„Was konnte so wichtig sein, dass man dafür siebzig Jahre
nach Kriegsende noch jemanden umbrachte?“ Diese Frage stellt sich der
luxemburgische Koch Xavier Kieffer in Tom Hillenbrands fünftem kulinarischen
Krimi „Gefährliche Empfehlungen“ (Köln, Kiepenheuer & Witsch 2017, 407
Seiten, 9,99 €), der ab morgen in den Buchhandlungen liegt.
Tja, und sowohl der Koch, der von höchster Stelle aus
Frankreich zu Recherchen aufgefordert wird, als auch der Leser werden sich bis
zu den letzten dreißig Seiten
des vierhundertseitigen Romans gedulden müssen, bevor man auch nur eine Ahnung
hat, worum es in der Krimihandlung geht. Bis dahin werden wir in gewohnter
Weise gut unterhalten mit allerlei luxemburgischen und internationalen Culinaria,
küchengeschichtlichen Exkursionen in Vergangenheit und Gegenwart, gewürzt mit
einem Bröckchen High-Tech-Küchenzukunft (in Berlin, notabene!). Sehr schön ist
zum Beispiel Hillenbrands Hommage an den Begründer der Nouvelle Cuisine, Paul
Bocuse: Der Autor inszeniert eine hochkomische Begegnung seines Romankochs mit
dem neunzigjährigen ewigen Dreisterneküchenchef (der unter dem fiktiven Namen
Jean Saubec figuriert, Kapitel 22).
Die Hauptrolle im Roman – und das ist nicht ganz
unproblematisch – spielt jedoch dieses Mal ein Buch, ein alter Restaurantführer:
der Guide Michelin, Jahrgang 1939 (im Roman „Guide Gabin“ genannt). Die Ausgabe
1939 war die letzte vor dem Krieg (erst 1948 erschien wieder ein neuer Michelin).
Es gibt da einige zeitgeschichtlich höchst erstaunliche Besonderheiten zu
dieser Ausgabe, von denen Tom Hillenbrand dankbar Gebrauch macht, um uns in die
Zeit der deutschen Besatzung und der alliierten Invasion in Frankreich zurückzuführen.
Letztlich erfindet er nur ein klitzekleinbisschen hinzu, um zu seinem Clou zu
kommen. Davon wird hier natürlich nichts verraten!
Nicht zuletzt erfahren wir auch etwas vom Widerstand der Luxemburger, die Hitler als „Moseldeutsche“ ins Reich eingliedern wollte. So
veränderten sie die Inschrift „Hitler siegt“, die die Nazis auf den Mauern
anbrachten, gerne durch Übermalen des „i“ in „Hitler segt“. Das ist Lëtzebuergesch für „Hitler
pisst“.
Jeder, der die anderen vier Kieffer-Krimis mit Genuss gelesen
hat, wird auch hier seinen Spaß haben. Und doch: die Action-Szenen sind zum
Teil etwas klamaukig, Home-alone-artig, und was für mich das größte Manko ist: In den bisherigen vier Romanen hatte
auch der Kernplot immer etwas mit der modernen Lebensmittelindustrie zu tun,
immer kritisch zugespitzt mit sorgfältig recherchierten Elementen aus der
unmittelbar zu erwartenden Zukunft (z.B. in Sachen Geschmacksverstärker,
Olivenöl, Thunfischzucht). Das ist ja die besondere Qualität von Tom
Hillenbrand: Gegenwartsrecherche von Entwicklungstrends mit
Spannungsoptimierung und Kritik zu verbinden. Wie gut er das kann, hat er in seinem
Science-Fiction-Krimi “Drohnenland” (2014) gezeigt, der drei, vier Jahrzehnte
in der Zukunft spielt.
In dem neuen
Roman fehlt dieses Element in der zentralen Spannungsgeschichte. Er führt in
die Kriegsvergangenheit zurück. Schade, denn an solchen Krimis herrscht kein
Mangel in Deutschland.
Aber dennoch:
gute Unterhaltung!
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen