985, deutsch 2011: „Drei Bauern auf dem Weg zum Tanz“).
Auszug aus dem Wikipedia-Artikel:
„Der Roman beginnt mit einem Ich-Erzähler, der nur als P.
bekannt ist. Auf der Durchreise besucht er in Detroit ein Kunstmuseum und sieht
dort ein Foto von August Sander aus dem Jahr 1914, das drei Jungbauern aus dem
Westerwald auf dem Weg zu einer Tanzveranstaltung zeigt. Der Erzähler ist von
dem Bild stark beeindruckt und beginnt in der Folgezeit mit Recherchen zu
Sander und seinem Werk. Allmählich entwickelt er eine Besessenheit und zieht
sich mehr und mehr aus seinem Alltagsleben zurück, um sich nur noch mit dem
Foto und den zeitgeschichtlichen Hintergründen zu beschäftigen.“
Ich kann die Besessenheit verstehen, diesem Foto und den darauf Abgebildeten auf die Spur zu kommen, auch wenn ich mich
jetzt darauf beschränken werde, Powers´ Roman zu lesen.
Serendipität: Ich habe
ihr Lob schon in meiner kleinen Theorie des Blogs gesungen.
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