Krüger, der im Hanser Verlag das Werk von Bruno Schulz
herausgegeben hat, widmet 99% seiner Besprechung dem Schicksal dieses polnischen
Juden und nur einen Absatz der eigenartigen Novelle, die in anderen Rezensionen
als Meisterwerk gerühmt worden ist. Das ist schon etwas merkwürdig.
Gestern, bei der öffentlichen Vorstellung des Buches im
Deutschen Theater in Berlin, wiederholte sich das: Nach der halbstündigen
Lesung Maxim Billers sollte es ein Gespräch zwischen Michael Krüger und dem
Autor geben. Krüger erhielt das Wort und redete zwanzig Minuten lang über Bruno
Schulz. Die Novelle und ihre Eigenart ließ er außen vor. Sogar das artige
Bildungspublikum begann langsam unruhig zu werden.
Unter der Leitung seines etwas hilflosen Lektors kam Maxim Biller dann doch noch zu Wort und rettete mit einem vergnüglichen
Katz-und-Maus-Spiel den Abend. Zumindest ansatzweise erfuhr das Publikum dann
doch noch, worum es geht.
Die Novelle beschreibt von Anfang bis Ende den Versuch des
Protagonisten Bruno Schulz, im Jahr 1938 einen Brief an Thomas Mann zu
schreiben, ob dieser ihm nicht helfen könne, Polen zu verlassen. Die
inhaltlichen Einzelheiten kann man der guten Rezension im Spiegel entnehmen.
Viel sinnvoller für den Abend im Deutschen Theater wäre es
gewesen, einen Thomas-Mann-Experten einzuladen. Zwar geht es in der Novelle
vordergründig um die Opfer des nahenden Holocaust und um Bruno Schulz als
individuelles Beispiel, aber eigentlich geht es um die deutschen Täter und um
Thomas Mann, den nur scheinbar unverdächtigen deutschen Kulturhelden. Biller
machte gestern keinen Hehl daraus, wie unangenehm ihm Thomas Mann ist, und dass
er die demokratische Konversion Manns in den zwanziger Jahren bezweifele.
Wenn diese nämlich nur einem Ekel vor der Pöbelhaftigkeit
der Nazis geschuldet wäre, finden wir im Kopf von Thomas Mann die bürgerliche
Basis für den Erfolg der Nazis vor, einschließlich des Antisemitismus. Das ist
die eigentliche Brisanz dieser Novelle, und darüber hätte gesprochen werden
müssen. Das einzige, was dem Gesprächsleiter dazu einfiel, war, Biller
freundlich zu warnen, dass er sich um Kopf und Kragen rede. Das machte mich
schon ein bisschen fassungslos. Wo sind wir denn?
Ach ja: im Herzen Deutschlands! Die heutigen Deutschen reden
gern und viel über die Opfer des Nationalsozialismus. So viel, dass für die
Täter kein Raum mehr bleibt. Sehr praktisch!
Anders als ich es gewöhnt bin, wurde dem Publikum leider
keine Möglichkeit zu Fragen geboten.
Ich habe heute die Novelle „Im Kopf von Bruno Schulz“ zu
Ende gelesen. Sie ist in ihrer Konstruktion und Sprache in der Tat ein
Meisterwerk.
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