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Samstag, 31. Januar 2015
Dienstag, 27. Januar 2015
Die Tänzerin von Auschwitz – Worüber man nicht schweigen kann, darüber muss man reden
Paul Glaser, der Autor des jetzt auf Deutsch im Aufbau Verlag erschienenen
Buches „Die Tänzerin von Auschwitz“ (niederländischer Originaltitel: „Tante
Roosje“, 2010), ist ein begnadeter Redner. Er hielt gestern Abend die
Zuhörerschaft im voll besetzten Vortragssaal der niederländischen Botschaft in
Berlin anderthalb Stunden in seinem Bann, und zwar so wie ich es selten erlebt
habe.
Dabei hat er nur die Lebensgeschichte seiner Tante erzählt.
Nein, er hat noch eine andere Geschichte erzählt: seine eigene. Lange Zeit
hatte er (geboren 1947 in Maastricht) angenommen, ein ganz normaler
katholischer Niederländer zu sein, bis er bruchstückweise dahinter kam, dass da
etwas anderes war, etwas das sein Vater konsequent beschwieg (und bis heute
beschweigt).
Tante Roosje |
Der Schweigeknoten, der sich auch in ihm gebildet hatte,
brach erst, als er 2002 bei einem Besuch in Auschwitz unter den dort
ausgestellten Koffern einen aus den Niederlanden mit dem Namen Glaser darauf
entdeckte. Seitdem hat er sich der Dokumentation des Lebens von Tante Roosje
gewidmet und redet darüber - auf Dutzenden Veranstaltungen in den Niederlanden
und jetzt auch in Deutschland.
Seine Geschichte bewirkt nicht das bleierne Schweigen und die
Betroffenheit, die so oft an diesem Tag
des Gedenkens an Auschwitz zelebriert werden, sondern Rührung durch die
Lebensfreude dieser Frau und Einsicht in die Wirkungsweisen von Faschismus und
Verrat. Und Hoffnung auf die Kraft der Rede.
Samstag, 24. Januar 2015
Adolph Menzels „Eisenwalzwerk“ im Google Art Project
Beim Betrachten von Adolph Menzels Bild „Eisenwalzwerk“
(1875) in der Alten Nationalgalerie in Berlin fiel mir auf, wie unglaublich
viel mehr auf dem Original zu sehen ist, als auf fast allen Fotografien, die
man in Google aufrufen kann. Das ist gerade bei diesem Gemälde ganz extrem,
weil sich die hundertfältigen Details um das zentrale, hell glühende Eisen
herum auf den Fotografien im Dunkel verlieren.
Adolph Menzel, Eisenwalzwerk (1875) |
Das große
Bild (253 x 153 cm) erzeugt, wenn man davor steht, einen überwältigenden
Gesamteindruck. Es muss mit seiner Darstellung des Arbeitsprozesses für die
Zeitgenossen absolut revolutionär gewesen sein. Und das von dem Maler, der eher
für seine zahlreichen Darstellungen der preußischen Könige, vor allem Friedrichs des Großen, bekannt war. Dass Menzel sehr viel
mehr zu bieten hat, ist inzwischen in vielen Ausstellungen deutlich geworden.
Er gilt heute als der größte
deutsche Maler und Zeichner des 19. Jahrhunderts.
Nun gibt es seit 2011 das Google Art Project, das sich zum Ziel gesetzt hat, genau dieses
Manko der unzureichenden Internetabbildungen aufzuheben, indem die Kunstwerke
mit einer Auflösung von 7 Gigapixeln und mit einer Zoomfunktion für eine äußerst detaillierte Betrachtung angeboten
werden.
Ich hatte das
damals kurz zur Kenntnis genommen und bin jetzt überrascht, wie reichhaltig das
Angebot inzwischen geworden ist. Es macht Spaß, sich dort eine eigene Galerie zusammenzustellen.
Menzels “Eisenwalzwerk” ist das erste Objekt in meiner Sammlung.
Seht's euch an. Der Unterschied ist enorm.
Freitag, 23. Januar 2015
Sitzpinkler versus Stehpinkler – Zur deutschen Kultur der Gegenwart
Die deutschen Sitzpinkler haben eine Niederlage erlitten. Das
hat sogar die niederländische Presse erreicht, wenn auch überall mit dem
gleichen monotonen Kurzbericht.
Aber freuen wir uns nicht zu früh: Wenn ihr mal in einen
deutschen Privathaushalt eingeladen seid und auf der Toilette diesem oder
ähnlichen Aufklebern begegnet, lasst euch bitte nicht wegen verletzter
Männerehre auf eine Diskussion mit der Hausfrau ein: Dies ist bitterer Ernst,
und ihr kennt ja die polarisierende deutsche Diskussionskultur. Also: gut abschließen!
Da Niederländer das Ampelmännchen lieben, ist der
entsprechende Aufkleber vielleicht ein geeignetes Mittel, die Kultur des
Sitzpinkelns auch in den Niederlanden weiter zu verbreiten.
P.S.: Im WC von Café Deutschland muss irgendwo ein Urinoir
sein. Damit erübrigt sich jede Diskussion.
Donnerstag, 22. Januar 2015
Vielsagende Rechtschreibung
Beim Lesen deutscher Bücher, die zwischen 1996 und 2006
gedruckt wurden, fallen einem die Kuriositäten der Rechtschreibereform von 1996
ins Auge:
Mittwoch, 21. Januar 2015
Heimerziehung, so richtig deutsch
In Giorgio Scerbanencos Kriminalroman „Der lombardische Kurier“ (ursprünglicher Titel „I ragazzi del massacro“, Mailand 1968) kommt
eine italienische Sozialarbeiterin vor, die vier Seiten lang ihr Praktikum in
einem Westberliner Wohnheim für Kinder von Straftätern beschreibt. Hier ein
Auszug:
Und dann nahm sie mich mit in einen großen Hof, in den jeden Donnerstagnachmittag drei
oder vier alte Autos oder Möbelstücke zum Demolieren gebracht wurden. Nun
teilten sich die Jungen und Mädchen in Altersgruppen auf. Jedes Kind war mit
einer großen Axt und einer
Eisenkeule augerüstet, damit mussten sie die Autos, Stühle, Schränke und so
weiter systematisch zerstören. Sie konnten jedoch nicht einfach blindwütig
draufhauen, denn die verschiedenen Materialien – Gummi und Holz, Eisen und
Messing, Stoff und Glas – mussten voneinander getrennt werden. (…) Zwanzig
Kinder, die mit riesigen Äxten bewaffnet auf ein Zeichen hin alle
gleichzeitig anfingen, auf die Dinge vor ihnen einzudreschen und dadurch ihrer Aggressivität
in sinnvoller Form Ausdruck verleihen konnten! (...) Es war eine vorbildliche
Einrichtung, Herr Doktor, so richtig deutsch, und ich bin überzeugt, dass
keines dieser Kinder den Weg seiner Eltern einschlagen wird.
Giorgio Scerbanenco, Der lombardische Kurier (2004), S.
128f.
Giorgio Scerbanenco (1911-1969) |
Der Roman stammt aus dem Jahr 1968. Das beschriebene Konzept
der Heimerziehung von Problemkindern müsste also vorher entwickelt worden sein.
Vielleicht hat es in der frühen Apo-Zeit in Westberlin tatsächlich so etwas oder etwas Ähnliches
zum Lösen von Aggressionsstaus gegeben. Das würde mich mal interessieren. Die „Heimkampagne“
von Apo-Gruppen lief aber erst ab 1969 an.
Ich kann mir allerdings nicht vorstellen, dass Kinder mit Äxten
und Eisenstangen ein Auto in seine verschiedenen Materialien zerlegen können und
vermute deshalb, dass es sich bei dieser Mülltrennung um ein ironisch übertreibendes
Element des Autors handelt: Heimerziehung, „so richtig deutsch“.
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