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Montag, 31. Oktober 2016

Findelverse (1): Friedrich Rückert, Die Göttin im Putzzimmer

Friedrich Rückert, Die Göttin im Putzzimmer

Welche chaotische
            Haushälterei!
            Welches erotische
            Tausenderlei!
Alle die Nischchen,
            Alle die Zellchen,
            Alle die Tischchen,
            All die Gestellchen!
Fächelchen, Schreinchen,
            Alle voll Quästchen;
            Perlchen und Steinchen
            All in den Kästchen!
Blinkende Ringelchen,
            Schimmernde Kettchen,
            Goldene Dingelchen,
            Silberne Blättchen!
Nadel und Nädelchen,
            Haken und Häkchen,
            Faden und Fädelchen,
            Flecke und Fleckchen!
Allerlei Wickelchen,
            Allerlei Schleifchen,
            Allerlei Zwickelchen,
            Allerlei Streifchen!
In der Verwirrung
            Buntem Verstrick,
            Vor der Verirrung
            Banget der Blick.
Welche gewaltige
            Zauberin muß sein,
            Die das zwiespaltige
            Zwingt zum Verein?
Dort aus der Thüre
            Kommt sie gegangen. –
            Seht nur die Schnüre!
            Seht nur die Spangen!
Alle die Sächelchen,
            Wie sie sich regen,
            Ihr aus den Fächelchen
            Hüpfen entgegen!
Alle die Dingerchen,
            Bänderchen, Miederchen,
            Ihr um die Fingerchen,
            Ihr um die Gliederchen!
Plötzlich von unten
            Steht sie bis oben
            All mit dem bunten
            Flitter umwoben.
Alles, wie fügt sich’s
            Still und einträchtiglich,
            Legt sich, begnügt sich,
            Wie sie will, mächtiglich.
Die Elemente
            Hat sie verbunden,
            Hat ins Getrennte
            Ganzes empfunden.
Und aus dem lebenden
            Inneren Hauch
            Wird dem Umgebenden
            Leben erst auch.
Schöpf’rin, Entfalterin
            Himmlischer Zier,
            Stehst du, Gestalterin
            Muse vor mir?
Oder du Liebe,
            Einigerin,
Ird’scher Getriebe
            Reinigerin?
Denn nur ihr beide
            Ordnet zum Eins
            Buntes Geschmeide
            Menschlichen Seins.
Denn nur ihr beide
            Wandelt das Nichts,
            Chaos, zum Kleide
            Himmlischen Lichts.


Gedichte von Friedrich Rückert, Frankfurt am Main 1864, S. 34-36

Viele Gedichte von Friedrich Rückert (1788-1866) sind im 20. Jahrhundert vertont worden. Am bekanntesten sind die „Kindertotenlieder“ (1904) von Gustav Mahler.

Auch „Die Göttin im Putzzimmer“ wurde vertont: 1935 von Richard Strauss. Beides, Gedicht und Lied, habe ich gestern zum ersten Mal gelesen und gehört. Leider ist der in hohem Tempo zu singende Text kaum verständlich, aber man kann sich einhören. Hier ist eine Aufnahme mit spanischen Untertiteln: das hilft auch!

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