In seinem von Gedanken und Plänen überschäumenden „Journal meiner Reise im Jahr 1769“ des 25jährigen Johann Gottfried Herder (1744-1803), einem der intensivsten deutschen Bücher des 18. Jahrhunderts, finden sich auch folgende Zeilen über die Ukraine:
„Die Ukraine wird ein neues Griechenland werden; der schöne Himmel dieses Volks, ihr lustiges Wesen, ihre musikalische Natur, ihr fruchtbares Land usw. werden einmal aufwachen; aus so vielen kleinen wilden Völkern, wie es die Griechen vormals auch waren, wird eine gesittete Nation werden; ihre Grenzen werden sich bis zum Schwarzen Meer hin erstrecken und von dahinaus durch die Welt. Ungarn, diese Nationen und ein Strich von Polen und Russland werden Teilnehmerinnen dieser neuen Kultur werden; von Nordwest wird dieser Geist über Europa gehen, das im Schlafe liegt, und dasselbe dem Geiste nach dienstbar machen. Das alles liegt vor, das muss einmal geschehen; aber wie, wann, durch wen?“
(Johann Gottfried Herder, Journal meiner Reise im Jahr 1769, in: Herders Werke in fünf Bänden, Aufbau-Verlag Berlin und Weimar 1969, Erster Band, 107-191, hier: 135)
Den Hinweis auf diese Stelle habe ich in Andreas Kappelers Buch „Russen und Ukrainer“ gefunden (siehe meinen vorigen Blog-Beitrag). Kappelers methodologisches Konzept der „Verflechtungs-geschichte“ ist die breitere wissenschaftliche Version meiner „Begegnungsgeschichte“ für den Gebrauch im fremdsprachlichen Landeskunde-Unterricht.
Dieser Absatz von Herder gehört zur deutsch-ukrainischen Begegnungsgeschichte des 18. Jahrhunderts. Schon seit dem 19. und erst recht im 20. Jahrhundert wurde all diesen Aufbruchshoffnungen der Aufklärung der brutale Garaus gemacht. Nun wieder im 21. Jahrhundert, aber noch nie war die Ukraine so dicht bei Herders Gedanken wie in den letzten zehn Jahren.
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