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Samstag, 21. September 2013

Mein Lieblingsgedicht von Gottfried August Bürger

Mein Lieblingsgedicht von Gottfried August Bürger ist ein ganz kleines, einfaches Liedchen, in dem sich viele Worte und Zeilen wiederholen. Er zeigt darin das Spannungsfeld zwischen der Schönheit des weiblichen Körpers, seiner Anziehungskraft für die Männer, dem weiblichen Bewusstsein dieser Qualitäten und der diesbezüglichen gesellschaftlichen (Doppel-)Moral.

In gewisser Weise ist dies ein frühes “Ding-Gedicht”, und das Ding, um das es hier geht, ist ein Schleier. (Das sollte man nicht oberflächlich nehmen: Sieben Jahre nach diesem Gedicht promovierte Bürger mit einer Arbeit “Über die Wirkung des Schleiers in der darstellenden Kunst” zum Magister.) Die Doppelfunktion des Ver- und Enthüllens jedenfalls ist hier mit einer gewissen Schamlosigkeit herausgearbeitet:

Spinnerlied

Hurre, hurre, hurre!
Schnurre, schnurre, schnurre!
Trille, Rädchen, lang und fein,
Trille fein das Fädelein
Mir zum Busenschleier.

Hurre, hurre, hurre!
Schnurre, schnurre, schnurre!
Weber, webe zart und fein,
Webe fein das Schleierlein
Mir zur Kirmesfeier.

Hurre, hurre, hurre!
Schnurre, schnurre, schnurre!
In und außen blank und rein
Muß des Mädchens Busen sein,
Wohl deckt ihn der Schleier.

Hurre, hurre, hurre!
Schnurre, schnurre, schnurre!
In und außen blank und rein
Fleißig, fromm und sittsam sein,
Locket wackre Freier.

(1776)

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