Wir hatten keine Ahnung, welche Überraschung uns bevorstand,
als wir auf der Suche nach der Moschee mit dem seit 1866 bestehenden alten türkischen Friedhof am Columbiadamm in Berlin-Neukölln einen weiteren, weitläufigen Friedhof entdeckten, der eine äußerst merkwürdige Mischung aus alten und neuen,
deutschen und türkischen Gräbern und deutscher militärischer Erinnerungskultur
aufweist.
Neben Soldaten- und Offiziersgräbern aus dem Ersten und
Zweiten Weltkrieg stießen wir in dem parkartigen Gelände auf ein gutes Dutzend
großer, figurativ ausgeschmückter Denkmäler, die an die Gefallenen jedes
einzelnen Krieges erinnern, den Deutschland im 19. und 20. Jahrhundert geführt
hat. Außerdem gab es dort in immer neuen, versteckten, teils von Mauern
abgetrennten Feldern eine Reihe kleinerer Denkmäler, die u. a. den Gefallenen
bestimmter kaiserlicher Regimenter, den Toten der Schutztruppe in
Deutsch-Südwestafrika und den Toten eines 1913 abgestürzten militärischen
Luftschiffes gewidmet waren. Auch der Gegner wird gedacht: So steht neben einem
Denkmal zum deutsch-französischen Krieg 1870/71 eines für die damals in
Berliner Lazaretten gestorbenen französischen Soldaten und Offiziere.
Und in direkter Nachbarschaft zu solchen deutschnationalen
Gebilden im Geschmack vergangener Zeiten lagen, schräg versetzt, Reihen bunter und
grauer, reicher und schlichter türkischer Gräber aus den letzten Jahren, viele
umringt von türkischen Familien, die an diesem Sonntag ihre Toten besuchten.
Teils in abgegrenzten Feldern, teils bunt durcheinander mit Gräbern von
Deutschberlinern, ein multikultureller Friedhof ganz eigener Art. Nicht jeder
Türke wird das mögen. Von den Deutschen ganz zu schweigen. Aber es ist gut,
dass es ihnen zugemutet wird.
Die Stadt- oder Kirchenpolitiker, die dieses Neben- und
Beieinander ermöglicht haben, verdienen dafür einen Kulturpreis, den es
vermutlich gar nicht gibt. Was hätte die Stadt mit diesem ursprünglich als „Neuer
Garnisonfriedhof“ gegründeten militärischen Friedhof tun sollen? Die Gefahr,
dass er zu einem Treffpunkt von Neonazis und Revanchisten werden würde, war
immer anwesend. Es gab und gibt Demonstrationen und Gegendemonstrationen. Die
langsam wachsende Durchmischung alter und neuer deutscher Erinnerungskultur
sowie alter türkischer und neuer deutschtürkischer Gräber ist eine geniale
Lösung für dieses Gelände. Und dies alles ohne Verleugnung oder Entfernung der
militärisch-deutschnationalen Elemente und Inschriften und mit nur minimalen
volkspädagogischen Eingriffen (Hakenkreuze
allerdings wird man hier natürlich nicht finden.)
Viele meiner niederländischen Freunde würden wohl ihre Mühe
haben mit der symbolischen historischen Gewalt, die sich hier manifestiert,
aber es ist deutsche Geschichte, die in einem Rahmen gegenwärtiger Trauer
aufgehoben wird. Mich hat das sehr beeindruckt.
Hier gibt es eine ausführliche Fotodokumentation des militärischen Teils.
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