Und es ging weiter so im Zug nach Bremen und Berlin, die
zweiten und dritten hundert Seiten. In Hamburg hätte ich beinahe verpasst, dass
der ICE auf ein anderes Gleis verlegt worden war. Ein Hochgeschwindigkeitsroman,
der die Zeit stillstehen lässt. “Es ist, als ob du einen ICE nimmst und für
einen Moment neben die Gleise stellst” (108): Was der Protagonist mit diesem
seltsamen, aber ulkigerweise zu meiner Lesesituation passenden Vergleich über
die Musik sagt, gilt auch für den Roman selber, er realisiert sich wie eine
musikalische Komposition entlang eines Zeitpfeils und ist doch als statisch
zeitloses Ganzes vorstellbar. In Berlin taumelte ich seelig in die S-Bahn.
Welch ein schöner Roman! Zwei Freunde, drei Frauen.
Freundschaft, Liebe, Tod und Musik, immer wieder Musik. Meisterhaft erzählte
Musik, Neue Musik, Barjazz und italienische Schnulzen, Dalidas “I found my love
in Portocino”; Berlin Prenzlauer Berg mit Abstechern ins Dahlemer Villenmilieu und,
vor allem, Italien: Genua, Neapel! Ein deutscher Italien-Roman, einer mehr, und
er bedient treffsicher die alte deutsche Sehnsucht.Dazu muss man wissen, dass Monika Zeiner bisher nicht Schriftstellerin war, sondern als Sängerin der Band “marinafon” in Berlin italienische Feel-Good-Musik gemacht hat. Ein großes Publikum hat sie damit nicht gefunden, obwohl die Musik sehr schön ist. Ihre Lesungen – sie hat es immerhin auf die Longlist zum Deutschen Buchpreis geschafft – werden jetzt immer mit Gesangseinlagen garniert. Und so halten wir es bei dieser Präsentation in Café Deutschland auch.
Da setzt sich also eine vierzigjährige Frau hin,
die außer ihrer Dissertation über Melancholie im sizilianischen Mittelalter
noch kein Buch veröffentlicht hat, und schreibt wie eine junge Göttin.
Sie hat eine Vorliebe für kecke Vergleiche, ähnlich wie bei Juli Zeh. Manche machen den Leser etwas fassungslos, aber doch: sie dienen dem
Text:
“Sie saßen um diesen runden Tisch wie die Abdrücke dreier
Amphibien in einem Stein.”(71)
“Lutz Wegener blickte ihn interessiert an, wie man in ein
Terrarium im zoologischen Garten hineinschaut, wo sich bei den Spinnen,
Fröschen und Salamandern eigenartige Dinge ereignen.” (72)
“Es tue ihr leid,
flüsterte sie, dann lächelte sie, ihre Mundwinkel hüpften, wie das Zucken von
Insektenbeinen.” (125)
“Tom .. sah auf den Asphalt hinab, auf dem der frische
Schnee lag wie ein durchsichtiger Damenstrumpf.” (167)
Leider, leider, leider hielten die zweiten dreihundert
Seiten nicht, was die ersten in meinen Sentimentalitätsabgründen so alles
losgemacht hatten. Jedenfalls wollten sich die Gefühlsseligkeiten der Hinfahrt
auf der Rückfahrt nach Groningen nicht wieder einstellen. Ernüchtert musste ich
konstatieren, dass der Roman schlichtweg mindestens 200 Seiten zu dick ist und
seine Perlen schon am Anfang zu freigiebig verstreut hat. Am Ende der Fahrt
litt ich qualvoll unter den Arriva-Ansagen: “Als u met een ov-chipkaart reist,
vergeet dan niet om uit te checken!” Dus heb ik maar uitgecheckt.
Bitte schön: Monika Zeiner!
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