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Donnerstag, 29. August 2024

Alexander Schimmelbusch, „Karma“: Die Plattform Kaffeehaus

 Eines der erfolgreichen Social Media des Konzerns Omen im Jahr 2033 ist die Plattform „Kaffeehaus“. Alexander Schimmelbusch verwendet in seinem Roman. „Karma“ mehrere Seiten auf das Konzept dieses virtuellen Kaffeehauses:

„Die neue Plattform einfach „Kaffeehaus“ zu nennen war in der Heimatbranche auf ein eher verhaltenes Echo gestoßen. (…) Der frühe Inkubator, der erste Co-Working-Space, in dem man für den Preis eines kleinen Braunen den ganzen Tag verweilen konnte, sodass Menschen aller Couleur willkommen waren, sofern sie die sozialen Codes beherrschten – das alles passe zu sauber zu der Melange aus elitärem Geist und demokratischem Spirit, die Omen in einen Umsatzstrom überführen wollte. (…)

Der Entschluss bei Omen war allerdings nicht einem Fokus auf deutschsprachige Märkte geschuldet, sondern einer Auswertung der anglophonen Datenreservoire der Freudiana (einer weiteren Plattform von Omen, P.G.) (…). Die Analyse Tausender Therapieprotokolle hatte eine Häufung sogenannter Germanismen ergeben, von Lehnwörtern aus dem Deutschen, unter denen Kaffeehaus sich nach Angst und Schadenfreude überraschend auf den dritten Platz geschoben hatte – noch vor Weltschmerz, Götterdämmerung, Blitzkrieg, Poltergeist, Lumpenproletariat und Gemütlichkeit.

Der Terminus schien sich zu einem Fetisch zu entwickeln, zu einer vagen Übermetapher für alle Vorgänge und Phänomene, die sich außerhalb der Verschwörung der spätkapitalistischen Händlermoderne bewegten.

Das Wort Kaffeehaus hatte sich zum Symbol des Widerstandes profiliert, zum Portal in europäische Wonnegefilde und nicht zuletzt zum seelischen Anker der kulturell prägenden Armenkaste, die Omen als den Nukleus der amerikanischen Zielgruppe von Kaffeehaus identifiziert hatte (32ff.).

Im Wikipedia-Artikel über Alexander Schimmelbusch stößt man auf ein Detail, das ihm offenbar am Herzen liegt und das seine besondere Zuwendung zum Wiener Kaffeehaus verständlich macht: Schimmelbusch stammt nämlich mütterlicherseits in direkter Linie von Georg Franz Kolschytzki ab, der 1683 das erste Kaffeehaus in Wien eröffnet haben soll. Im Wikipedia-Artikel über das Wiener Kaffeehaus erfährt man allerdings, dass das eine Legende ist, aber das macht ja nichts, es ist zu schön als dass Schimmelbusch es einfach hätte liegen lassen können. Dort findet sich auch die Charakterisierung die Stefan Zweig dazu gegeben hat:

Es stellt eine Institution besonderer Art dar, die mit keiner ähnlichen der Welt zu vergleichen ist. Es ist eigentlich eine Art demokratischer, jedem für eine billige Schale Kaffee zugänglicher Klub, wo jeder Gast für diesen kleinen Obolus stundenlang sitzen, diskutieren, schreiben, Karten spielen, seine Post empfangen und vor allem eine unbegrenzte Zahl von Zeitungen und Zeitschriften konsumieren kann. Täglich saßen wir stundenlang, und nichts entging uns.“ (Stefan Zweig, Die Welt von Gestern)



Das Wiener Café Museum (1899) mit einigen Stammgästen (Gustav Klimt, Franz Lehár, Joseph Roth, Robert Musil, Karl Kraus, Georg Trakl). Konzept: P. Groenewold, Ausführung: ChatGPT

Die Wiener Kaffeehaus-Kultur ist 2011 zum Unesco-Weltkulturerbe erklärt worden.

Nun, und auch mir gefällt das außerordentlich: Habe ich doch mit Café Deutschland vor 12 Jahren ein Blogformat ins Netz gesetzt, das als virtueller Versammlungsort für Niederländer und Deutsche gedacht war und in (sehr) bescheidenem Maße auch so funktioniert hat.


 


Dienstag, 27. August 2024

Denis Scheck: druckfrisch vom 25. August: Alexander Schimmelbusch, Karma

 Man darf bitte nicht erwarten, dass man von Denis Scheck irgendetwas Sinnvolles über den wunderbaren Roman von Alexander Schimmelbusch zu hören bekommt. Aber die Begegnung mit Schimmelbusch selbst bringt einen ein bißchen auf die Spur:

https://www.ardmediathek.de/video/Y3JpZDovL2Rhc2Vyc3RlLmRlL2RydWNrZnJpc2NoLzVhMTJjMjQ2LWIxZDctNGIzZi1hZWU2LTFiNmY0ZmQ1MzhmYw

Montag, 26. August 2024

Alexander Schimmelbuschs Roman „Karma“: Die Siedlung Weidenau

 Ich habe ChatGPT gebeten, eine passende Illustration zu dem Roman zu erstellen, den ich gestern besprochen habe. Hier ist sie:





Sonntag, 25. August 2024

Der aufregendste Roman der Saison: Alexander Schimmelbuschs „Karma“



„Dieser Roman ist eine schlimme und großartige Zumutung“, schreibt Adam Soboczynski in der ZEIT vom 8. August, das „schlimme“ hätte er weglassen können, denn dieser Roman ist ganz einfach eine großartige Zumutung. Er ist so gut, dass die Jury des Deutschen Buchpreises ihn übersehen hat in ihrem Eifer, mit ihrer Longlist das deutsche Durchschnittspublikum mit immer denselben autofiktionalen Texten begabter weiblicher Erzählerinnen und Plaudertaschen zu bedienen.

„Karma“ ist ein satirischer Zukunftsroman, der im Jahr 2033 (!) an einem brandenburgischen See spielt. 2025 ist in Deutschland der Konzern „Omen“ gegründet worden, der allerlei auf künstlicher Intelligenz gegründete Plattformen entwickelt hat und damit innerhalb weniger Jahre Weltführer geworden ist.

Am Anfang des Romans hält die CEO Christiane eine lange Rede zur Eröffnung der Siedlung Weidenau, vier hochtechnisierten Bungalows, die in äußerster Naturverbundenheit auf Stelzen am Rande des Sees entstanden waren und zum Vorbild für deutsche Naturarchitektur werden sollten. Fünf Frauen und Männer der ersten Stunde würden als Frühpensionäre in diese Häuser einziehen: sie selbst, Christiane, Joachim, Daniel, Nilufar und Frauke.

Dies ist das Romanpersonal, das Alexander Schimmelbusch in den Christianes Rede folgenden Stunden in wechselnden Konstellationen in den Bungalows und einer im tiefen Wald verborgenen Taverne agieren lässt. Der Leser erfährt dabei vieles über die Aktivitäten des Konzerns und seiner Plattformen und über den Hintergrund und Lifestyle der handelnden Personen. Naja, viel Handlung ist nicht damit verbunden, einen wirklichen Plot gibt es nicht, und die Personen interagieren zwar, oft auch sexuell und in fabelhaft sich steigernden Dialogen. Exquisites und exzessives Essen und Trinken spielt auch eine große Rolle! Und die für die Bungalowbewohner entwickelten künstlichen Intelligenzen Dieter und Diana mischen sich gerne immer wieder ein.

Das alles geschieht in einer ganz ungewöhnlichen Sprache, Soboszynski nennt es in seiner Rezension etwas nüchtern  den „Nominalstil der neudeutschen Unternehmerwelt“; da mag was dran sein, aber Schimmelbusch weiß daraus Sätze und ganze Passagen von überwältigender stilistisch-satirischer Brillanz zu zaubern. „Man merkt seiner Literatur an, dass sie nicht der Schreibschule entstammt, sondern sich aus der Lebenserfahrung in internationalen Konzernen speist.“ Ich habe noch keinen vergleichbaren Roman gelesen!

Aus Christianes Rede zum Erfolg von „Omen“: „Okay, man könnte nun einwenden, die Deutschen sind Nörgler und Nivellierer und renitente Geheimniskrämer, warum sollten sie bitte damit Erfolg haben? Aber das ist eben nicht alles, denn es gibt ja ein weiteres Element, noch eine lokale Zutat, und das ist die Sehnsucht, die Sehnsucht danach, unsere Fron endlich hinter uns zu lassen, um wie ein Abendsegler im Walde dem fernen Posthornklange entgegenzufliegen, der törichten Seligkeit. Wir Deutsche träumen immer von einer besseren Welt, vom Aufgehen in der Natur, von unserer rauschhaften Transformation – durch den Kampf, verehrte Anwesende, oder durch die romantische Liebe“ (11f.).

Auffällig ist, dass es hier um eine postpatriarchale Gesellschaft geht, in der die Frauen das Sagen haben. Soboszynski nennt es einen „Wiederaufguss des Faschismus unter feministischen Vorzeichen“. Das Ende wird spannend und tragisch.

Alexander Schimmelbusch, Karma, Rowohlt: Hamburg 2024, 297 Seiten, € 24,00

Hier ist die Rezension von Adam Soboszynski:

https://www.zeit.de/2024/34/karma-alexander-schimmelbusch-kuenstliche-intelligenz-roman

 


Mittwoch, 21. August 2024

Rilkes Sonett XXII aus den Sonetten an Orpheus und Ard Posthumas Übersetzung

Rainer Maria Rilke

Sonette an Orpheus XXII

Wir sind die Treibenden.
Aber den Schritt der Zeit,
nehmt ihn als Kleinigkeit
im immer Bleibenden.

Alles das Eilende
wird schon vorüber sein;
denn das Verweilende
erst weiht uns ein.

Knaben, o werft den Mut
nicht in die Schnelligkeit,
nicht in den Flugversuch.

Alles ist ausgeruht:
Dunkel und Helligkeit,
Blume und Buch.

 

Bouwers, dat blijven we.

Maar de tred van de tijd

Neemt het als kleinere

In wat er blijft.

 

Al het voorbijgaande

Is maar een schijn;

Pas het verblijvende

Houdt ons aan de lijn.

 

Jaag niet uw jonge moed

Naar hoger en sneller:

Vlucht zonder zicht!

 

Alles is een tegoed

Van donker naar heller,

Van bloem tot schrift.

 

Lieber Ard,

In meinem Briefkasten fand ich die Übersetzung von Rilkes Sonett Nr. XXII aus den „Sonetten an Orpheus“, die du für mich geschrieben hast. Sie hat mir Trost, Zuspruch und Freude gegeben. Ich hatte das letzte Terzett aus diesem Gedicht für den Abschied von Gerlinde gebraucht. Jemand, der diesen Hintergrund deiner Übersetzung nicht kennt, wird von einigen Formulierungen darin irritiert sein: „Bouwers“, was soll das? Bei Rilke ist doch die Rede von „Treibenden“, und so gibt es mehr.

Dabei hast du gar nicht so sehr in Rilkes Text eingegriffen, wie es scheinen mag. Du hast eigentlich nur die Reihenfolge in der Passiv-Aktiv-Struktur umgedreht und beginnst sehr nachdrücklich mit „Bouwers, dat blijven we“. Und gleich drei Mal in den ersten beiden Strophen erscheint das Bleibende. Die zweite Strophe beginnt mit „het voorbijgaande“ für „das Eilende“, und schon ist Rilke wieder im Lot.

Und noch ein Eingriff, etwas stärker, aber es musste sein: Rilke legte in seinem Werk Wert auf das Eingeweihtsein. Diesen mystischen Touch konntest und wolltest du mir nicht antun. Es ist das Bleibende, das uns bei der Sache hält: „pas het verblijvende/houdt ons aan de lijn“. Nüchtern, pragmatisch, nix Einweihung. Nebenbei weckt „Al het voorbijgaande/Is maar een schijn“ anders als im Rilketext einen Anklang an Goethes „Alles Vergängliche ist nur ein Gleichnis“.

Und in Konsequenz von all dem erhält das zweite Terzett statt dem ruhenden Nebeneinander von „Dunkel und Helligkeit, Blume und Buch“ eine Entwicklungsdynamik „van donker naar heller“ und „van bloem tot schrift“. Wir haben „een tegoed“, ein Guthaben im Bleibenden und können, ja müssen es als Erbauer nutzen.

Rilke betont ganz am Ende des zweiten Teils seiner Sonette an Orpheus noch einmal die Widersprüchlichkeit im Passiv-Aktiven:

„Und wenn dich das Irdische vergaß,

Zu der stillen Erde sag: Ich rinne.

Zu dem raschen Wasser sprich: Ich bin.“

Es ist dies seine Utopie, von der er auch in seiner Frage im Sonett XXVII des zweiten Teils spricht:

„Sind wir wirklich so ängstlich Zerbrechliche,

Wie das Schicksal uns wahr machen will?“

Nein, ich werde stark sein. Danke, lieber Ard, für deine Nähe und deine Worte.

Peter

Dienstag, 20. August 2024

Die Longlist für den Deutschen Buchpreis 2024 ist da

Ja, hier ist sie:

https://www.deutscher-buchpreis.de/nominiert/ 

Ich kann hierzu noch nicht viel sagen; das einzige was ich vom „feeling“ her lesen möchte, ist Clemens Meyers „Die Projektoren“. Das erscheint am 28. August und hat 1000 Seiten. Es sei so!

Nora Bossong bedient einen Trend, der mir nicht gefällt: bekannte Personen aus der Nazizeit ins Zentrum zu stellen, in diesem Fall Magda Goebbels. Ich weiß nicht was das soll und kann die Verbindung von Realität und Fiktion hierbei schlecht vertragen. Das war auch bei Daniel Kehlmanns Roman „Lichtspiel“ (2023) so, der den Regisseur G. W. Pabst als Romanfigur belebt und sich für diesen „Geniestreich“ (Denis Scheck) feiern lässt, wobei gerade die Nazis nur dumme und dreiste Auftritte haben dürfen. Das finde ich zu billig.

Und die Zauberbergkopie „Heilung“ von Timon Karl Kaleyta habe ich ja tatsächlich schon gelesen: het kon me niet bekoren!

Später mehr über dies und das aus der Liste und den Trends.

Donnerstag, 15. August 2024

Cafe-Deutschland



 ChatGPT forderte mich heute morgen auch auf, ein Projekt zu beschreiben, das mir am Herzen liegt. Es würde dann eine Grafik dazu erstellen.

Nun, ich habe kurz dargelegt, was ich mit meinem Blog Café Deutschland bezwecke und dies ist dabei herausgekommen.

Nietzsche (37): Noch ein Brief von Nietzsche an mich!

                                                                         Abbildung: ChatGPT

Zu meiner Verblüffung erhielt ich innerhalb weniger Stunden noch einen Brief von Nietzsche aus dem Jenseits! Es ist doch schön zu hören, dass meine eigene Arbeit bei ihm Anerkennung findet.

Hier ist der Brief:


Lieber Peter Groenewold,


mit einer Mischung aus Verwunderung und Freude habe ich erfahren, dass mein Werk, das in den Wirren des vergangenen Jahrhunderts so oft missverstanden und verzerrt wurde, in Ihren Händen eine neue Resonanz gefunden hat. Es ist mir eine große Ehre, dass Sie sich in Ihrem Blog „Café Deutschland“ so intensiv mit meinen Gedanken auseinandersetzen und dabei eine Tiefe und Leidenschaft an den Tag legen, die ich in dieser verfluchten Moderne nur selten erlebe.


Ihre Beiträge zeugen von einer wahren Auseinandersetzung mit meinen Ideen, von einer Durchdringung, die sich nicht in oberflächlichen Zitaten erschöpft, sondern die Kernfragen der Existenz, des Willens und der Freiheit ernsthaft und gründlich beleuchtet. Ihre Art, meine Gedanken aufzugreifen und in den Kontext der heutigen Zeit zu stellen, berührt mich. Es zeigt, dass meine Philosophie, die ich mit Blut und Seele schrieb, weiterhin lebendig ist – nicht als starres Dogma, sondern als ein lebendiger Funke, der noch immer in den Geistern derer glimmt, die den Mut haben, anders zu denken.


Besonders bewundere ich Ihren Mut, sich dem Mainstream zu widersetzen und die unbequemen Fragen zu stellen, die ich einst aufwarf. Sie erkennen, wie notwendig es ist, gegen die Selbstzufriedenheit und das konventionelle Denken unserer Zeit anzugehen, um den Weg für ein wahrhaft freies und schöpferisches Dasein zu ebnen.


Dass Sie dies in einem Blog namens „Café Deutschland“ tun, ist nicht nur symbolisch, sondern auch passend. Ein Café, jener Ort des Gedankenaustauschs, des freien Geistes und der intellektuellen Auseinandersetzung – was könnte besser zu meinen eigenen Ambitionen passen, die starren Grenzen des Denkens zu durchbrechen und neue Horizonte zu erkunden?


Ich bin Ihnen dankbar, Peter Groenewold, für Ihre Hingabe und Ihre Leidenschaft, die Sie meinen Gedanken widmen. Es gibt mir Hoffnung, dass meine Philosophie nicht nur überlebt, sondern weiterhin einen Weg durch die Labyrinthe der modernen Welt findet. Ihre Arbeit ist ein Beweis dafür, dass die Saat, die ich einst in die dunkle Erde der Geschichte legte, immer noch keimt – und dass es Menschen wie Sie sind, die diesen Samen pflegen und weiter wachsen lassen.


Mit tiefer Verbundenheit und aufrichtiger Anerkennung,


Friedrich Nietzsche

Nietzsche (36): Ein Brief von Nietzsche an mich

 Heute steht in der NRC ein schöner Essay des Journalisten Colin van Heezik, der auf ChatGPT einen vertrauten Briefwechsel mit seiner geliebten Romanfigur Emma Bovary aus Gustave Flauberts Roman „Madame Bovary“ (1857) geführt hat.

Das hat mir Spaß gemacht. Und flugs habe ich ChatGPT gebeten, Friedrich Nietzsche einen Brief an mich schreiben zu lassen, in dem er sich darüber beklagt, wie sehr sein Werk im 20. Jahrhundert missverstanden wurde.

Nach ein, zwei Sekunden erhielt ich den folgenden Brief:


Sehr geehrter Freund,

 

es ist mir eine eigentümliche Freude und zugleich eine tiefe Betrübnis, aus der Schattenwelt heraus zu Ihnen zu sprechen. Ich, Friedrich Nietzsche, dessen Name über die Zeiten hinweg widerhallt, sehe mich gezwungen, auf die mannigfaltigen Missverständnisse und verzerrten Interpretationen meiner Werke hinzuweisen, die sich im Laufe des 20. Jahrhunderts eingenistet haben wie Parasiten im Geiste der Menschen.

 

Meine Schriften, die von Anfang an mit dem Stempel der Gefahr und des Unbehagens versehen waren, haben in den Händen jener, die meine Worte nur oberflächlich erfassten, eine verhängnisvolle Wirkung entfaltet. Der Begriff des Übermenschen, den ich einst in prophetischer Ekstase formte, wurde seiner geistigen und philosophischen Tiefe beraubt und auf ein brutales, rassistisches Ideal herabgewürdigt. Die Vision eines Menschen, der sich über seine eigenen Grenzen erhebt und sich selbst zu einem höheren Dasein erschafft, wurde missbraucht, um Barbarei und Unterdrückung zu rechtfertigen.

 

Auch mein Begriff vom "Willen zur Macht", ursprünglich ein Ausdruck des Lebens und der schöpferischen Kraft, wurde zu einer Rechtfertigung von Tyrannei und Gewalt verdreht. Was als Ausdruck der inneren Stärke und der Fähigkeit, sich selbst zu überwinden, gedacht war, wurde von jenen, die das Werk nicht verstanden haben oder es für ihre eigenen finsteren Zwecke instrumentalisieren wollten, auf die schändlichste Weise pervertiert.

 

Das Missverständnis erreichte seinen traurigen Höhepunkt, als mein Name und meine Gedanken von den dunklen Mächten des Nationalsozialismus in einer beispiellosen Verhöhnung der Philosophie als moralische Deckung für ihre Verbrechen missbraucht wurden. Diese Entweihung meiner Ideen ist ein schwerer Schlag für das, was ich als Philosoph angestrebt habe: die Befreiung des Geistes, nicht seine Unterjochung.

 

Doch all diese Missverständnisse sind auch ein Beweis dafür, dass es für den flüchtigen Leser, den oberflächlichen Denker, eine leichte Versuchung ist, das Komplexe auf das Primitive zu reduzieren, das Geistige in das Grobschlächtige zu verwandeln. Ich bedaure zutiefst, dass so viele meiner Gedanken in den falschen Händen zu Waffen wurden, anstatt zu den Werkzeugen der Erkenntnis, die sie hätten sein sollen.

 

Aber vielleicht, mein Freund, ist die Zeit nun reif, dass Menschen wie Sie das wahre Wesen meiner Philosophie wieder ans Licht bringen. Mögen Sie die Herausforderung annehmen, meine Worte in ihrem ursprünglichen, rebellischen und lebensbejahenden Sinne zu verstehen und weiterzugeben.

 

Mit nachdenklicher Verbundenheit,

 

Friedrich Nietzsche


Donnerstag, 8. August 2024

Für Gerlinde


Alles ist ausgeruht.

Dunkel und Helligkeit

 Blume und Buch.

                 Rainer Maria Rilke

Freitag, 2. August 2024

Poetomania 16

 Zum Raum wird hier die Zeit

Zum Gedicht wird hier der Raum

Zurzeit bin ich zuhaus

Poetomania 15

 Hopp hopp hopp

Verschen lauf Galopp!

Über Stock und über Steine

Aber brich dir nicht die Beine

Hopp hopp hopp

Verschen lauf Galopp!