Was unterscheidet Christian Krachts Romane von anderen
Romanen der Gegenwart? Zunächst einmal eine sehr artifizielle Langsätzigkeit im
Geiste Thomas Manns, oft gefüllt mit den zahlreichen Konjunktiven der
indirekten Rede, inhaltlich offen für Ironie und deutliche Urteile des
Erzählers.
Manchmal vollzieht der Autor innerhalb solch eines Satzes einen optischen Zoom auf ein sehr kleines Geschehen, das die beschriebene Szene der handelnden Figuren auf eine beinahe surreale Weise kommentiert. Solche Sätze gewinnen enorm an Aussagekraft und Kuriosität. Wer „Imperium“ gelesen hat, wird sich gewiss an den Satz erinnern, in dem ein Moskito zum Stich in den Nacken des Gouverneurs Hahl anfliegt (Imperium, S. 52f., ich zitiere ihn hier nicht; der Zusammenhang findet sich in meinem Beitrag über „Imperium“).
Manchmal vollzieht der Autor innerhalb solch eines Satzes einen optischen Zoom auf ein sehr kleines Geschehen, das die beschriebene Szene der handelnden Figuren auf eine beinahe surreale Weise kommentiert. Solche Sätze gewinnen enorm an Aussagekraft und Kuriosität. Wer „Imperium“ gelesen hat, wird sich gewiss an den Satz erinnern, in dem ein Moskito zum Stich in den Nacken des Gouverneurs Hahl anfliegt (Imperium, S. 52f., ich zitiere ihn hier nicht; der Zusammenhang findet sich in meinem Beitrag über „Imperium“).
In „Die Toten“ hat zum Beispiel der folgende Satz diese Qualität:
„Ida, das junge deutsche Mädchen, das genauestens hingehört
hatte, wollte bemerken, daß allein
der nanshin-ron – der südliche
Expansionsweg – Japan zum Erfolg führen werde, da riß sie plötzlich, als sei sie durch etwas geblendet
worden, ihre Hände vor das Gesicht, zu spät, das Niesen hatte sich schon aus
ihren Zügen gelöst, wie ein Taifun blies es nach vorne, ein langer, glitzernder
Tropfen baumelte von ihrer Nase, und es spiegelten sich darin nicht nur die
Reispapierwände des Séparées und die warmgelben Lampen an der Decke, sondern
auch die völlig entsetzten Mienen der anwesenden Japaner” (Die Toten, S .99).
Aus diesem Satz
den Schluss zu ziehen, der ganze Roman sei ein “Machwerk”, da die dort
beschriebene Spiegelung physikalisch unmöglich sei (so Sieglinde Geisel im “Magazin für Literatur und Zeitgenossenschaft”), zeugt von einem recht
grundsätzlichen Unverständnis der Literatur Christian Krachts. (Das kommt ja häufiger
vor: Denken wir an den unsäglichen Artikel von Georg Diez im “Spiegel”, und auch bei den Rezensionen zu “Die Toten”
zeigt sich manchmal pures Unvermögen, z.B. bei Sabine Vogel in der Frankfurter
Rundschau).
Natürlich hat die
Szene mit dem Nasentropfen etwas Surreales, aber in ihrer kuriosen Ekligkeit
und mit dem Entsetzen, das der Etikettebruch bei den Japanern auslöst, gewinnt
sie eine enorme Aussagekraft. Die Zeit scheint einen Augenblick angehalten zu werden. Der Leser verharrt auf der Stelle, um sich über das Gelesene Klarheit zu verschaffen. Er liest den Satz noch einmal und genießt...
Kracht verfügt über ein ganzes Instrumentarium solcher Aussageverstärker. Dazu mehr im folgenden Beitrag.
Kracht verfügt über ein ganzes Instrumentarium solcher Aussageverstärker. Dazu mehr im folgenden Beitrag.
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