Christian Morgenstern: Er ist uns lieb als der seltene Fall
eines deutschen Dichters mit Humor. Viele seiner „Galgenlieder“ sind auch heute
noch bekannt. Vom größeren Teil seines Werkes und seines Lebens wissen die
meisten dagegen nichts. Dem ist abzuhelfen, denn zum ersten Mal seit
Jahrzehnten ist wieder eine Biografie über ihn erschienen:
Jochen Schimmang, Christian Morgenstern. Eine Biografie, St.
Pölten, Salzburg, Wien: Residenz Verlag 2013, 280 S., € 24,90.
Es gibt verschiedene Arten, eine Biografie zu schreiben. Der
Schriftsteller Jochen Schimmang hat sich in seiner Beschreibung des Lebens von
Christian Morgenstern (1871-1914) für eine Methode entschieden, die man
archäobiografisch nennen könnte: Um Morgensterns Lebensgeschichte schreiben zu
können, hat er ihre schriftlichen Relikte zuvor Schicht für Schicht abgetragen,
die Funde sortiert und geordnet und ist dann zur Rekonstruktion und
Präsentation dieses Lebens übergegangen. Trotz der vielen vorliegenden
schriftlichen Zeugnisse und der Versuche früherer Biografen verfällt er dabei aber
nicht der Illusion, die Rätsel und Leerstellen im Leben Morgensterns
lösen und füllen zu können. Seine Rekonstruktion ist nicht glatt und gefällig.
Sie zeigt die Fundstücke mit ihren Ecken und Kanten, ihren
Unübersichtlichkeiten, sie zeigt und wägt die Meinungen anderer Biografen, sie
zeigt die Fäden, die sie verfolgt, aber auch die, die in der Luft hängen
bleiben (müssen).
Einige wichtige Namen und Themen werden herausgenommen und in
komprimierten Exkursen vertieft: Nietzsche, Lagarde, Berlin um 1900, ...; insgesamt elf Mal geschieht das.
Innerhalb des Textes erhalten Nebenpersonen manchmal eine übertriebene Flut von
Daten bis zu ihrem Lebensende, das weit nach dem Tode Morgensterns liegt. Aber
oft erfüllen diese erzählerischen Prolepsen gerade den Sinn, den Leser besser in
die Zeitzusammenhänge Morgensterns einzuführen. Wenn wir dann im Sterbekapitel
angelangt sind, fragt sich der Leser allerdings, warum es danach noch fünf
Kapitel lang mit immer neuen Aspekten weitergehen muss.
Der vorherrschende Eindruck ist jedoch, dass es sich hier um
eine mit großer Kompetenz geschriebene Biografie handelt, die zurecht die zehn,
zwanzig Jahre vor dem Beginn des Ersten Weltkriegs als die spannendste,
kreativste und widersprüchlichste Zeit der deutschen Geschichte sieht. Es ist
eine moderne Biografie, die ihre technische Infrastruktur ebenso nach außen
kehrt wie das seinerzeit gewöhnungsbedürftige Centre Pompidou in Paris. Das
behagt nicht jedem. So what?
Ab und zu richtet der Archäobiograf Schimmang sich von
seiner Arbeit auf, wischt sich den Schweiß von der Stirn und macht eine
Bemerkung aus seinem Jetzt, die eigentlich nichts zur Sache tut, aber treffend
ist oder Humor zeigt, Morgensternschen Humor.
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