Christian Krachts „Die Toten“ ist ein hochartifizieller
Roman, eigentlich eine Novelle. In ihr verbinden sich Kunst, Politik, Gewalt
und Tod zu einem ungewöhnlichen sprachlichen Kunstwerk, das in der deutschen
Gegenwartsliteratur ohne Vergleich ist.
Bei Novellen denkt der Germanist sofort an das Dingsymbol
(einen leitmotivischen Gegenstand), das in der Literaturwissenschaft damit
verbunden wird. Und ja, wir werden bei Kracht fündig: Seine Hauptfigur, der
Schweizer Regisseur Nägeli, ergeht sich immer wieder in Erinnerungen an die
Kindheit und an den Vater, dessen Tod er erlebt hat. Der Vater benutzte einen
„zartvioletten Bleistift“ (zum ersten Mal auf Seite 40 erwähnt).
Dieser Bleistift kehrt noch zwei Mal wieder. Der Autor
Kracht lässt ihn scheinbar unmotiviert und quasi aus dem Nichts in der Handlung
materialisieren: Nägeli wartet, auf einem Stuhl sitzend, auf seine Audienz beim
Medientycoon Alfred Hugenberg. Ungeduldig „rollt er mit dem Schuh einen am
Boden liegenden, zartvioletten Bleistift (der sich von irgendwoher durch den
Äther dorthin manifestiert hat) hin und her“ (128). Kein Wort mehr, an dieser
Stelle, was den Bleistift betrifft.
Und später noch einmal, Nägeli ist inzwischen in Japan, um
im Auftrag von Hugenberg einen Film zu drehen:
„Er fühlt etwas unter seinem
Schuh, sieht nach unten zum Taxiboden hin und greift tastend danach. Es ist ein
Bleistift, ein hellvioletter, den jemand dort vergessen hat. Er rollt die
klickenden Seiten des achteckigen Tubus in der Hand und schiebt ihn sich in die
Jacketttasche, als könne er den mnemonischen Zusammenhang ahnen und wolle den
Stift nur so lange aufbewahren, bis er darauf komme, was gemeint gewesen ist“
(152).
Das ist schon deutlicher: der Erzähler erinnert den Leser an den
mnemotechnischen (und poetologischen) Zusammenhang des Stiftes. Und dann,
wenige Seiten später, wie hingetupft, die poetische Essenz dieses Buches in
einem vollkommenen Satz zur Zeit der Kirschblüte in Japan (Schönheit und Vergänglichkeit):
Nägeli „hält dann schließlich vor einem fast kahlen Kirschbaum inne, zu dessen zartvioletter (Hervorhebung von mir, P.G.) Blütenkrone er nun
hinauf sieht, die Hände in die Hüften gestemmt.
Ein mechanischer
Vogel aus kunstvoll bemaltem Blech sitzt dort im Baume auf dem Ast, putzt sich
das Federkleid und tiriliert: Fi-di-bus.
Eine Kirschblüte fällt im Sterben, stirbt im Fallen, so ist es vollkommen”
(158f.).