Dies ist ein Buch voller schrecklicher und bewegender Dinge,
geschrieben in einer außergewöhnlich kraftvollen und kreativen Sprache. Es hat
mich gepackt, und ich brauche Zeit dafür.
Ein paar kleinere Beobachtungen werde ich weiterhin präsentieren, heute zum Beispiel das Rezept der lebendig gebratenen Gans, die sich der Protagonist in einem Restaurant auf dem Erdmond bestellt. Es steht in einem tabletartigen “Speisenbuch” mit “mikroskopisch dünnen elektrischen Leitbahnen, die 1zelne Buchstaben zu Worten und Sätzen verbanden. Und so gestaltete sich das Folgende nicht vor meinen Augen, sondern direkt=in-meinem-Gehirn:”
Ein paar kleinere Beobachtungen werde ich weiterhin präsentieren, heute zum Beispiel das Rezept der lebendig gebratenen Gans, die sich der Protagonist in einem Restaurant auf dem Erdmond bestellt. Es steht in einem tabletartigen “Speisenbuch” mit “mikroskopisch dünnen elektrischen Leitbahnen, die 1zelne Buchstaben zu Worten und Sätzen verbanden. Und so gestaltete sich das Folgende nicht vor meinen Augen, sondern direkt=in-meinem-Gehirn:”
"Nimm eine lebende Gans, berupfe sie bis auf den Hals
und Kopf, mache rings um sie ein Feuer, nicht allzu nahe, auf daß sie nicht
ersticke, sondern allgemach brate. Setze zu ihr ein Gefäß von Wasser, darunter
Honig und Salz vermischt, damit sie oft möge trinken. Darnach nimm Aepfel,
schneide sie klein, koche sie in einer Bratpfanne, beträufle damit oft die
Gans, daß sie desto eher gebraten werde, rücke das Feuer näher zu ihr, aber
doch eile nicht zu geschwind. Und wenn sie anhebt zu kochen, läuft sie inwendig
im Feuer umher und begehrt zu fliegen; da sie es wegen des Feuers nicht zuwege
bringen kann, trinkt sie ohne Unterlass, sich zu laben und zu kühlen. Und wenn
sie heiß geworden, bratet und kocht sie auch inwendig, du mußt ihr aber ohne
Unterlaß das Haupt und Herz mit einem feuchten Schwamm erkühlen. Und wenn sie
anhebt zu zappeln und zu fallen, so nimm sie hinweg vom Feuer, lege sie auf
eine Schüssel und gib sie den Gästen zu essen, so ist sie gebraten und lebt doch
noch und schreit, wenn man von ihr schneidet."
(Reinhard Jirgl, Nichts von euch auf Erden, 292)
Wahrlich ein verstörendes Rezept!
Jirgl hat von seinem ersten Roman an die Methode der
Textmontage verwendet, bei der er längere Zitate aus unterschiedlichsten Werken
in eine neue Umgebung stellt und damit erschreckende Wirkungen erzielt. Hier
gibt er einem kuriosen Text des siebzehnten Jahrhunderts die grausige Realität
einer Cyberillusionen erzeugenden SF-Küche in einer Kaverne auf dem Mond, wo
dieses Gericht real auf den Tisch kommt und verspeist wird. (Das wird auch noch
ausführlich beschrieben.)
Jirgl nennt seine Quelle nicht. Sie ist aber auf Google
schnell gefunden. Der Text stammt aus dem "Kunst- und Wunderbüchlein zur wohlbestellten Haushaltung" (Frankfurt am Main 1625) des Württemberger
Schriftstellers Balthasar Schnurr (1572-1644).
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