Cookie

Mittwoch, 15. Oktober 2014

Rainer Merkels großartiger Roman „Bo“ – Nu ook in het Nederlands


Heute erscheint die niederländische Ausgabe des Romans „Bo“ (2013) von Rainer Merkel. „Bo“ ist einer der Romane, die als „Jugendbuch“ annonciert werden, aber mit diesem Label die verdiente Aufmerksamkeit bei „Erwachsenen“ verlieren könnten. Es ist ein tolles, spannendes, sehr dickes (fast 700 Seiten!) und poetologisch hochinteressantes Buch.


Ich bin nicht einer jener Didaktiker, die fröhlich behaupten, zwischen Jugendromanen und Erwachsenenbelletristik gebe es prinzipiell keinen Unterschied. Doch, den gibt es, wenn man die Bücher mal nach sprachlicher Komplexität, Kunstcharakter oder penetrantem moralistischen und pädagogischen Impetus sortiert. Den deutschen Jugendbuchpreis gewinnen fast immer die moralinsauren Bücher, denen beim Aufschlagen sofort der Geruch von Didaktik entströmt.


In all den Jahren, die ich mich mit Literaturdidaktik beschäftigt habe, sind mir nur selten deutsche Romane begegnet, die bei hohem ästhetischem Anspruch dennoch gleichermaßen für Jugendliche und Erwachsene zugänglich sind. Natürlich ist „Tschick“ von Wolfgang Herrndorf solch ein Beispiel. Und „Bo“ ist es auch.


Prompt wird „Bo“ auf Schritt und Tritt von den Rezensenten mit „Tschick“ verglichen, ja als Mitreiter auf der Tschick-Welle präsentiert. Dabei handelt es sich um ein völlig eigenständiges Romanprojekt, das „Tschick“ in einigen Beziehungen sogar überlegen ist.


Der Plot von „Bo“ in Kurzform: Der dreizehnjährige Benjamin fliegt ohne Begleitung ins afrikanische Liberia, um seinen Vater zu besuchen, der dort in der Entwicklungshilfe arbeitet. Der Vater holt ihn aber nicht wie verabredet nachts am Flughafen in Monrovia ab. Er scheint spurlos verschwunden zu sein, und Benjamin erlebt in den folgenden Tagen allerlei Abenteuer, lernt viele freundliche und einige böswillige Menschen kennen und kommt roadmovieartig in Monrovia und Umgebung herum. Bo, ein blinder liberianischer Junge, und Brilliant, ein amerikanisch-liberianisches Mädchen, werden seine Freunde bei der Suche nach – nein, nicht seinem Vater – sondern einer geheimnisvollen, aus einem psychiatrischen Krankenhaus weggelaufenen jungen Frau.


Das Leben in Liberia, die Gesellschaft und die Geschichte dieses zu den ärmsten Ländern der Welt gehörenden Staates lernt der Leser aus den unterschiedlichsten Perspektiven kennen, unter anderen eben aus der Perspektive der „Blindheit“ von Bo: ein gelungener erzähltechnisch-ästhetischer Trick des Autors. Die Einblicke, die der Leser auf diese Weise erhält, sind an keiner Stelle belehrend oder moralisierend; es ist ein Reigen von Szenen und Bildern, die langsam, siebenhundert unterhaltsame Seiten lang, ein Bild des Ganzen ergeben. Rainer Merkel hat in einem Krankenhaus in Monrovia gearbeitet und weiß, wovon er schreibt.


„Bo“ war für den deutschen Jugendromanpreis 2014 nominiert; erhalten hat ihn letzte Woche ein anderer Roman: „Wie ein unsichtbares Band“ von der argentinischen Autorin Inès Garland. Wenn ich die Rezensionen so lese, will mir scheinen, „Bo“ wäre die bessere Wahl gewesen.


Zur Ergänzung hier die Rezensionen von „Bo“ in der „Zeit“ und in der „Welt“.


Rainer Merkel, „Bo“, Fischer Verlag, 2013, 688 Seiten, 22,99 Euro


Niederländische Übersetzung: „Bo“, Wereldbibliotheek 2014, 560 pagina´s, übersetzt von Martin Michael Driessen, 22,95 Euro


Nachbemerkung: Das hat man auch nicht oft: die niederländische Ausgabe ist 4 Cent billiger als die deutsche. Sie zählt allerdings (jedenfalls in der Verlagsankündigung) auch 128 Seiten weniger. Da hoffen wir mal, dass das nicht auf stillschweigenden Kürzungen beruht!

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen