Bisher habe ich jedem, der etwas Authentisches zum 1. Weltkrieg lesen wollte, zu Ernst Jünger geraten („In Stahlgewittern“, „Das Wäldchen 125“). Bei Jünger muss man allerdings seine Kriegsverherrlichung und Überhöhung des Kampfes in Kauf nehmen. Damit haben vor allem Niederländer ihre Probleme (Franzosen übrigens deutlich weniger). Anders als in Frankreich ist Jünger in den Niederlanden ein völlig ignorierter Schriftsteller.
Nun habe ich vor ein paar Wochen irgendwo einen Hinweis auf die Autobiografie des Engländers Robert Graves (1895-1985), „Good-Bye to All That“, bekommen. Schon merkwürdig, dass die mir bisher entgangen war, denn es handelt sich um eine der bemerkenswertesten englischen Autobiografien des 20. Jahrhunderts. Graves veröffentlichte sie mit 34 Jahren, hatte großen Erfolg damit und verließ mit dem Honorar auf immer England (daher der Titel), um auf Mallorca als freier Schriftsteller zu leben.
Die ersten Kapitel behandeln seine Kindheit und Schulzeit. Eine Besonderheit ist, dass seine Mutter aus der deutschen Familie von Ranke kam und einer ihrer Vorfahren der bekannte Historiker Leopold von Ranke war. Robert ist als Kind in den Ferien viele Male in Bayern in deutschen Adelsfamilien gewesen. Er nannte sich auch Von Ranke-Graves und hatte damit während des Krieges immer wieder Probleme, bis hin zum Vorwurf, ein deutscher Spion zu sein.
Der Leser erhält einen schonungslosen Blick auf das englische Upper-Class-Schulsystem, die Offiziersausbildung der britischen Armee und den Grabenkrieg in Frankreich, von dem der größte Teil des Buches handelt. Der Dichter und Pazifist Graves ging praktisch direkt von der Schule in den Krieg, an dem er jahrelang als Offizier teilgenommen und den er nur knapp und mit schweren Traumata überlebt hat. Gelebte Widersprüche in Kriegszeiten. Ich habe nirgendwo Intensiveres darüber gelesen als in diesem Buch.
Ein paar Bemerkungen zur Editions- und Übersetzungsgeschichte:
Die englische Erstausgabe erschien 1929 und hatte im selben Jahr mehrere Auflagen. Ich habe das Buch in dieser Fassung gelesen (ist in der UB Groningen vorhanden). 1959 erschien eine vom Autor überarbeitete Fassung, in der es heute und in den Übersetzungen meistens angeboten wird. Diese ist, nicht unbedingt zum Wohle des Buches, ein wenig bereinigt worden, unter anderem wohl auch von deutschen Elementen. Ich habe das nicht nachgeprüft. Die deutsche Übersetzung ist unter dem Titel „Strich drunter“ erschienen (Rowohlt Jahrhundert 1990); sie beruht auf der Version von 1959. Die niederländische Ausgabe unter dem Titel „Dat hebben we gehad“ erschien zuletzt 2014, wahrscheinlich auch in der Version von 1959.
In den heutigen Ausgaben fehlen die ersten beiden Seiten, die mir als Einleitung einer Autobiografie gerade viel Freude bereitet haben. Ich drucke sie hier als Foto ab:
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