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Samstag, 18. April 2015

Der lesende Held: Steffen Kopetzkys Roman „Risiko“ – Ein Leserblog (8)

Sebastian Stichnote, die Hauptfigur aus „Risiko“, ist der Sohn eines bayerischen Handwerkers. Er hat die Realschule besucht. Als junger Mann schleicht er sich in die Vorlesungen der Technischen Universität in München, zu denen er eigentlich keinen Zugang hat. Er interessiert sich für Physik, für Einsteins revolutionären Erkenntnisse und liest viel. Seine Leseinteressen sind „technisch“ und „abenteuerlich“ (S.31). Und er ist ein „Schnellleser“, der sich eine bestimmte Lesetechnik angeeignet hat.

Steffen Kopetzky gestaltet seinen Helden als modernes Gegenbild zum (Shakespeare lesenden) Wilhelm Meister. Sebastian gehört ins frühe zwanzigste Jahrhundert, das Zeitalter der technisch-wissenschaftlichen Bildung und der Ingenieure. Als Techniker und Soldat trägt er nicht die Taschenuhr des Bürgers, sondern frönt der neuen Mode der viel praktischeren Armbanduhr (seine Schweizer „Movado“ - die sich Bewegende - wird immer wieder genannt.)

Und so liest er auch nur seitlings die Werke der bürgerlichen Bohème; viel mehr interessieren ihn die technischen Utopien seiner Zeit.

Fünf Romane verschlingt und kommentiert er in den Monaten der Handlung 1914/15:

Bernd Kellermann, Der Tunnel
Jules Verne, Zwanzigtausend Meilen unter dem Meer
Thomas Mann, Tod in Venedig
Waldemar Bonsels, Die Biene Maja
Kurd Laßwitz, Auf zwei Planeten

Insbesondere Laßwitz’ damals weit bekannter utopischer Roman hat es ihm angetan. Liebevoll betrachtet er den ungewöhnlich schön gestalteten Einband des Buches:

„Links von ‚Kurd’ stand ein silberner Halbmond und unter diesem (...) die Erde, er erkannte Eurasien und Afrika zentral auf der silbernen Scheibe, sogar der Schlitz des Mittelmeers war zu sehen mitsamt den Dardanellen. Unter der silbernen, Millionen Kilometer entfernten Erde spannte sich die Milchstraße und darunter, in braun geprägt, der Saturn. Doch rechts von der Erde, gab es, viel kleiner, wie ein neuer Mond um den Heimatplaneten kreisend, eine dritte silberne Scheibe. Das musste, dachte Stichnote, der Mars sein. Gott des Krieges” (S. 183).


Volksausgabe bei B. Elischer Nachf., Leipzig o.J.
Foto: Jan Joris Groenewold

Immer wieder wird Sebastian im Laufe der Handlung dieses Buch in die Hand nehmen und sich sich in den geprägten Buchdeckel mit seinen dreidimensional leuchtenden Planeten- und Sternenwelten versenken. Die Fragen von Krieg und Frieden, Technik und Energie verbinden Sebastians Leben und Denken mit Laßwitz’ Utopie vom irdischen Frieden und solarer Energieerzeugung. Sie werden dann ja auch zum Thema des Großen Spiels, in dem die fossilen Brennstoffe Kohle und Erdöl eine wichtige Rolle spielen.
(Für Interessenten: der Roman ist im Gutenbergprojekt frei zugänglich.)

Der lesende Held: Er steht in der Tradition des deutschen Bildungsromans. Er begegnet uns in Karl Philipp Moritz’ “Anton Reiser” und in Goethes “Wilhelm Meister”. Und auch Steffen Kopetzkys Sebastian Stichnote liest, was zu ihm passt.

Aber, wird der kritische Leser einwenden, der Autor präsentiert uns hier einen Helden von 1915 - nur leben wir im einundzwanzigsten Jahrhundert, belastet von der Bürde der Schrecken, die das Zwanzigste noch bereithielt. Was also sollen wir im Jahre 2015 damit anfangen?

Nun, ich glaube dass Kopetzky das bedacht und in seinem Roman eine Reihe von Bojen ausgelegt hat, die den Leser auf den Kurs in unsere eigene Zeit bringen sollen.

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