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Dienstag, 13. Oktober 2015

Olga Wiese, Het kustlicht - revisited


Wir haben ein Bild von Olga Wiese im Wohnzimmer über dem Sofa. Für fast alle Besucher wirkt es wie ein Schlag ins Gesicht. „Wie könnt ihr sowas aufhängen?“

Ich habe damals bewusst etwas haben wollen, das jenseits dekorativer Gefälligkeit liegt, ich wollte etwas Provokatives, aber gleichzeitig auch etwas Faszinierendes, Kraftvolles, Geheimnisvolles, das auch nach Jahren die Kraft und das Geheimnis nicht verliert.

Olgas Bilder – und später Olga selbst - habe ich im Sleutel kennengelernt und im Wolthoorn, von dem bis jetzt in diesem Blog keine Rede war (die Kneipe, die Koos Huizenga vor dem Sleutel zur Blüte brachte und die jetzt den Titel „Beste Kneipe der Niederlande“ führen darf). Und im Laufe der Zeit sah man ihre Bilder auch in den Wohnungen von Freunden und Bekannten. Nachdem wir dann ihr Atelier und ihre Ausstellungsräume gesehen hatten, haben wir, G. und ich, verabredet, unabhängig voneinander ein Bild auszusuchen. Unsere jeweilige erste Wahl war nicht verkäuflich, unsere zweite Wahl war ein- und dasselbe Bild: das wurde es dann.

Olga Wiese, Het kustlicht (1985-2000)

Olga hat eine Serie von sieben Gebäuden gemalt, die sie in Beziehung zu sich selbst setzt. Unser Bild heißt „Het kustlicht” – “Das Küstenlicht” – und zeigt eine Art zusammenbrechenden Leuchtturm, der aber gleichzeitig eine seeländische Frau (Olga kommt aus der Provinz Zeeland) mit dem traditionellen Kopfputz und Goldschmuck darstellt. Ihr Kopf schlägt gerade auf den Boden auf, das Gebiss fliegt heraus (bis in die zweite Hälfte des 20. Jahrhunderts galt es in den Niederlanden als Zeichen des Reichtums, wenn man (frau) sich frühzeitig ein Gebiss machen ließ). Das Bild steht auch auf ihrer Website www.olgawiese.com, in der Kategorie „Portraits of Buildings“.

Der weibliche Turmkörper explodiert von innen heraus. Das zerstörerische Geschehen wird konterkariert durch positive Zeichen: ein roter Luftballon steigt aus der gleißenden Explosion empor und Winddrachen mit lustigen Schwänzen umschweben das Ganze. Die Vernichtung erscheint gleichzeitig als die Geburt von etwas Neuem.

Der Leuchtturm befindet sich offenbar auf einem hohen Felsvorsprung vor der niederländischen Küste. Der Sichtpunkt des Betrachters liegt so hoch wie es das in den gesamten Niederlanden nicht gibt (und es gibt natürlich auch keine Felsen vor der Küste). Tief unten sieht er den Strand, die Buhnen, die ins Wasser reichen, das Meer. Er sieht ein kleines Dorf mit der Kirche in der Mitte im oberen linken Bildteil wie aus einer Höhe von mehreren hundert Metern. Im oberen rechten Bildteil dagegen ballt sich eine Art graues Nichts zusammen, das einen bedrohlichen chaotischen Sog ausübt.

Im Vordergrund oben auf dem Felsvorsprung liegen Bruchstücke des Turms, darunter merkwürdige weißliche Brocken, die wie eingepackt wirken.

Das Ganze ist von hoher farblicher Kraft. Im wechselnden Licht des Tages leuchten die verschiedenen Teile unterschiedlich auf oder sie treten zurück. Sonne und Schatten akzentuieren die Bildausschnitte und erneuern das Gesamtbild. Ich kann noch immer davor sitzen und gucken.
(Beitrag aus meinem alten Blog, ca. 2008)

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